Avenir Suisse will Agrarsektor umkrempeln
Kahlschlag im Bauern-Paradies

Der Agrarkomplex verursache Kosten von 20 Milliarden Franken jährlich, moniert die liberale Denkfabrik Avenir Suisse. Eine neue radikale Agrarpolitik mit weniger Staatsgeldern für die Bauern und mehr Freihandel soll das ändern.
Publiziert: 07.09.2018 um 05:09 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 22:32 Uhr
So geht liberale Agrarpolitik
1:58
Peter Grünenfelder im BLICK-Interview:So geht liberale Agrarpolitik
Ruedi Studer

Mitten in die Diskussion um die beiden Agrar-Initiativen platzt die Denkfabrik Avenir Suisse mit brisanten Vorschlägen. Sie will die Agrarpolitik von Grund auf umkrempeln und liberalisieren.

Für den liberalen Thinktank ist nämlich klar: Der Agrarbereich belastet die öffentliche Hand nicht nur mit direkten Kosten von gut 4 Milliarden Franken jährlich (zum Beispiel über Direktzahlungen). Sondern auch mit indirekten Kosten wie Umweltschäden oder verpassten Exportchancen aufgrund der Marktabschottung.

Agrarkomplex kostet 20 Milliarden Franken

Zudem legt die Denkfabrik ein «Privilegien-Register» vor, in welchem sie jeden Einzelposten an Zuschüssen oder Vergünstigungen für den Agrarbereich  feinsäuberlich auflistet. Diese Privilegien reichen von Geldern für die Absatz- und Exportförderung über Vergünstigungen bei der Mehrwert- oder Treibstoffsteuer bis hin zu einem tiefer angesetzten Eigenmietwert.

Das Ergebnis: «Die volkswirtschaftlichen Kosten der Agrarpolitik betragen rund 20 Milliarden Franken pro Jahr», schreibt Avenir Suisse. 

4,3 Milliarden Franken entfallen dabei auf die direkten Kosten. Die Abschottungskosten werden auf 7,2 Milliarden Franken veranschlagt. Dazu gehören etwa höhere Lebensmittelpreise (3,7 Milliarden) sowie «verpassten Chancen» für die Schweizer Exporteure aufgrund fehlender Freihandelsabkommen (3,1 Milliarden). Bei den Umweltkosten resultiert gar ein Kostenhammer von 7,9 Milliarden.

Nimmt man nun die Kosten, die Steuerzahler und Konsumenten zu tragen haben, kommt Avenir Suisse auf eine Belastung von «2572 Franken pro Haushalt und Jahr».

Nur 0,7 Prozent des BIP

Kommt hinzu, dass der Agrarsektor mit 3,1 Prozent der Beschäftigten (über 150'000 Personen) nur 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet. «Im Vergleich zur restlichen Wirtschaft ist die Produktivität stark unterdurchschnittlich», schreiben die Autoren. «Die Landwirtschaft erreicht nur 23 Prozent der durchschnittlichen Produktivität.» 

Trotz hoher Subventionen und Grenzschutz halte das Bauernsterben aber weiter an, stellt Avenir Suisse fest. Die Denkfabrik kommt deshalb zum Schluss, dass die Agrarpolitik bis 2030 radikal liberalisiert werden muss. 

Zehn-Punkte-Programm für neue Agrarpolitik

Dafür legt sie ein Zehn-Punkte-Programm vor:

  • Freihandel statt Grenzschutz: Möglichst rasch sollen neue Freihandelsabkommen ausgehandelt werden, welche nicht durch Agrarhürden blockiert werden dürfen. Stattdessen soll die Schweiz eine aktive Marktöffnungsstrategie verfolgen. Importzölle auf ausländische Agrargüter sollen schrittweise sinken oder gar gänzlich fallen. 
  • Direktzahlungen streichen: Auf strukturerhaltende Ausgaben – wie etwa Direktzahlungen – sollen Bund und Kantone künftig verzichten. Auch Privilegien wie der tiefere Eigenmietwert, zinslose Investitionsdarlehen oder Steuervergünstigungen sollen wegfallen.
  • Absatzförderung kippen: Ausgaben für die Absatz- und Exportförderung (zum Beispiel Werbekampagnen) sollen schrittweise abgebaut werden.
  • Abgeltung für gemeinwirtschaftliche Leistungen: Heute zahlt der Bund 2,8 Milliarden an Direktzahlungen, welche auch gemeinwirtschaftliche Leistungen abgelten. Auch hier will Avenir Suisse das Messer ansetzen und die Abgeltung auf gut 1,4 Milliarden Franken beschränken. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen würden im Sinne eines «Service public agricole» erbracht – wobei nicht zwingend Landwirte diese Aufgabe übernehmen müssten.
  • Versorgungssicherheit neu definieren: Die Versorgungssicherheit soll nicht auf eine möglichst hohe Inlandporduktion im Normalfall ausgerichtet sein, sondern auf eine höhere Flexibilität. Etwa durch die Einführung strategischer Reserven, auf die im Krisenfall zurückgegriffen werden könnte.
  • Deregulierung: Die Agrarbürokratie umfasst mittlerweile über 4000 Seiten an gesetzen und Verordnungen. Diese Regulierungsdichte soll massiv abgebaut, der unternehmerische Freiraum erweitert werden.
  • Reform des Bodenrechts: Das landwirtschaftliche Bodenrecht soll reformiert werden. Um den Sektor auch für Quereinsteiger zu öffnen, dürften Höfe nicht mehr nur zum landwirtschaftlichen Ertragswert übergeben werden. Die Mehrwertabschöpfung bei Umzonungen soll erhöht werden.
  • Umweltschutzmassnahmen: Die Produktion soll standortgerechter und mit Lenkungsabgaben und technischer Innovation auch umweltgerechter werden. Der Strukturwandel (mit weniger Betrieben) soll auch zu tieferer Umweltbelastung führen.
  • Agrarbremse: Damit der Abbau des Grenzschutzes durch die Bauern nicht gebremst wird, soll eine Agrarbremse eingeführt werden. Sprich: Blockiert die Agrarlobby neue Freihandelsabkommen, soll weniger Staatsgeld in die Landwirtschaft fliessen. 
  • Griffigere Fusionskontrolle: Um den Wettbewerb im Detailhandel zu intensivieren und zukünftige Übernahmen besser kontrollieren zu können, plädiert Avenir Suisse für eine griffigere Fusionskontrolle.

Bauern sollen «gute Unternehmer» sein

Für Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder ist klar: «Wir müssen die Diskussion führen, in welche Zukunft unsere Landwirtschaft gehen soll.» Im BLICK-Video-Interview erklärt er sein Ziel: «Bauern sollen gute Unternehmer sein können.»

Das sei mit der heutigen Überregulierung nicht möglich. «Die Bauern sind in einem so engen Geflecht, dass sie gar nicht erfolgreich sein können», so Grünenfelder.

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