Bärfuss, Lüscher und Abonji kritisieren «unmenschliche» Corona-Politik
«Wo ist unsere Trauer?»

Schriftsteller, Filmemacherinnen und Musiker machen Druck auf den Bundesrat. In einem Protestbrief fordern sie strengere Corona-Massnahmen – und weniger Gleichgültigkeit gegenüber den Toten.
Publiziert: 11.12.2020 um 13:11 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2021 um 10:03 Uhr
Ladina Triaca

Es sind scharfe Worte an die Adresse der Politik: In einem Protestbrief kritisieren bekannte Schweizer Kulturschaffende wie die Autoren Lukas Bärfuss (48, «Malinois»), Jonas Lüscher (44, «Kraft»), Adolf Muschg (86, «Im Sommer des Hasen») und Regisseurin Bettina Oberli (48, «Die Herbstzeitlosen») die «unmenschliche Politik» von Bund und Kantonen.

Statt die Bevölkerung vor Krankheit und Tod zu schützen, legten die politischen Entscheidungsträger eine «inakzeptable moralische Indifferenz» an den Tag, schreiben die Intellektuellen. «Offenbar werden die zahlreichen Todesopfer kaltschnäuzig einkalkuliert.» Es entstehe gar der Eindruck, dass das Leben älterer Menschen weniger schützenswert sei als dasjenige der jüngeren.

Unerträgliche Gleichgültigkeit

Initiiert hat den Brief, den inzwischen über 4000 Menschen unterschrieben haben, die Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji (52, «Tauben fliegen auf»), die 2010 sowohl den Deutschen als auch den Schweizer Buchpreis erhielt. «In den letzten Wochen war ich sprachlos, manchmal wütend, aber oft auch traurig», sagt sie.

Sie hat den Protestbrief an die Politik lanciert: Die Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji (52), die 2010 den Deutschen und den Schweizer Buchpreis gewann.
Foto: Thomas Meier
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Die Gleichgültigkeit, mit der die inzwischen über 5000 verstorbenen Menschen hingenommen würden, habe sie tief erschüttert – und dazu bewogen, den Aufruf zu schreiben. «Ich frage mich: Wo ist unsere Trauer? Und warum ist im öffentlichen Diskurs die aufrichtige Anteilnahme kaum präsent?»

«Zynische Blockadepolitik»

Ins Visier nehmen die Kulturschaffenden insbesondere die bürgerlichen Parteien sowie die zahlreichen Kantone, die eine «zynische Blockadepolitik» betreiben würden. Die Unterzeichnenden fordern stattdessen, dass der Bundesrat das Corona-Regime heute Freitag verschärft, um die Fallzahlen zu drücken. Diskutiert werden im Gremium etwa Restaurant-Schliessungen ab 19 Uhr oder eine Fünf-Personen-Grenze für private Treffen.

Am Mittwoch gedachte das Parlament erstmals mit einer Schweigeminute den Tausenden Opfern der Pandemie. «Viel zu spät», wie Abonji findet. Schliesslich sei es auch die Aufgabe der Politik, aufrichtige und mitfühlende Worte für die Angehörigen zu finden. Das sei nicht passiert: «Auch die Bundesräte habe ich in den vergangenen Monaten kaum gespürt.»

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