Nach BLICK-Bericht über Kinder-Flüchtlinge muss sich die Migrationsbehörde bei der Chefin erklären
Das ist Sommaruga in die Knochen gefahren

Ärzte und Politiker fordern ein Ende der Handknochenanalyse. Bundesrätin Sommaruga will vom SEM Erklärungen für die Verzerrungen in der Asylstatistik .
Publiziert: 13.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:01 Uhr
Von Christoph Lenz und SermÎn Faki

Kinderflüchtlinge werden in der Schweiz zu Volljährigen gemacht. Damit entgeht ihnen der Schutz, der ihnen die Uno-Kinderkonvention und die Bundesverfassung garantiert. Der gestern von BLICK veröffentlichte Befund, der sich auf eine Auswertung von Daten zu 151'000 Asylsuchenden stützt, sorgt für heftige Diskussionen. Und für Konsequenzen.

Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) verlangt von Mario Gattiker, Chef des Staatssekretariats für Migration (SEM), Erklärungen für die Unregelmässigkeiten in der Altersstruktur der Asylsuchenden. Die von BLICK publizierten Daten würden Fragen aufwerfen, teilte das EJPD gestern mit. Diesen Fragen wolle man auf den Grund gehen. «Denn wir erwarten, dass das SEM seine anspruchsvollen Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt, nämlich professionell, sorgfältig und rechtskonform.»

Bei diesen Gesprächen dürfte auch die Handknochenanalyse zu reden geben. Das SEM vertraut bei der Altersbestimmung von Flüchtlingen diesem Instrument, obwohl es von Medizinern scharf kritisiert wird. Der oberste Kinderradiologe der Schweiz, Georg Friedrich Eich, rät dringend davon ab, die Handknochenanalyse anzuwenden. Zu ungenau seien die Ergebnisse (im BLICK).

Justizministerin  Sommaruga verlangt Erklärungen von ihren Beamten.
Foto: KEY
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Nun erhält Eich mächtige Unterstützung: Auch die FMH, die oberste Standesorganisation der Schweizer Ärzte, stellt sich gegen die Handknochenanalyse. Die FMH stehe «voll und ganz hinter der Meinung» von Eichs Verband, lässt Präsident Jürg Schlup ausrichten.

Selbst beim Bundesverwaltungsgericht ist das SEM mit dem Handröntgenverfahren schon aufgelaufen. In einem Urteil vom Januar dieses Jahres schreiben die St. Galler Richter, die Handknochenanalyse sei im verhandelten Fall ein «gänzlich untaugliches Beweismittel», wenn es um die Frage der Volljährigkeit gehe.

Auch im Bundeshaus kommt das Thema Handknochenanalyse jetzt auf den Tisch. SP-Asylpolitikerin Cesla Amarelle (VD) sagt: «Die von BLICK veröffentlichten Statistiken zeigen eindeutig, dass beim SEM ein Problem mit der Altersbestimmung existiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Handknochenanalyse für dieses Resultat mitverantwortlich ist.» Amarelles Aufforderung an Parteikollegin Simonetta Sommaruga und das SEM: «Das SEM muss aufhören, Handknochenanalysen anzuwenden.» Stattdessen sollten Asylbehörden anhand von psychologischen Gutachten ermitteln, wie reif und schutzbedürftig eine Person ist.

Balthasar Glättli (Grüne, ZH) pflichtet bei: «Aufgrund der Kritik aus der Fachwelt scheint mir klar: Das SEM muss die Handknochenanalyse einstellen und stattdessen alternative Methoden zur Altersbestimmung entwickeln.»

Beide, Amarelle und Glättli, wollen in der nächsten Sitzung der Staatspolitischen Kommis­sion von Sommaruga Erklärungen für die Altersverzerrungen in der Asylstatistik.

Ein Vergleich mit Asylzahlen aus Deutschland wirft hierzu weitere Fragen auf. 2015 kamen besonders viele unbegleitete Minderjährige aus Afghanistan nach Europa. In Deutschland sind 14- bis 17-Jährige in den Statistiken aber deutlich stärker vertreten als in der Schweiz. Ist Deutschland also grosszügiger beim Anerkennen der Minderjährigkeit?

Beim SEM will man den Vergleich nicht gelten lassen. Es gebe keine Grundlage zur Vermutung, die Zusammensetzung der Asylgruppen sei in beiden Ländern identisch.

Auch die Kritik an der Handknochenanalyse sei bekannt, schreibt das SEM weiter. Die Unschärfe dieser Methode werde im Verfahren berücksichtigt. Zudem sei das Resultat einer Handknochenanalyse nur eines – «ein schwaches» – von mehreren Indizien zur Altersbestimmung.

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