BLICK-Bürgergespräch mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann
«Wir werden von der ganzen Welt beneidet!»

BLICK-Leser treffen Wirtschafts- und Bildungsminister Johann Schneider-Ammann zum Bürgergespräch. Sie stellen ihm Fragen über sein Leben und die Wirtschaft.
Publiziert: 10.04.2017 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:47 Uhr
«Ich will Bundesrat werden!»
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BLICK-Leser trafen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann zum grossen Bürgergespräch:«Ich will Bundesrat werden!»
Ivo Tuchschmid und Matthias Halbeis

Sie mussten am Donnerstag früh aus den Federn: Kurz nachdem es hell geworden ist, treffen die BLICK-Leser, welche Wirtschafts- und Bildungsminister Johann Schneider-Ammann zum Bürgergespräch empfängt, beim Bundeshaus ein. Die Stadtreinigung ist gerade dabei, den Bundesplatz auf Hochglanz zu bringen. Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, begrüsst die acht Teilnehmer. Noel Baumann (16), Gymnasiast aus Altdorf, hat die wohl überraschendste Frage an den Wirtschaftsminister.

Noel Baumann: Herr Bundesrat, ich will Bundesrat werden. Wie mache ich das?
Johann Schneider-Ammann:
Überlegen Sie sich das gut (lacht)! Es war nie mein Ziel, Bundesrat zu werden. Für mich wurde es zum Thema, als ich wusste, dass ich mein Unternehmen an die nächste Generation übergeben kann. Als Bundesrat ändert sich das Leben schlagartig, jede Bewegung wird beobachtet, man steht oft in der Kritik. Aber ich bereue nichts.

Danach ist die Runde offen, alle sieben Teilnehmer und Karin Berger stellen der Reihe nach ihre wichtigste Frage. Manchmal ergibt sich auch gleich eine Folgefrage.

Samuel Schilling: Wie gehen Sie mit Kritik um?
Das ist nicht immer einfach. Es gibt berechtigte Kritik, wenn man Fehler macht. Es gibt aber auch ungerechtfertigte Kritik. Da ist man empfindlich. Wenn ich einen Moment überlege und dann erst noch langsam spreche, dann wird das bemängelt. Aber ich bin halt ein Berner (lacht).

Samuel Schilling: Ist Kritik an einem Mitglied ein Thema im Bundesrat?
Nein, sonst hätten wir ja für nichts anderes mehr Zeit (lacht). Wenn man auf einer Titelseite mit grossen Buchstaben kritisiert wird, trifft einen das. Und im Bundesrat trifft es jeden und jede immer mal wieder. Es geht allen gleich. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Wir sprechen höchstens darüber, wenn mehrere in einer Art angegriffen werden, die wir nicht akzeptieren können.

Davide Colacino: Welche digitalen Helfer brauchen Sie persönlich in Ihrem Amt?
Ich besitze ein Smartphone und ein Tablet. Damit komme ich bestens aus, einen Computer brauche ich nicht mehr.

Karin Berger: Im Zeitalter der Digitalisierung ist Weiterbildung entscheidend. Herr Bundesrat, wann haben Sie sich zuletzt weitergebildet?
Ich komme soeben von einem Meeting mit meinen Mitarbeitern. Wir besprachen meinen Auftritt bei der Sicherheitskommission des Ständerates vor. Da erfuhr ich einmal mehr Neues. Ich lerne täglich von meinen Mitarbeitern. Im klassischen Sinn besuchte ich nach dem Studium viele Weiterbildungen: Kurse in Führung und EDV.

Thomas Zehnder: Wie wollen Sie eigentlich die ältere Generation vor Arbeitslosigkeit schützen? Ich arbeite bei der Swisscom und war dabei, als ältere Kollegen hier in der Schweiz entlassen und durch polnische Kollegen ersetzt wurden.
Mein wichtigstes Ziel als Bundesrat ist, dass möglichst alle einen Job haben und die Jungen eine Ausbildung machen können. Nur damit sind Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit möglich. Im Gegensatz zu vielen Ländern in Europa sind wir gut unterwegs. Dort herrscht grosse Arbeitslosigkeit. Die Situation älterer Arbeitnehmender macht mir tatsächlich Sorgen. Zwar sind sie statistisch sogar weniger von Arbeitslosigkeit betroffen als die Jungen. Es ist für sie aber schwieriger, wieder eine Stelle zu finden: Das dauert jeweils doppelt so lang. Ab und zu schreiben mir betroffene Menschen. Ich will dann genau wissen, wie es ihnen ergeht, manchmal kann ich mit kleinen Hinweisen helfen. Ältere Arbeitnehmer haben viel vorzuweisen, sie bringen grosse Erfahrung mit und sind verlässlicher. Die Arbeitsvermittlungen machen meist einen guten Job. Sollten Sie in diese Situation kommen, helfe ich. Das verspreche ich Ihnen.

Daniel Wiget: Seit einem unverschuldeten Unfall in der RS bin ich auf Stellensuche. Was sind Ihre Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit?
(Überlegt lange) Als junger Arbeitsloser können Sie individuelle finanzielle Hilfe für Weiterbildungen erhalten. Gerade jüngere Betroffene sollen sich stark dafür engagieren, möglichst schnell wieder zu einem Job zu kommen. Wir haben darum auch die Bezugsdauer der Arbeitslosengelder verkürzt, damit sie mit Nachdruck suchen. In ihrem eigenen Interesse! Hunderte Bewerbungen zu schreiben und immer Absagen zu erhalten, das ist hart. Nach zweihundert Bewerbungen wird es richtig schlimm. Es ist ein Teufelskreis. Man ist verunsichert. Wenn man mal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird, spürt der potenzielle Arbeitgeber genau dies. Das ist alles andere als hilfreich. Als Arbeitnehmer muss man aber auch flexibel und mobil sein. Ich kann auch nicht zaubern. Aber ich arbeite jeden Tag dafür, dass wir das innovativste, wettbewerbsfähigste Land mit dem besten Bildungssystem bleiben. Deshalb haben wir eine ganz tiefe Arbeitslosigkeit. Dafür werden wir auf der ganzen Welt beneidet.

