«Darlehen sind nett aber nicht nachhaltig»
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Hotellier fordert Lösung:«Darlehen sind nett aber nicht nachhaltig»

Betriebe am Limit
Doch Hilfe kommt erst 2021

Unter Druck geraten, will der Bundesrat die Gelder für Härtefälle bereits per 1. Dezember auszahlen. Dennoch werden die meisten Betroffenen länger warten müssen.
Publiziert: 08.11.2020 um 11:58 Uhr
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Aktualisiert: 12.11.2020 um 23:07 Uhr
Dana Liechti, Milena Stadelmann, Camilla Alabor und Simon Marti

Das volle Ausmass der Krise schlägt erst dieser Tage richtig durch: niedrige Temperaturen haben die Sorglosigkeit des Sommers vertrieben, die zweite Welle der Corona-Pandemie hat voll eingeschlagen und vielen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals – denn die Unterstützungszahlungen aus dem Frühjahr sind ausgelaufen.

Und doch wollte der Bundesrat erst per Februar 2021 ein neues Hilfsprogramm für Härtefälle in Kraft setzen.

Parlamentarier und Sozialpartner zeigten für dieses gemächliche Vorgehen kein Verständnis. Unter grossem Druck stellte Finanzminister Ueli Maurer (69) am Mittwoch das Härtefallprogramm vor, mit dem er die Kantone unterstützen will. Und siehe da: Die Hilfsgelder sollen nun bereits am 1. Dezember fliessen!

Gähnende Leere: Viele Restaurants haben aktuell kaum Gäste.
Foto: imago images/Kirchner-Media
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Kantone sind nicht bereit für Regelung

Insgesamt 400 Millionen Franken an Bürgschaften, Darlehen und nicht rückerstattbaren Beiträgen sind vorgesehen; als Empfänger stehen Betriebe aus der Event- und Reisebranche im Vordergrund; Maurer machte jedoch klar, dass der Kreis der Berechtigten noch ausgeweitet werden dürfte.

Gute Nachrichten also für Clubbetreiber, Wirtinnen, Hoteliers und Reisebüro-Inhaber. Nur: Die meisten von ihnen werden am 1. Dezember keinen Rappen sehen. Denn für die Umsetzung des Programms sind die Kantone zuständig – und die sind noch längst nicht bereit. Meistens braucht die Soforthilfe ein neues Gesetz; dann läuft erst noch die Referendumsfrist.

Deshalb rechnet man zum Beispiel in Zürich damit, dass erste Gelder «Ende Januar, Anfang Februar» fliessen.

Bern schliesst zügige Umsetzung aus

Besser ist die Ausgangslage in Bern. Wie in zwei weiteren Kantonen verfügt man dort bereits über eine rechtliche Grundlage für Soforthilfen. Doch ausgerechnet Bern schliesst eine zügige Umsetzung aus – und übt Kritik am Bundesrat. Der habe mit dem Härtefallprogramm «Erwartungen geweckt, die er nicht erfüllen kann», so Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann (51): «Kein Betrieb wird im Dezember Geld erhalten, das ist ausgeschlossen.»

Die Kantone müssten zunächst eine Vollzugsorganisation aus dem Boden stampfen, die Gesuche prüfen und definieren kann, wer überhaupt Anspruch auf Hilfe hat. In seinem Kanton werde man die Gelder daher frühestens Ende Januar auszahlen können. «Wir haben keinerlei Möglichkeit, den Betrieben noch in diesem Jahr unter die Arme zu greifen.»

