Aussage von SVP-Dettling im Faktencheck
Ist der Klimawandel für Bauern wirklich «nicht schlecht»?

«Lieber wärmer als kälter»: Der designierte SVP-Präsident Marcel Dettling hält die Folgen des Klimawandels auf die Landwirtschaft für halb so tragisch. Überwiegen die Vorteile tatsächlich?
Publiziert: 20.02.2024 um 19:24 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2024 um 15:32 Uhr
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Markus Ritter (56) muss lachen, als er den Satz hört. «Für die Bauern ist die Klimaerwärmung nicht schlecht», behauptete Marcel Dettling (43), designierter SVP-Präsident, jüngst in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Und fügte seine persönliche Meinung an: «Es ist mir lieber, wenn es wärmer wird als kälter.»

Ritter, Mitte-Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands, kann nicht verhehlen, was er von diesen Aussagen hält – auch wenn er seine Worte mit Bedacht wählt. Er selbst sehe das, meint der Ostschweizer, sicher «differenzierter».

Gemäss dem Bauernverband mag der Klimawandel zwar tatsächlich auch positive Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben. Kurzfristig jedenfalls. «Mittelfristig dürften die negativen Effekte des Klimawandels auf die Landwirtschaft auch bei optimistischem Szenario (konsequenter Klimaschutz) klar überwiegen», hält der Verband in einem Bericht fest – und widerspricht Bauer Dettling damit.

Die vermehrte Trockenheit bereitet Bauern Sorgen. Sie ist eine Folge der Klimaerwärmung.
Foto: keystone-sda.ch
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Doch was sind diese negativen Effekte? Und wo kann die Landwirtschaft von der Klimaerwärmung profitieren?

Die Vorteile

Durch die Klimaerwärmung verlängert sich die sogenannte Vegetationsperiode – die Zeit, in der eine Pflanze wachst und gedeiht. In den vergangenen 60 Jahren ist sie laut Bund um zwei bis vier Wochen länger geworden. Bei gewissen Kulturen wie Reben oder auch für Betriebe im Berggebiet könne das von Vorteil sein, sagt Christoph Carlen. Der Wissenschaftler leitet den Forschungsbereich Produktionssysteme Pflanzen bei Agroscope, dem landwirtschaftlichen Forschungszentrum des Bundes. Ist es trockener, kann zudem das Risiko minimiert werden, dass Pflanzen faulen oder von einem Pilz befallen werden.

Ein weiterer positiver Effekt: Es können neue Kulturen angebaut werden. Weinbauern können auf neue Rebsorten setzen, auf den Äckern wächst vermehrt Soja, Hirse, Quinoa oder die Kirchererbse. Höhere Temperaturen können sich laut Bauernverband zudem positiv auf die Erträge von Tierfutter oder Mais auswirken. Er könnte mehr Tiere halten, ohne Futter zukaufen zu müssen, sagt SVP-Nationalrat Dettling.

Die Nachteile

Der Klimawandel hat aber auch zur Folge, dass die Trockenperioden im Sommer länger werden. Felder müssen vermehrt bewässert werden. Weil sich die Bewässerung von Grünland wirtschaftlich allerdings kaum lohne, ist es laut Bauernverband wahrscheinlich, dass langfristig nicht mehr, sondern weniger Futtermittel produziert wird. Engpässe im Sommer seien zu erwarten.

Der Wasserverbrauch der Pflanzen steigt, worunter laut Forscher Carlen beispielsweise Kulturen wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Mais litten. Kartoffelbauern klagen seit Jahren über sinkende Ernteerträge. Nicht überall ist die Bewässerung möglich, weshalb Pflanzen gezüchtet werden müssen, die besser mit Trockenheit und Hitze zurechtkommen.

Mildere Winter seien zudem schlecht für das Wintergetreide, führt der Bauernverband an. Denn dieses sei auf ausreichend lange Kälteperioden angewiesen. Ein Risiko stellt auch die Zunahme von Spätfrösten dar.

Umgekehrt ist auch zu viel Wasser ein Problem. Heftige Niederschläge, Überschwemmungen oder Unwetter werden häufiger. Längere Nass-Perioden im Frühjahr oder Herbst dürften öfters auftreten, so Carlen. Schädlinge können sich besser ausbreiten.

«Gleichzeitig wird der Schutz der Tiere vor Hitzestress und Wassermangel an Bedeutung zunehmen, um das Risiko von Leistungseinbussen und Krankheiten zu vermeiden», so der Bauernverband.

Das Fazit

Wie stark ein Bauernbetrieb die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. «Betriebe in höheren und eher feuchten Lagen im Berggebiet haben wohl eher Vorteile», sagt Agroscope-Forscher Carlen. Betriebe im westlichen Mittelland mit trockeneren Bedingungen seien hingegen mit bedeutend mehr Nachteilen konfrontiert.

Dettling hat folglich vor allem für sich selbst gesprochen, wenn er sagt, dass die positiven Aspekte des Klimawandels überwiegen. Sein Hof im Hoch-Ybrig liegt auf 1100 Metern über Meer. Liesse er den Blick etwas weiter schweifen, müsste er seine Meinung wohl revidieren.


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