Patricia Danzi über die Leidtragenden der Hungerkrise und mögliche Hilfen
Schweizer Diplomatin in der Hölle von Sudan

Deza-Chefin Patricia Danzi ist eben aus dem Sudan zurückgekehrt. Im Interview erzählt sie von der Hungerkatastrophe im Land, was die Schweiz tun kann und wer besonders leidet.
Publiziert: 11.07.2024 um 18:05 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2024 um 09:50 Uhr
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Sophie ReinhardtRedaktorin Politik

Ein militärischer Machtkampf bringt den Sudan an den Rand des Abgrunds. 25 Millionen Menschen hungern, Hilfe kommt bei der Zivilbevölkerung kaum noch an. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Konflikt inzwischen 16'000 Tote und 33'000 Verletzte gefordert. Es handle sich um die derzeit grösste humanitäre Krise der Welt, sagen Experten.

Patricia Danzi (55), die Chefin der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), hat sich selbst einen Eindruck von der Lebensrealität der Menschen im Sudan verschafft. Im Interview erzählt sie von ihren Erlebnissen.

Blick: Sie sind soeben von Ihrer Sudan-Reise zurückgekehrt. Mit welchen Erwartungen sind Sie hingeflogen?
Patricia Danzi: Ich wollte mir selbst ein Bild vor Ort machen. Wegen der andauernden Kämpfe in Darfur und rund um Khartum und anderen Städten habe ich eine steigende Zahl von Binnenflüchtlingen erwartet. Dass wir zu hören kriegen, dass die Wirtschaft zusammengebrochen ist und viele Familien erzählen, dass sie alles verloren haben. Und ich habe erwartet, dass nur wenige viele Hilfsorganisationen im ganzen Land Zugang haben. Leider haben sich meine Erwartungen mehrheitlich bestätigt.

Deza-Chefin Patricia Danzi reiste für knapp eine Woche in den kriegsgeplagten Sudan.
Foto: X/Swiss Development and Cooperation
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Persönlich

Patricia Danzi (55) ist die erste Frau an der Spitze der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Seit 2020 ist sie die Direktorin und damit oberste Entwicklungshelferin. Danzi studierte in Lincoln, Nebraska und Zürich und spricht sieben Sprachen. Als Leichtathletin vertrat sie die Schweiz 1996 an den Olympischen Sommerspielen.

Patricia Danzi (55) ist die erste Frau an der Spitze der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Seit 2020 ist sie die Direktorin und damit oberste Entwicklungshelferin. Danzi studierte in Lincoln, Nebraska und Zürich und spricht sieben Sprachen. Als Leichtathletin vertrat sie die Schweiz 1996 an den Olympischen Sommerspielen.

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Was wollten Sie vor Ort sich ansehen?
2021 planten wir, mit anderen Bundesämtern ein neues Kooperationsprogramm mit der zivilen Übergangsregierung zu starten. Nach der Machtübernahme des Militärs mussten wir das letztes Jahr auf Eis legen. Die Schweizer Botschaft wurde aus Sicherheitsgründen im April 2023 evakuiert, damit auch unser Büro vor Ort. Nach Kriegsausbruch haben wir vermehrt Flüchtlinge in den Nachbarländern unterstützt, also etwa im Tschad, Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik oder Äthiopien.

Wie will die Schweiz den Menschen vor Ort nun helfen?
Viele, die vom Krieg betroffen sind, sind Leute wie Sie und ich. Sie hatten bis vor kurzem einen Job, finanzierten ihr Leben selbst und kamen oft für den Lebensunterhalt der erweiterten Familie auf. Plötzlich sind sie zu Flüchtlingen geworden. Wir unterstützen weiterhin lokale Organisationen, die vor Ort in der Grundversorgung arbeiten, vor allem im Gesundheitswesen, aber auch in der Landwirtschaft. Ein Lichtblick sind die Frauen. Viele halten sehr wichtige Positionen inne, übernehmen Verantwortung, arbeiten oft auch als Freiwillige und halten das soziale Gefüge zusammen. Die Schweiz spricht mit allen Parteien und unterstützt Friedensbemühungen. Je schneller der Krieg zu Ende ist, desto schneller können die Binnenflüchtlinge ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Das trifft vor allem auf die Mittelschicht zu, die aus den Städten geflohen ist.