Erstaunt über die Reaktion mancher Kantone

Hat der Bundesrat also bei abgeschalteter Zündung aufs Gaspedal gedrückt? Unter Parlamentariern stossen Ammanns Aussagen auf Unverständnis – sogar bei den Ständeräten, die ja als Kantonsvertreter gelten. CVP-Finanzpolitiker Peter Hegglin (59), ehemaliger Finanzdirektor: «Alle sind gefordert, Bund und Kantone. Letztere sollten nun handeln, wenn bei den Unternehmen Not am Manne ist.» Einfach Nein zu sagen, gehe nicht. «Auch auf Bundesebene waren wir im Frühling in der Lage, rasch Gelder zu sprechen und zügig zu helfen. Wenn wir das können, können die Kantone das auch.» Hegglins Ratskollege Jakob Stark (62, SVP), Thurgauer Finanzdirektor bis 2019, ist ebenfalls über die Reaktion mancher Kantone erstaunt.

Andere glauben indes, dass sie noch in diesem Jahr erste Hilfen verteilen können. So will der Kanton Basel einzelnen Betroffenen bereits Mitte Dezember unter die Arme greifen, und im Wallis glaubt auch Volkswirtschaftsdirektor Christophe Darbellay (49) an eine rasche Umsetzung.

St. Gallen will auf Notrecht zurückgreifen

Kreativ geworden ist derweil St. Gallen. Dort will die Regierung auf Notrecht zurückgreifen, wie Volkswirtschaftsdirektor Beat Tinner (49) sagt. «So werden wir auf den 1. Dezember – allenfalls ein paar Tage später – bereit sein, die Darlehen und À-fonds-perdu-Beiträge auszuzahlen.» Die Umsetzung stellt offenbar keine unüberwindbaren Probleme dar. Tinner: «Beim Vollzug möchten wir anknüpfen an das kantonale Programm der Solidarbürgschaften der ersten Welle.» Denn «schnelles Handeln tut not: Die Betroffenen müssen so bald wie möglich wissen, ob sie Geld erhalten oder nicht».

Kantone wie Zürich oder Zug wollen eigene Hilfsprogramme verlängern, bis das Bundesprogramm greift, oder vorübergehend Gelder aus dem Lotteriefonds abzwacken. Die jedoch sind im Umfang oft begrenzt: In Zug stehen für die «allerdringendsten Fälle» 500 000 Franken zur Verfügung, bis voraussichtlich Anfang Februar das Bundesprogramm anläuft.

Für die Betroffenen heisst das womöglich: Allfällige Gelder gibt es zumeist erst im neuen Jahr.

«Der Vorschlag des Bundes ist knauserig»

Offen ist derzeit, wie hoch die Summe ausfallen wird, die Bund und Kantone für Härtefälle zur Verfügung stellen. Maurer wie auch viele Kantone bezweifeln, dass 400 Millionen Franken angesichts der aktuellen Situation ausreichen.

Oder wie es der Walliser Regierungsrat Darbellay formuliert: «Der Vorschlag des Bundes ist knauserig.» Mit weniger als einer Milliarde für Härtefälle komme die Schweiz sicher nicht durch die zweite Welle.

Darbellay fordert überdies eine erneute Ausweitung der Kurzarbeit: «Die Warte- und Karenzfrist gehört abgeschafft; auch müssen saisonale Arbeiter und Temporärangestellte davon profitieren können.» Nicht zuletzt brauche es eine Neuauflage des Covid-Kreditprogramms.

Ueli Maurer will kein flächendeckendes Programm mehr

Gleicher Ansicht ist SP-Ständerätin Eva Herzog (58). Sie findet, es brauche weitere Darlehen, «für die der Bund bürgt und die unkompliziert vergeben werden». Das hätte nach Auffassung der Baslerin den positiven Nebeneffekt, «dass sich die Härtefallgesuche auf À-fonds-perdu-Beiträge beschränken».

An solchen Forderungen dürfte Säckelmeister Ueli Maurer wenig Freude haben. Aus Sicht des Bundesrats brauche es heute «kein flächendeckendes Programm mehr, kein Massengeschäft», sagte er am Mittwoch.

Das Parlament sieht das womöglich etwas anders.

