Asylunterkünfte werden geschlossen
Schweizer verlieren Jobs, weil weniger Migranten kommen

Die Freude über die sinkenden Flüchtlingszahlen ist nicht bei allen gleich gross. Private, die von den Behörden mit dem Betrieb der Unterkünfte beauftragt wurden, müssen den Gürtel enger schnallen.
Publiziert: 05.10.2018 um 02:32 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 13:22 Uhr
Jan Krumnacker und Pascal Tischhauser

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mussten vor drei Jahren in der ganzen Schweiz innert kürzester Frist neue Asylzentren eröffnet werden. Damals wurden fast 40'000 Asylgesuche gestellt.

Die Zeiten haben sich drastisch geändert: Seither sind die Asylanträge deutlich rückläufig. Für 2018 rechnet der Bund nur noch mit 16'500 Gesuchen. Die Zahl der Personen, die sich noch im Asylprozess befinden, sinkt ebenfalls. Der Ansturm ist vorbei.

Betreibern schmelzen die Einnahmen weg

Was für die öffentliche Hand gute Nachrichten sind – Bund, Kanton und Gemeinden können Millionen sparen – bereitet den privaten Betreibern von den Asylunterkünften Kopfzerbrechen. Ihnen schmelzen jetzt die Einnahmen weg.

Sinkende Flüchtlingszahlen entlasten Bund, Kantone und Gemeinden. Aber private Betreiber von Asylzentren verlieren ihr Geschäft.
Foto: Keystone
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Einer der grössten Player in diesem Feld ist die Schweizer Firma ORS Service AG. Sie betreibt im Auftrag von Bund, mehreren Kantonen und etlichen Gemeinden in der ganzen Schweiz Asylunterkünfte. Auch in Österreich hat die Firma Mandate. Dort musste die ORS Anfang Oktober bereits die Schliessung von sieben der insgesamt zwanzig von ihr betreuten Bundeseinrichtungen hinnehmen.

ORS musste 19 Unterkünfte schliessen

In der Schweiz läuft es nicht viel besser. Seit 2017 musste das Unternehmen in der ganzen Schweiz 19 Asylunterkünfte schliessen. Rund 200 Vollzeitstellen wurden deswegen abgebaut. Nur knapp die Hälfte der Entlassenen konnte innerhalb der Firma weiterbeschäftigt werden.

Als Reaktion versucht die ORS nun ihre Geschäftsfelder zu erweitern. Einerseits will man in neue Märkte ausserhalb des deutschen Sprachraums expandieren, beispielsweise nach Italien. Andererseits soll das Betreuungsangebot für die Asylsuchenden ausgebaut werden.

Auch bei der Caritas, die im Auftrag der Kantone Schwyz und Freiburg mehrere Unterkünfte betreibt, hat man die rückläufigen Zahlen bemerkt. Man versuche aber, den Rückgang so gut wie möglich aufzufangen, heisst es auf Anfrage. Bisher kam das Hilfswerk ohne Entlassungen aus, frei gewordene Stellen würden aber nicht mehr besetzt.

Heilsarmee musste 160 Leute entlassen

Besonders stark leidet die Flüchtlingshilfe der Heilsarmee unter den tiefen Zahlen. Auf dem Höhepunkt der Krise betreute sie in 21 Zentren über 2000 Menschen für den Kanton Bern. «Mittlerweile mussten wir aber stark reduzieren», sagt die Leiterin der Individualunterbringung, Gertrud von Siebenthal. «Im Moment führen wir nur noch zehn Unterkünfte mit rund 850 Asylbewerbern. Weil die Behörden nur pro belegtem Bett bezahlen, sind die Einnahmen entsprechend gesunken.

Das hatte auch Auswirkungen auf die Beschäftigtenzahl. «Wir mussten bereits rund 160 Personen entlassen», sagt von Siebenthal. Jetzt seien noch etwas mehr als 220 Personen in den Zentren angestellt. «Das Aufbauen von Kapazitäten ist immer angenehmer als der Abbau», bedauert sie. Das gehöre aber im Asylbereich zum Geschäft. «Es gibt immer wieder grosse Schwankungen bei den Zahlen.»

Fluchtroute hat sich gen Westen verschoben

Dass in der Schweiz weit weniger Asylgesuche gestellt werden, als noch vor einigen Jahren, hat mehrere Gründe. Einerseits hat die EU die Balkanroute und die zentrale Mittelmeerroute von Afrika nach Italien abgeriegelt. Asylsuchende versuchen nun vermehrt, via Spanien nach Europa zu gelangen. Doch das ist weitaus schwieriger.

Zudem hat die Schweiz verschiedene Massnahmen getroffen, um Asylsuchende mit geringer Aussicht auf einen positiven Bescheid rasch wieder ins EU-Land zurückzuschaffen, in dem sie erstmals europäischen Boden berührt haben. Oder sie gleich ins Herkunftsland zurückzuführen.

So hat sich die Schweiz vom Zielland für Asylsuchende mehr und mehr zum Transitland entwickelt. Zum Beispiel für Eritreer, die wegen der verschärften Schweizer Bewilligungspraxis lieber in Nordeuropa ihr Glück suchen. Und wer von Italien her in die Schweiz einreisen wollte, um weiter im Norden einen Asylantrag zu stellen – in Deutschland oder Schweden – wird seit 2016 an der Schweizer Südgrenze abgewiesen.

Asylreform entlastet Kantone

Kommendes Jahr tritt zudem die grosse Asylreform von Justizministerin Simonetta Sommaruga (58) in Kraft. In grossen Asylzentren des Bundes sollen ab dann rund 60 Prozent aller Asylgesuche innert 140 Tagen rechtskräftig entschieden werden. Nur noch Personen, deren Asylgesuch vertiefte Abklärungen benötigen, werden überhaupt noch an die Kantone weiterverteilt.

Wie die «NZZ am Sonntag» einen Sprecher des Bundesamts für Migration (SEM) zitierte, gehen die Zahlen der Asylbewerber, die das SEM den Kantonen zuweist, schon heute zurück. So hat das SEM im August gerade mal 541 Personen den Kantonen zugewiesen. 92 davon nach Zürich und nach 15 Graubünden. Noch im Jahr 2015, als die Schweiz fast so hohe Asylzahlen verzeichnete wie beim Kosovokrieg 1999, wurden Zürich in einem einzigen Monat fast 1000 Asylbewerber zugewiesen.

Bei der nächsten Krise steigen die Zahlen wieder

Weil also schon jetzt nur noch wenige Asylbewerber auf Kantone und Gemeinden verteilt werden und weil wegen der Asylreform ohnehin nur noch 40 Prozent der Asylsuchenden in die Kantone weitergeleitet werden, macht es Sinn, in den Kantonen Anlagen zu schliessen.

Der Ausblick sei aber unsicher, meint Heilsarmee-Sprecherin von Siebenthal. «Im Moment sehen die Zahlen stabil aus.» Aber die Auswirkungen der Neustrukturierung des Asylwesens, die im Frühjahr 2019 in Kraft treten soll, könne man noch nicht abschätzen. «Und wenn irgendwo auf der Welt eine grosse Krise ausbricht, können die Zahlen sehr schnell wieder ansteigen.»

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