BLICK erklärt das Referendum gegen das Homophobie-Verbot
Wird bald jeder Schwulen-Witz bestraft?

In Bern reichen rechtskonservative Kreise gestern das Referendum gegen die Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm ein. Sie wehren sich dagegen, dass künftig Schwulenhetze strafbar ist. BLICK zeigt auf, worum es geht.
Publiziert: 03.01.2020 um 15:14 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2020 um 08:03 Uhr
Das Referendumskomitee reichte gestern über 70'000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein.
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

1. Was soll geändert werden?

Seit 25 Jahren gibt es in der Schweiz die Anti-Rassismus-Strafnorm. Sie verbietet den Aufruf zu Diskriminierung und Hass gegen Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion. Dabei können Strafen von bis zu drei Jahren Gefängnis ausgesprochen werden. Neu soll nun – als vierte Kategorie – die sexuelle Orientierung dazukommen. Die Gesetzesänderung geht auf eine parlamentarische Initiative des Walliser SP-Nationalrats Mathias Reynard (31) zurück. Sechs Jahre nach deren Einreichung wurde die Gesetzesänderung im Dezember vergangenen Jahres schliesslich verabschiedet.

2. Wann ist eine diskriminierende Aussage strafbar?

Wichtig ist die Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Sphäre. Strafbar sind diskriminierende oder Hass schürende Aussagen nur, wenn sie in der Öffentlichkeit gemacht werden. Im privaten Rahmen, also im Familien- und Freundeskreis, hingegen nicht. Genau in dieser Abgrenzung steckt allerdings die Krux. Eine rassistische Äusserung am Stammtisch beispielsweise ist in der Regel nicht strafbar – allerdings nur, solange andere Personen in der Beiz nicht mithören können. Schon zahlreiche Verurteilungen gab es wegen rassistischer Kommentare auf Facebook, in anderen sozialen Netzwerken oder in Kommentarspalten.

3. Warum soll das Gesetz nun ausgeweitet werden?

Das Parlament will eine Gesetzeslücke schliessen. Heute kann jemand wegen einer homophoben Äusserung nur belangt werden, wenn diese ganz konkret gegen eine Person oder Personengruppe gerichtet ist. Denn dann greift der Tatbestand der Ehrverletzung. Hetzt hingegen jemand gegen Schwule an sich, kann man rechtlich nicht dagegen vorgehen. Angesichts der Tatsache, dass Homophobie in der Schweiz zunimmt, ist diese Situation aus der Sicht des Parlaments unbefriedigend. Die Befürworter verweisen zudem auf die Gesetzeslage in anderen europäischen Ländern. So kennen Frankreich und Grossbritannien beispielsweise bereits den Straftatbestand der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

4. Was sagt der Bundesrat?

Der Bundesrat befürwortet die Gesetzesänderung. Auch er sieht ein Problem darin, dass heute nur die Diskriminierung konkreter Personen juristisch verfolgt werden kann und nicht öffentliche homophobe Hetze an sich. Den Vorschlag des Nationalrats, nicht nur Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, sondern auch der Geschlechtsidentität ins Gesetz zu schreiben, lehnte der Bundesrat aber ab. Die Begründung: Im Gegensatz zur sexuellen Orientierung sei der Begriff «Geschlechtsidentität» zu schwammig. Das Parlament verwarf den Vorschlag schliesslich wieder.

5. Wer ist gegen die Gesetzesänderung?

Für Widerstand sorgt die Ausweitung der Anti-Rassismus-Strafnorm primär in rechtskonservativ-kirchlichen Kreisen. Im Präsidium des Referendumskomitees sitzen EDU-Präsident Hans Moser, Jung-SVP-Präsident Benjamin Fischer und Lisa Leisi, Präsidentin der EDU St. Gallen. Getragen wird das Referendum zudem unter anderem von der Arbeitsgruppe Jugend und Familie, einem christlichen Verein, und der Abtreibungsgegner-Organisation Human Life Schweiz. Mit Verena Herzog (63, TG), Sylvia Flückiger (66, AG) und Andrea Geissbühler (42, BE) finden sich auch mehrere SVP-Nationalrätinnen im Komitee.

6. Was spricht denn dagegen?

Die Gegner bezeichnen die Anti-Rassismus-Strafnorm als «Zensurgesetz». Sie hätten nichts gegen Homosexuelle, betont EDU-Präsident Hans Moser. Doch man fürchte um die Meinungsfreiheit im Land. Zudem argumentieren sie, der Begriff «sexuelle Orientierung» lasse einen zu grossen Interpretationsspielraum und öffne dadurch willkürlichen Gerichtsentscheiden Tür und Tor. Schon Schwulenwitze könnten künftig strafbar werden, warnen sie. Werde die Gesetzesänderung angenommen, drohe eine Klagewelle.

7. Welche Folgen sind tatsächlich zu erwarten?

Die Argumente der Gegner sind denen sehr ähnlich, die bereits in den 90er-Jahren in der Diskussion um die Einführung der Strafnorm eingebracht wurden. Die Gegner sprachen damals von einem «Maulkorb-Gesetz». Zu einer Klage-, geschweige denn einer Verurteilungswelle ist es nach der Einführung allerdings nicht gekommen. Zwar nahm die Zahl der Verurteilungen wegen Rassendiskriminierung seit Einführung des Straftatbestands laufend zu. Doch es handelt sich noch immer um nicht mehr als einige Dutzend Fälle pro Jahr.

8. Wann stimmen wir ab?

Das Referendum findet am 9. Februar 2020 statt.

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