So geht es den Betroffenen: «Das Wasser steht uns bis zum Hals»

Daniel Balz (65), Inhaber Hotel Jardin, Bern

Daniel Balz (65), Inhaber Hotel Jardin, Bern
Foto: Siggi Bucher

«Wir sind ein Familienbetrieb, uns gibt es seit 96 Jahren. Wir haben nicht vor, uns wegen dieses stacheligen Kügelchens unterkriegen zu lassen. Aber wie wir das machen, ist eine andere Frage. Im Moment sind wir ständig mit Absagen und Rückzahlungen beschäftigt. Wir erleben einen völligen Einbruch bei den Gästezahlen, ähnlich wie im März: von 100 auf null. Wir haben noch etwa zwei, drei Gäste pro Nacht.

Auch alle Anlässe in unserem grossen Saal werden gestrichen. Es ist brutal. Und wird jetzt zur Überlebensfrage. Ob und in welcher Form Hilfe für die zweite Welle kommt, steht noch in den Sternen. Klar setzen wir wieder auf Kurzarbeit, aber die Betriebskosten laufen trotzdem weiter.

Wenn es so weitergeht, werden unsere Reserven nicht mehr lange ausreichen. Leider mussten wir auch schon Zimmerfrauen entlassen. Wir werden uns für die Härtefallregelung bewerben. Die wäre für uns überlebenswichtig – je früher sie kommt, desto besser. Es würde uns schon Mut machen, wenn sie bereits im Dezember käme.»

Stephan Stalder (53), Inhaber Reisebüro Take it Travel, Root LU

Stephan Stalder (53), Inhaber Reisebüro Take It-Travel, Root
Foto: zVg

«Das Herbstgeschäft ist durch die zweite Welle kurzfristig weggefallen. Das Wasser steht nicht nur mir, sondern der ganzen Reisebranche, bis zum Hals. Vor der Krise war mein Reisebüro kerngesund. In diesem Jahr ist der Umsatz um 95 Prozent eingebrochen. Zudem haben wir durch die Rückerstattung von annullierten Reisen alle Erträge verloren.

Die Fixkosten bis zum Lockdown sind nicht gedeckt. Die Voraussetzungen für die Härtefallregelung erfüllen wir definitiv. Unsere Mitarbeitenden können wir momentan noch durch die Kurzarbeit halten. Die finanzielle Belastung überstehen wir nur dank des Covid-Kredits – doch dieser ist bald aufgebraucht. Ab Januar wird es ohne weitere Hilfe definitiv schwierig. Unsere Branche braucht jetzt so schnell wie möglich Unterstützung: Die Zeit läuft uns davon.»

Marco Uhlig (41), Geschäftsführer Club Heaven, Zürich

Marco Uhlig (41), Geschäftsführer Club Heaven, Zürich
Foto: zVg

«Unsere Reserven sind aufgebraucht. Wir mussten auch bereits Personal entlassen. Das ist schmerzlich: So verliert nicht nur jemand sein Einkommen, sondern uns geht auch Know-how verloren. Zu tun habe ich noch immer viel, auch wenn der Club geschlossen ist. Ich fülle zum Beispiel laufend Dokumente für die Arbeitslosenkasse aus. Das ist wichtig, aber nervenaufreibend. Vor allem, weil man nicht weiss, ob man überleben wird.

Weil uns die Behörden geschlossen haben, greift immerhin unsere Versicherung für einen begrenzten Zeitraum – sie deckt den Fall einer Pandemie ab. Ohne das hätten uns die laufenden Ausgaben bis Ende Jahr gekillt. Wir glauben nicht, dass wir vor Mai wieder normal wirtschaften dürfen – wie wir die Zeit bis dahin finanzieren, müssen wir noch herausfinden. Wir hoffen, dass die Härtefallregelung zeitlich ausgeweitet wird.»

