Ausbildung muslimischer Seelsorger
«Das ist nun mal kein Kochkurs!»

In Zürich läuft der erste Lehrgang für islamische Seelsorger – 2019 soll es ein schweizweites Angebot geben. Zu Besuch im Klassenzimmer.
Publiziert: 24.10.2018 um 20:55 Uhr
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Aktualisiert: 24.10.2018 um 20:57 Uhr
Dilek Ucak- Ekinci beim ersten Lehrgang für muslimische Seelsorger im Kanton Zürich.
Foto: Siggi Bucher
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Thomas Schlittler

Samstagmorgen im Zürcher Kreis 5: Die Schulmappe unter dem Arm, sprintet eine junge Frau mit Kopftuch und knöchellangem Gewand über einen Kiesplatz. Ein Mann mit angegrautem Bart hält ihr die Glastür auf. «Vielen Dank», sagt sie schwer atmend, ihre Pausbacken leuchten.

Die beiden sind Muslime – und Klassenkameraden. Sie besuchen den Weiterbildungslehrgang «Muslimische Seelsorge und Beratung im interreligiösen Kontext». Es ist der erste solche Studiengang in der Schweiz, der sich ausschliesslich an Muslime richtet. Acht Kurstage dauert der theoretische Teil, danach folgt ein Praktikum.

24 haben sich für den Lehrgang beworben, die Hälfte wurde genommen – sechs Frauen, sechs Männer. Ihr Alter, ihre Muttersprache und ihre Biografien sind völlig unterschiedlich: Da ist der junge Bosnier, der in der Schweiz aufgewachsen ist, perfekt Schweizerdeutsch spricht und an der Universität Zürich Islamwissenschaften studiert. Neben ihm sitzt der ältere Herr aus Mazedonien, der seit vielen Jahren als Imam tätig ist, dessen Deutsch aber nur schwer zu verstehen ist, dazwischen eine Schweizerin, die vor 20 Jahren zum Sufismus konvertierte, einer spirituellen Strömung des Islams, die von vielen Muslimen als Sekte verachtet wird. Sie ist die einzige der sechs Frauen, die kein Kopftuch trägt.

Anspannung bei den Verantwortlichen

Durchgeführt wird der Lehrgang vom Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG), das zur Universität Freiburg gehört, Ini­tiant ist der Kanton Zürich. «Das Ziel sind professionell ausgebildete muslimische Seelsorger, die sich in Spitälern, Heimen und bei Notfall­einsätzen um das Seelenwohl der rund 100'000 Muslime im Kanton kümmern», sagt Deniz Yüksel von der Zürcher Fachstelle Integration.

Der Schulungsraum ist, wie so viele im Land, unpersönlich, fast steril. Auch das Verhalten der Schüler unterscheidet sich kaum von anderen Klassen: Einige machen fleissig Notizen, stellen Fragen und diskutieren engagiert mit. Andere spielen gelangweilt mit einem Stift und scheinen in ihrem Stuhl fast einzuschlafen.

Dass SonntagsBlick zu Besuch ist, sorgt für Anspannung, vor ­allem bei einigen Projektverantwortlichen. Im Vorfeld wollen sie genau wissen, was die Zielrichtung des Artikels ist. In mehreren Telefonaten wird geklärt, wer wie fotografiert werden darf und wer für ein Gespräch zur Verfügung steht.

Als sich der Journalist über das komplizierte Getue beschwert, platzt es aus dem Kursverantwortlichen heraus: «Das ist nun mal kein Kochkurs!»

Spitäler haben Interesse an gut ausgebildeten muslimischen Seelsorgern

Der Grund für die Nervosität ist klar: Die Verantwortlichen wissen, dass der Islam und alles, was damit zu tun hat, extrem polarisiert, dass sie deshalb im Fokus stehen.

