Arbeitgeber und Gewerkschaften unerbittlich, Streiks kaum mehr zu stoppen
Streit auf dem Bau eskaliert

Der Baustellen-Streit um Löhne, Arbeitszeiten und Rente mit 60 eskaliert vollends: Die Baumeister werfen den Gewerkschaften «Missbrauch der Sozialversicherungen» vor. Diese kontern: Die Baumeister würden bewusst Lohndumping fördern.
Publiziert: 06.10.2018 um 01:13 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 16:25 Uhr
Nico Menzato

Die Branche ist unbarmherzig: Bauarbeiter schuften bei erdrückender Hitze und eisiger Kälte – und das stundenlang jeden Tag. Baufirmen stehen unter heftigem Kostendruck – auch wegen ausländischer Konkurrenz. Entsprechend hart wird seit jeher um die Arbeitsbedingungen gerungen.

Jetzt aber spitzt sich die Lage zu. Ende Jahr läuft der Landesmantelvertrag (LMV) aus. Gewerkschaften und der Baumeisterverband streiten, wie flexibel die Arbeiter auf den Baustellen eingesetzt werden dürfen und wie viel sie verdienen sollen.

Hinzu kommt ein Streit um die Rente mit 60. Die finanzierende Stiftung muss saniert werden. Aber wie? Auch hierüber herrscht Uneinigkeit.

Im Juni demonstrierten Tausende Bauarbeiter aus allen Teilen der Schweiz für ihre Rechte. Ab Mitte Oktober dürften weitere Streiks folgen.
Foto: Konrad Staehelin
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Protestbrief an die Gewerkschaftsbosse

Letzten Mittwoch hat die bereits 17. Verhandlungsrunde um den LMV stattgefunden. Das Klima war vergiftet – derart, dass sich die Baumeister jetzt an die Präsidenten der Gewerkschaften wenden, die in den direkten Verhandlungen nicht dabei sind. Baumeister-Präsident Gian-Luca Lardi (49) wirft den Gewerkschaftsunterhändlern in einem Schreiben, das BLICK vorliegt, vor, sie wollten «systematischen und willentlichen Missbrauch unseres Sozialversicherungssystems» betreiben.

Der Verhandlungsführer der Gewerkschaft Unia, Nico Lutz (47), und andere hätten vorgeschlagen, dass anstelle einer flexibleren Arbeitszeitregelung die Arbeitslosenkasse die Bauarbeiter über die Wintermonate übernehmen müsse. Im Klartext: Der Steuerzahler soll die Kosten tragen, wenn Bauarbeiter im Winter nicht beschäftigt werden können.

Ein happiger Vorwurf, den die Baumeister im Protestschreiben mit einer Drohung abschliessen: «Wenn weiterhin solche Anstiftungsvorschläge für Sozialmissbrauch eingebracht werden sollten, sähen wir uns gezwungen, die Verhandlungen über einen neuen LMV vorübergehend zu sistieren.»

Mit Schlechtwetterversicherung abfedern

Unia-Lutz dementiert. Man habe betont, dass die Saisonalität in der Baubranche zu einem gewissen Teil über die Schlechtwetterversicherung abgefedert werden könne, so wie das bereits geschehe.

Die Schlechtwetterentschädigung ist Teil der Arbeitslosenversicherung (ALV). Branchen, die vom Wetter abhängig sind, können bei wetterbedingten Arbeitsausfällen diese Versicherung in Anspruch nehmen.

Was für die Gewerkschaften jedoch nicht geht, ist eine von den Baumeistern geforderte Flexibilisierung der Arbeitszeit. «Damit würden 12-Stunden-Arbeitstage zum Normalfall. Das wäre ein Massaker an der Gesundheit der Bauarbeiter», sagt Lutz.

«Baumeister fordern Lohndumping-Artikel»

Lutz wiederum greift die Baumeister beim Lohnschutz frontal an: Die Baumeister hätten in den Verhandlungen einen «Lohndumping-Artikel» gefordert. Damit bekäme der hiesige Lohnschutz «Löcher so gross wie Scheunentore», was allen seriösen Schweizer Firmen schaden würde.

Konkret sollen für «Praktikanten», die weniger als vier Monate angestellt sind, keine Mindestlöhne mehr gelten. «Praktikant ist kein definierter Begriff. Ausländische Firmen dürfen 90 Tage ohne Bewilligung in der Schweiz arbeiten. Sie könnten so über die ganze Auftragszeit nur noch mit angeblichen Praktikanten arbeiten, und es würde kein Mindestlohn mehr gelten», so Lutz.

Kontrolliert und geahndet werden könne das kaum. Mit verheerenden Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Baufirmen, warnt der Unia-Mann. «Diese könnten den Schirm zumachen.» Die Baumeister weisen diesen Vorwurf zurück. Man wolle einzig angehende Lehrlinge, Studenten und Quereinsteiger früher und einfacher in die Arbeitswelt integrieren.

Die Lage scheint aussichtslos. Und sie spitzt sich gefährlich zu. Die bereits geplanten Streiks auf den Baustellen ab Mitte Oktober können jetzt kaum mehr verhindert werden. Der Schweiz steht ein heisser Arbeitskampf bevor.

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