Alex Armbrüster (48), Teilhaber Bar Baradox, Zürich

Alex Armbrüster (48), Teilhaber Bar Baradox, Zürich
Foto: zVg

«Seit der Bundesrat gesagt hat, die Leute sollen wenn möglich zu Hause bleiben, haben wir Umsatzeinbussen von fast 80 Prozent. Mit der Sperrstunde hat man uns auch noch die wichtigste Umsatzzeit weggenommen. Dabei machen wir alles, damit unsere Gäste sicher sind. Der Bund müsste uns schliessen, denn so verlieren wir nur Geld. Bald müssen auch wir Mitarbeitende entlassen. Einige haben schon gekündigt und die Branche gewechselt. Und ich kenne viele Betriebe, die bald in Konkurs gehen.

Es ist ein Schlag ins Gesicht, dass uns die Behörden so im Stich lassen. Die Härtefallregelung muss jetzt schnell kommen. Dass gewisse Kantone auf die Bremse stehen, ist nicht nur ärgerlich, sondern existenzbedrohend für uns. In guten Zeiten lässt sich die Politik gern bei uns sehen. Dann soll sie jetzt auch in der Krise zu uns stehen.»

André Lüthi (60), Globetrotter-CEO und Leiter Politik des Schweizerischen Reiseverbandes

André Lüthi (60), Globetrotter-CEO und Leiter Politik des Schweizerischen Reiseverbandes
Foto: Thomas Meier

«Durch die Krise ist das Reisen für die Schweizer seit März schlichtweg nicht mehr möglich. Die Umsätze sind über 90 Prozent eingebrochen: Die momentane Situation ist für viele kleine und mittelgrosse Reiseunternehmen nicht mehr lange ohne Hilfe tragbar. Die Härtefall-Regelung ist zwar ein guter Ansatz, doch die zur Verfügung gestellten Mittel von 400 Millionen von Bund und Kantonen reichen niemals aus. Es ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Es braucht im Minimum 1 Milliarde Franken für die Event- Schausteller- und Reisebranche.

Zudem ist der Flickenteppich zwischen den Kantonen nicht fair: Im einen Kanton gibt es mehr, im anderen weniger Hilfe – das geht so nicht. Wettbewerbsverzerrungen sind vorprogrammiert. Der Bund muss bei den Härtefällen schnell und unkompliziert den Lead übernehmen. Eigentlich müsste dazu die ausserordentliche Lage wieder ausgerufen werden. Viele Betriebe brauchen Soforthilfe – noch in diesem Jahr. Die momentane Bundesvorlage lässt dies gar nicht zu – das sagen auch die Kantone.»


Dano Dreyer (44), Geschäftsführer Club LWB Baden

Dano Dreyer (44), Geschäftsführer Club LWB Baden
Foto: zVg

«Uns rettet, dass wir bei der Stadt Baden Mieter sind. Sie unterstützt uns mit dem «Badener Modell», dank dem wir aktuell Miete im Verhältnis zum Umsatz zahlen können. Das kann man gar nicht genug loben. Sonst sähe es nämlich schlecht aus: Bis Ende Jahr werden wir neun Monate lang geschlossen sein, das sind neun Monate, in denen nichts reinkommt. Das würde uns das Genick brechen.

In welcher Form uns die Härtefallregelung helfen könnte, wissen wir noch nicht. Es wäre gut, wenn wir da bald mehr wüssten, das würde uns eine gewisse Sicherheit geben. Viel verlangen wir gar nicht: Es geht uns nur um die Fixkosten, wir wollen einfach überleben. Die Hilfe ist aber noch weit weg, bis dahin müssen wir irgendwie überstehen. Ich weiss nicht, wie lange uns die Stadt noch unterstützen kann. Ab Januar wird es vielleicht brenzlig. Trotzdem will ich nicht jammern. Wir sind ja auch nicht die Einzigen, die Hilfe brauchen.»

Aufgezeichnet von Milena Stadelmann und Dana Liechti

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