Erster Referent ist heute Settimio Monteverde, Ethiker am Unispital Zürich. Er bespricht mit der Klasse ein Beispiel aus der Praxis, bei dem Ärzte und Pfleger aufgrund kultureller Barrieren mit ihren Fragen nicht zu einer Patientin durchdrangen. «Als muslimische Seelsorger könnten Sie in einem solchen Fall Türöffner sein!»

Nicht nur das Unispital Zürich hat ein Interesse an gut ausgebildeten muslimischen Seelsorgern. Auch das Berner Inselspital sowie die Kantonsspitäler Luzern und St.Gallen bestätigen, dass in diesem Bereich Nachholbedarf bestehe.

SZIG-Direktor Hansjörg Schmid will Abhilfe schaffen. Er hat das Ziel, ab nächstem Herbst muslimische Seelsorger für die ganze Schweiz auszubilden, nicht nur für den Kanton Zürich: «Wir haben beim Bund Unterstützung beantragt, um ein solches Angebot auf die Beine zu stellen.» Die Chancen, dass Geld gesprochen wird, stehen nicht schlecht. Denn der Ende 2017 publizierte Nationale Aktionsplan zur Verhinderung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus (NAP) sieht als eine Massnahme die «Aus- und Weiterbildung für religiös tätige Betreuungspersonen» vor.

Auch Armee zeigt Interesse

Nicht nur Spitäler haben Bedarf an muslimischen Seelsorgern, auch die Schweizer Armee beschäftigt sich mit dem Thema. «Die Verantwortlichen der Armee-Seelsorge haben ihr Interesse signalisiert. Wir sind ebenfalls im Gespräch», sagt Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft. Konkrete Pläne für muslimische Seelsorger in der Armee gibt es aber noch nicht. Die Schwierigkeit ist, dass für die Armee nur muslimische Seelsorger in Frage kommen, die Militärdienst geleistet haben.

Nicht nur Spitäler haben Bedarf an muslimischen Seelsorgern, auch die Schweizer Armee beschäftigt sich mit dem Thema. «Die Verantwortlichen der Armee-Seelsorge haben ihr Interesse signalisiert. Wir sind ebenfalls im Gespräch», sagt Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft. Konkrete Pläne für muslimische Seelsorger in der Armee gibt es aber noch nicht. Die Schwierigkeit ist, dass für die Armee nur muslimische Seelsorger in Frage kommen, die Militärdienst geleistet haben.

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Radikalisierung und gewalttätiger Extremismus – in der Zürcher Ausbildung gehören diese Aspekte nicht zum unmittelbaren Unterrichtsstoff. Auch die Teilnehmer reden nicht gerne darüber.

Referenz­auskünfte eingeholt

Doch dass sie keinen Lehrgang wie alle anderen besuchen, bekamen die Teilnehmer schon im Vorfeld zu spüren. Um sicherzustellen, dass keine religiösen Fundamentalisten unter den angehenden Seelsorgern sind, liess der Kanton Zürich jeden Bewerber durchleuchten: Die Polizei führte eine Personensicherheitsüberprüfung durch, es wurden Referenz­auskünfte eingeholt, die Psyche der Kandidaten in einem Online-Assessment sowie im persönlichen Gespräch unter die Lupe genommen.

Nicht alle Teilnehmer hatten Freude an diesem Prozedere. «Die Untersuchung war nicht schön», gibt Kursteilnehmerin Dilek Ucak-Ekinci offen zu. «Nur weil ich Muslimin bin, stand ich unter dem Verdacht, dass ich die Gesellschaft gefährden könnte.»

Ucak-Ekinci ist an diesem Morgen auch Dozentin. Sie erzählt von ihren Erfahrungen als Seelsorgerin in einer Frauenklinik. SonntagsBlick fragt: «Sehen Sie die Ausbildung muslimischer Seelsorger auch als Schritt, einen moderaten Islam in die Schweiz zu integrieren und das Feld nicht religiösen Fundamentalisten zu überlassen?»

