Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zur neuen DNA-Analyse
Täter mit blauen Augen haben jetzt ein Problem

Seit wenigen Tagen dürfen Polizisten und Staatsanwälte auf der Jagd nach Verbrechern eine erweiterte DNA-Analyse einsetzen. Blick erklärt, was die neue Methode kann – und was nicht.
Publiziert: 04.08.2023 um 17:32 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2023 um 19:10 Uhr

Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) spricht von einem «Meilenstein für die Strafverfolgung» – seit 1. August dürfen die Strafverfolgungsbehörden DNA-Spuren auch für die Phänotypisierung nutzen.

Heisst: Man darf äusserliche Merkmale der Person, von der diese stammt, herauslesen und sie zu Fahndung nutzen. Blick erklärt, wie das der Polizei hilft – und wo die Grenzen und Gefahren liegen.

Was ist DNA-Phänotypisierung?

Unter DNA-Phänotypisierung werden genetische Verfahren verstanden, mit denen Rückschlüsse vom Genom auf äussere Merkmale, den sogenannten Phänotyp einer Person, gezogen werden. Gebräuchlicher ist der Begriff «erweiterte DNA-Analyse».

Seit 1. August dürfen DNA-Spuren an Tatorten besser ausgewertet werden.
Foto: newspictures.ch
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Wie DNA zu Tätern führt

Ein reales Beispiel des Bundesamts für Polizei (Fedpol) zeigt, wie mit DNA-Profilen Verbrechen gelöst werden:

Bei einer durch Europol koordinierten Aktion werden europaweit Personen identifiziert, die kinderpornografisches Material angeschaut und verbreitet haben, darunter zahlreiche Schweizer in 14 Kantonen.

Die Ermittlerin von Fedpol, die diese Daten analysiert, schöpft während eines Chatverlaufs Verdacht. Die Art und Weise, wie sich ein Mann ausdrückt, lässt sie vermuten, dass er sich nicht nur auf das Chatten beschränkt, sondern bereits Kinder getroffen hat. Die Person ist der Polizei bisher aber nicht bekannt.

Die Ermittlerin teilt ihren Verdacht der zuständigen Kantonspolizei mit. Diese ordnet eine DNA-Entnahme und eine Analyse der DNA des Mannes an. Das Ergebnis stützt die Vermutung: Die DNA des Mannes findet sich bei einem bisher ungelösten Fall, bei dem eine Minderjährige vergewaltigt worden ist. Der Fall liegt mehr als zehn Jahre zurück.

Die weiteren Ermittlungen führen zu elf weiteren Sexualdelikten, darunter sechs Beziehungen zu Minderjährigen und zwei Fälle von sexueller Nötigung Minderjähriger. Ebenso passt die Spur zu einem Vergewaltigungsfall sowie zwei Fällen von sexueller Nötigung Erwachsener.

Ein reales Beispiel des Bundesamts für Polizei (Fedpol) zeigt, wie mit DNA-Profilen Verbrechen gelöst werden:

Bei einer durch Europol koordinierten Aktion werden europaweit Personen identifiziert, die kinderpornografisches Material angeschaut und verbreitet haben, darunter zahlreiche Schweizer in 14 Kantonen.

Die Ermittlerin von Fedpol, die diese Daten analysiert, schöpft während eines Chatverlaufs Verdacht. Die Art und Weise, wie sich ein Mann ausdrückt, lässt sie vermuten, dass er sich nicht nur auf das Chatten beschränkt, sondern bereits Kinder getroffen hat. Die Person ist der Polizei bisher aber nicht bekannt.

Die Ermittlerin teilt ihren Verdacht der zuständigen Kantonspolizei mit. Diese ordnet eine DNA-Entnahme und eine Analyse der DNA des Mannes an. Das Ergebnis stützt die Vermutung: Die DNA des Mannes findet sich bei einem bisher ungelösten Fall, bei dem eine Minderjährige vergewaltigt worden ist. Der Fall liegt mehr als zehn Jahre zurück.

Die weiteren Ermittlungen führen zu elf weiteren Sexualdelikten, darunter sechs Beziehungen zu Minderjährigen und zwei Fälle von sexueller Nötigung Minderjähriger. Ebenso passt die Spur zu einem Vergewaltigungsfall sowie zwei Fällen von sexueller Nötigung Erwachsener.

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Wieso «erweitert»?

Die DNA-Analyse wird schon lange in der Strafverfolgung eingesetzt, auch in der Schweiz. DNA, die von einem Tatort oder einer Waffe sichergestellt wurde, wird mit der nationalen DNA-Profile-Datenbank Codis abgeglichen. Ein Treffer bedeutet nicht, dass der Täter gefunden ist. Stattdessen gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Spur-Spur-Treffer: Die Tatortspur stimmt mit einer bereits in der Datenbank gespeicherten Spur überein. Das heisst, sie stammt vom gleichen Spurenleger, konnte aber noch keiner Person zugeordnet werden.
  2. Spur-Person-Treffer: Die Tatortspur stimmt mit einer Person überein, die in der Datenbank verzeichnet ist. Die Polizei kann die Person vernehmen, um zu klären, was für eine Rolle sie in einem Fall spielt und wie ihre Spur an den Tatort gelangt ist.

Oftmals gibt es aber gar keinen Treffer – dann konnte man mit der gefundenen DNA nichts mehr anfangen (ausser, sie in der Datenbank zu speichern). Einzig und allein das Geschlecht der Person durften die Strafverfolgungsbehörden mittels DNA bestimmen.

Das ist seit dem 1. August anders.

Was können die Strafverfolgungsbehörden jetzt genau herauslesen?