Das Thema Arbeitslosigkeit brennt den Gesprächsteilnehmern unter den Nägeln. Gleich mehrere Fragen dazu prasseln auf den Wirtschaftsminister ein. Man könne sich als Arbeitsloser nicht weiterbilden und trotzdem Erfahrungen im Beruf sammeln, erzählt Wiget. Die Firmen verlangten aber genau das. Thomas Zehnder pflichtet ihm bei: Die Wirtschaft werde viel zu wenig in die Pflicht genommen, ihre Mitarbeiter auch entsprechend weiterzubilden. Und Karin Berger merkt an, dass es neue Vermittlungsformen brauche, damit die richtigen Leute zu den Firmen fänden, die nach Berufsleuten mit bestimmten Fähigkeiten suchten.

Schneider-Ammann wehrt sich gegen weitere Auflagen für die Wirtschaft. Das sei Gift für die Unternehmen und für die Sicherung der Arbeitsplätze kontraproduktiv. Wo er den BLICK-Lesern recht gibt: Es sei bisher nicht genügend gelungen, die vielen Menschen stärker in den Arbeitsprozess zu bringen, die eigentlich gerne mehr arbeiten würden: «Die Firmen schreien nach Fachkräften, doch wir bringen sie noch nicht mit dem Potenzial zusammen.»

Und noch an einem anderen Ort gibt er seinen Besuchern recht: In der Wirtschaft mache es sich bemerkbar, dass es immer mehr Manager gebe und weniger Patrons, die sich auch für ihre Belegschaft verantwortlich fühlten. Dann geht es weiter mit den Fragen der Teilnehmer.

Charles Weissberg: Sie haben ein Freihandelsabkommen mit China ausgehandelt. Das ist eine grosse Leistung, die zu wenig gewürdigt wurde. In der Schweiz schreitet die Deindustrialisierung aber trotzdem voran. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Die Schweiz braucht die Industrie. In Frankreich oder Grossbritannien kommen nur noch etwa zwölf Prozent der Wertschöpfung aus dem zweiten Sektor, die Deindustrialisierung ist schon sehr weit. Die Folge davon: hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wir versuchen Gegensteuer zu geben: Wir wollen Innovation antreiben, etwa mit der Kommission für Technologie und Innovation, welche Projekte unterstützt, die KMU und Fachhochschulen zusammenbringen. Wichtig ist aber auch, dass wir bei den Bundesausgaben und damit den Kosten sparen, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Das ist eine grosse Herausforderung

André Aregger: Ich bin Gemeindeschreiber von Ufhusen, einer ländlichen Gemeinde in der Peripherie. Die Wirtschaft zieht sich aus dem ländlichen Raum zurück, immer weniger Geld fliesst.
Sie haben in Ufhusen noch grosse Kiesreserven, das bringt Steuergelder. Sie stehen doch gut da (lacht)! Im Ernst: Randregionen müssen bevölkert bleiben. Schauen Sie die Region Jura an, auch sie kämpft mit Abwanderung der Jungen. An der Landwirtschaftsmesse in Paris habe ich zusammen mit dem jurassischen Volkswirtschaftsminister gestaunt, wie stark die französische Landwirtschaft schon von der Digitalisierung erfasst ist. Ich finde, gerade der Jura hat das Zeug, zu einem Zentrum für Start-ups in dieser Branche zu werden. Das wären attraktive Arbeitgeber. Darum habe ich ihm die Hilfe des Bundes versprochen, wenn es ein solches Projekt in Delsberg gäbe. Es darf nicht sein, dass die Täler entvölkert werden. Mit der neuen Regionalpolitik fördern wir Aktivitäten in den Randregionen stark, in den vergangenen Jahren mit 250 Millionen Franken!

Charles Weissberg: Als Unternehmer waren Sie schnelle Entscheidungen gewohnt. Nun müssen sie durch die Mühlen der Politik. Ist das nicht frustrierend?
Ich habe meine Prinzipien und Überzeugungen, ich bin und bleibe in meiner Seele Unternehmer. Und so politisiere ich auch! Mein Ziel ist, Wirtschaft und Politik zu verzahnen. Ich will, dass meine Enkel lebenswerte Verhältnisse antreffen. Natürlich ist es manchmal zum Verzweifeln. Aber es macht auch Spass, komischerweise je länger, desto mehr (lacht)!

Charles Weissberg und Bundesrat Schneider-Ammann verstehen sich auf Anhieb. Kein Wunder, denn sie wurden beide am 18. Februar 1952 geboren! Der Bundesrat erzählt, wie er und sein Chauffeur einst in einem Hotel eingecheckt hätten. Er habe persönlich die Anmeldeformalitäten übernommen und den Chauffeur nach seinem Geburtsdatum gefragt. Und so hätten sie herausgefunden, dass der Chauffeur auf den Tag genau 30 Jahre jünger ist als sein Chef. Sie gratulierten sich nun jedes Jahr gegenseitig.

Am Ende erfüllt der gut gelaunte Wirtschafts- und Bildungsminister alle Selfie-Wünsche und überreicht jedem Teilnehmer ein handsigniertes Buch. Dann eilt er zum nächsten Termin.

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