Im Sudan herrscht die schlimmste Hungerkatastrophe seit 20 Jahren, wie hat sich das Ihnen gezeigt?
In den Klinken hat man uns bestätigt, dass vermehrt unterernährte Menschen behandelt werden. Zudem müssen viele Familien priorisieren, auch bei den Mahlzeiten. Fakt ist leider, dass oft die Mädchen hinten anstehen müssen. Man findet zwar noch Güter auf den Märkten, das habe ich vor Ort gesehen. Die Preise für Lebensmittel und grundsätzlich alles sind jedoch derart rasant angestiegen, dass vieles unerschwinglich bleibt. Für uns heisst das jedoch auch, dass die Unterstützung angepasst werden kann. Geld statt Hilfspakete, damit die Leute das erwerben können, was sie am dringendsten benötigen.

Familien, die aus Singa, der Hauptstadt des südöstlichen sudanesischen Bundesstaates Sennar, geflohen sind, lassen sich am 6. Juli in einem Behelfslager für Vertriebene in Kassala im Ostsudan nieder.
Foto: AFP

Wie war es Ihnen überhaupt möglich, ins und im Land zu reisen?
Wir sind von der Schweiz über Kairo nach Port Sudan geflogen. Dieser Flughafen ist offen. Von dort ging es mit dem Auto Richtung Atbara und Shendi, zwei Autostunden von Khartum entfernt. Dort wird noch immer gekämpft. Wir waren mit einer Partnerorganisation unterwegs, die alle Kriegsparteien über unsere Route informierte.

Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?
Es gab immer wieder Dinge, die mich sehr stark berührt haben. Die meisten Flüchtlinge versuchen bei Gastfamilien oder Bekannten unterzukommen. Ein Teil ist auch in Schulen oder in Gebäuden untergebracht, die nicht gebraucht werden. Und dort herrschen wirklich sehr schlechte Bedingungen. Viele schämen sich, dass sie in einer solchen Situation sind und Hilfe annehmen müssen. Ich habe mich oft gefragt, wie ich wohl handeln würde, wenn mir das Ähnliches passieren würde? Bei vielen Vertriebenen handelt es sich um Menschen aus den grossen Städten, aus der Mittelklasse. Es sind gut ausgebildete Leute. Sie werden versuchen, aus dem Sudan auszureisen, wenn der Krieg anhält. Dann ist mit weiteren grossen Flüchtlingsbewegungen zu rechnen.

Die Spitzendiplomatin half gleich mit: Patricia Danzi beim Impfen eines Tieres. Mit solchen Landwirtschafts-Projekten unterstützt die Schweiz die Bevölkerung.

Die Entwicklungshilfe der Schweiz ist unter Druck. Der Ständerat will sie um 2 Milliarden kürzen und das Geld stattdessen für die Armee ausgeben. War das vor Ort ein Thema?
Es war Thema, dass der Sudan generell nicht genug internationale Unterstützung erhält. Wir konnten letztes Jahr Menschen aus dem Sudan mit 64 Millionen Franken unterstützen, vor allem in den Nachbarländern. Dieses Jahr haben wir bis jetzt 19 Millionen gesprochen. Der Sudan braucht wirklich mehr Unterstützung und Aufmerksamkeit, das kann ich nach dem meinem Besuch vor Ort bestätigen.

Die Staatssekretärin für Wirtschaft hat bereits öffentlich von den negativen Folgen des Ständeratsentscheids gewarnt. Teilen Sie ihre Sorge?
Ja, die teile ich, sollte sich der Entscheid durchsetzen. Im Moment ist noch nichts definitiv entschieden. Der Ständeratsentscheid zielte darauf ab, aufzuzeigen, wo man das Geld für die Aufstockung der Armee beschaffen könnte. Das Geschäft ist nun beim Nationalrat. Dessen Kommissionen müssen sich dazu noch äussern.

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