Neu dürfen aus der DNA folgende äusserlich sichtbaren Merkmale herausgelesen werden: Augen-, Haar- und Hautfarbe, biogeografische Herkunft und das Alter der Person, die die Spur hinterlassen hat. Ganz treffsicher sind diese Analysen zwar nicht, aber gemäss Fedpol kann man doch mit grosser Wahrscheinlichkeit bestimmte Aussagen treffen:

  • Augenfarbe: Die Farben Blau und Dunkelbraun können mit einer 90- bis 95-prozentigen Sicherheit bestimmt werden. Grün oder Graumeliert lassen sich schwieriger bestimmen.
  • Haarfarbe: Bei blonden Haaren liegt die Treffsicherheit bei rund 69 Prozent, bei braunen bei 78 Prozent, bei roten bei 80 Prozent und bei schwarzen Haaren gar bei 87 Prozent.
  • Hautfarbe: Die Vorhersagewahrscheinlichkeit liegt aktuell für weisse Hautfarbe bei 98 Prozent, für die schwarze Hautfarbe bei 95 Prozent und für Mischformen bei 84 Prozent.
  • Herkunft: Anhand spezifischer Merkmale der DNA lässt sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sagen, ob eine Person aus einer der Weltregionen Europa, Afrika, Ostasien, Südasien, Südwestasien oder der indigenen Bevölkerung in Ozeanien oder Amerika stammt.
  • Alter: Bei Menschen, die zwischen 20 und 60 Jahren alt sind, lässt sich das Alter mittels DNA bis auf vier oder fünf Jahre genau bestimmen. Bei Jüngeren und Älteren ist die Trefferquote weniger gut.

Und damit lassen sich Täter fassen?

Wie gesagt: Allein durch eine DNA-Spur an einem Tatort lässt sich kein Täter bestimmen. Die DNA kann auch auf andere Weise dorthin gelangt sein. Aber gemäss Fedpol lassen sich damit die Ermittlungen fokussieren, der Täterkreis einschränken und Zeugenaussagen besser einordnen. Zwei Beispiele aus dem Ausland, wo Phänotypisierung schon länger angewandt wird:

  • In einem kleinen holländischen Dorf geschah ein sexueller Übergriff. Die Phänotypisierung ergab, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit asiatischer Herkunft ist. Dieses Resultat schränkte den Pool möglicher Verdächtiger dramatisch ein: In diesem Dorf lebte nämlich nur eine Person – adoptiert von einem niederländischen Ehepaar – asiatischer Herkunft. Die DNA dieser Person stimmt mit der DNA der am Tatort sichergestellten Spermaspuren überein.
  • Übereinstimmende DNA-Profile von Spermaspuren beweisen, dass derselbe Täter zwei sexuelle Übergriffe begangen hat. Ein Opfer beschreibt den Täter als einen Westafrikaner, das andere ist überzeugt, dass es ein Inder ist. Die Phänotypisierung ergibt, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit indischer Abstammung ist. Diese Informationen helfen der Polizei, sich gezielt auf die richtige Personengruppe zu konzentrieren.

Dürfen die Strafverfolgungsbehörden noch mehr mit der DNA machen?

Ja, sie dürfen mit der DNA auch nach Verwandtschaftsbezug suchen: Wenn die DNA-Datenbank keinen Treffer landet und auch sonst alle Ermittlungen ins Leere führen, kann die Datenbank nach DNA-Profilen durchsucht werden, um zu klären, ob sich darin Personen befinden, die aufgrund der Ähnlichkeit mit dem DNA-Profil des Spurengebers verwandt sein könnten. Dann kann in diesem Personenkreis nach dem möglichen Täter oder der möglichen Täterin gesucht werden.

Dürfen die Strafverfolger immer eine DNA-Phänotypisierung durchführen?

Nein. Dieses Verfahren darf ausschliesslich bei Verbrechen wie Vergewaltigung, Mord oder Raub angewendet werden, auf die eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren steht. Auch dann dürfen die Ermittler nicht einfach drauflos analysieren: Die Phänotypisierung muss von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden.

Gibt es denn keine Gefahren dabei?

Je nachdem, wen man fragt, schon. In der Vernehmlassung äusserten sich die Grünen, Juristenvereine sowie der Kanton Genf kritisch. Sie machten grund- und datenschutzrechtliche Bedenken geltend, befürchteten Racial Profiling und argumentierten, es würden zu wenig wissenschaftlich fundierte und überzeugende Erkenntnisse zur Verlässlichkeit dieser Methode bestehen. Darauf wies auch der eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger damals hin. «Das Phänotyping liefert Indizien, aber keine Beweise», mahnte er zur Vorsicht. Die Verwandtenrecherche wiederum schränke das Zeugnisverweigerungsrecht von Verwandten ein.

Wie kam es eigentlich dazu, dass die Phänotypisierung erlaubt wurde?

Die Gesetzesänderung geht auf eine Motion des 2020 verstorbenen Nationalrats Albert Vitali zurück. Dieser hatte den Vorstoss nach der Vergewaltigung einer jungen Frau in Emmen LU im Juli 2015 eingereicht. Im Rahmen der Ermittlungen wurde eine Massen-DNA-Probe bei über 370 Männern durchgeführt. Am Tatort war die mutmassliche DNA des Täters sichergestellt worden, doch die Ermittler durften mangels gesetzlicher Grundlagen nicht auf die vollständigen genetischen Informationen zugreifen. Die Frau, die beim Überfall vom Velo gerissen wurde, erlitt schwerste Verletzungen und ist heute querschnittsgelähmt.

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