Ucak-Ekinci schüttelt den Kopf und sagt mit einem Schmunzeln: «Nein, das hat damit wenig zu tun. Wer im Spital liegt, hat in der Regel schon genug Sorgen und keine Lust, sich zu radikalisieren ...»

Ziel: Ein Schweizer Islam

In den grossen Schweizer Spitälern ist man sich ­einig: Muslimische Seelsorger braucht das Land –und zwar professionell ausgebildete! Sie sollen helfen, wenn Ärzte und Pfleger aufgrund kultureller Barrieren nicht an einen Patienten herankommen. Und sie sollen sicherstellen, dass Muslime einen kompetenten Ansprechpartner haben, wenn im Spital spirituelle Fragen auftauchen.

Der Kanton Zürich macht nun vorwärts. In Zusammenarbeit mit der Uni Freiburg werden seit September die ersten muslimischen Seelsorger ausgebildet. 2019 soll der Lehrgang landesweit angeboten werden.

Diese Bestrebungen werden nicht allen gefallen. ­«Islamisierung!», werden einige rufen. Doch die ­Islamkritiker sollten sich vor Augen halten: Der Islam ist Teil der Schweiz. Rund fünf Prozent der Wohnbevölkerung sind Muslime. Ob es einem passt oder nicht: Sie werden hier bleiben. Relevant ist deshalb nur die Frage: Wie gehen wir mit dieser Situation um?

Sollen wir die Muslime ignorieren, diffamieren und ausgrenzen? Oder vielleicht doch besser offen auf sie zugehen und sie in unsere Gesellschaft integrieren? Ist es uns lieber, dass irgendwo in einem Hinterzimmer radikale Prediger ihre menschenverachtende Weltsicht verbreiten? Oder ist es nicht gescheiter, auf die moderaten Kräfte zuzugehen und so ihren Einfluss zu stärken?

Der Islam ist in der Schweiz. Doch das Ziel muss sein, dass es in Zukunft einen Schweizer Islam gibt. Einen moderaten Islam, der sich mit unseren Werten verträgt. Die Aus­bildung muslimischer Seelsorger ist ein erster kleiner Schritt in diese Richtung.

In den grossen Schweizer Spitälern ist man sich ­einig: Muslimische Seelsorger braucht das Land –und zwar professionell ausgebildete! Sie sollen helfen, wenn Ärzte und Pfleger aufgrund kultureller Barrieren nicht an einen Patienten herankommen. Und sie sollen sicherstellen, dass Muslime einen kompetenten Ansprechpartner haben, wenn im Spital spirituelle Fragen auftauchen.

Der Kanton Zürich macht nun vorwärts. In Zusammenarbeit mit der Uni Freiburg werden seit September die ersten muslimischen Seelsorger ausgebildet. 2019 soll der Lehrgang landesweit angeboten werden.

Diese Bestrebungen werden nicht allen gefallen. ­«Islamisierung!», werden einige rufen. Doch die ­Islamkritiker sollten sich vor Augen halten: Der Islam ist Teil der Schweiz. Rund fünf Prozent der Wohnbevölkerung sind Muslime. Ob es einem passt oder nicht: Sie werden hier bleiben. Relevant ist deshalb nur die Frage: Wie gehen wir mit dieser Situation um?

Sollen wir die Muslime ignorieren, diffamieren und ausgrenzen? Oder vielleicht doch besser offen auf sie zugehen und sie in unsere Gesellschaft integrieren? Ist es uns lieber, dass irgendwo in einem Hinterzimmer radikale Prediger ihre menschenverachtende Weltsicht verbreiten? Oder ist es nicht gescheiter, auf die moderaten Kräfte zuzugehen und so ihren Einfluss zu stärken?

Der Islam ist in der Schweiz. Doch das Ziel muss sein, dass es in Zukunft einen Schweizer Islam gibt. Einen moderaten Islam, der sich mit unseren Werten verträgt. Die Aus­bildung muslimischer Seelsorger ist ein erster kleiner Schritt in diese Richtung.

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