Blick erklärt die Initiative zur Individualbesteuerung
Willst du mich heiraten oder Steuern sparen?

Die FDP-Frauen wollen die sogenannte Heiratsstrafe bei der Besteuerung abschaffen. Die nötigen Unterschriften kamen zusammen, doch vielleicht werden wir trotzdem nicht über das Anliegen abstimmen.
Publiziert: 21.08.2022 um 18:30 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2022 um 11:51 Uhr

Nach den Flitterwochen flattert bei vielen Ehepaaren eine teure Rechnung ins Haus. Dies nicht, weil die Hochzeitsferien exorbitant teuer waren. Sondern weil der Staat von Verheirateten mehr Steuern eintreibt als von Paaren, die unverheiratet zusammenleben. Die «Initiative zur Einführung der Individualbesteuerung» will dies stoppen.

Das Initiativkomitee hat nun die nötigen Unterschriften dafür zusammen, wie die Westschweizer Sonntagszeitung «Le Matin Dimanche» und die «NZZ am Sonntag» übereinstimmend berichten. Künftig sollen jede Frau und jeder Mann separat eine Steuererklärung ausfüllen – egal, ob sie verheiratet sind, im Konkubinat oder allein leben. Gemäss der Präsidentin der FDP Frauen, Susanne Vincenz-Stauffacher (55), wurden über 128'000 Unterschriften gesammelt.

Noch im April sagte sie, man habe schwierige Wochen hinter sich, es harze mit dem Unterschriftensammeln.

Die FDP-Frauen wollen die Heiratsstrafe abschaffen. Konkret soll jede Person einzeln besteuert werden, unabhängig vom Zivilstand.
Foto: Keystone
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Worum geht es?

Weil Ehepaare gemeinsam besteuert werden, werden sie steuerlich oft benachteiligt. Weil ihr Einkommen zusammengerechnet wird und so in einer höheren Progressionsstufe landet, berappen sie mehr, als wenn ihre Einkommen getrennt besteuert würden.

Das System führt teilweise dazu, dass sich ein Zweiteinkommen finanziell weniger lohnt. Das verringert insbesondere bei den verheirateten Frauen den Anreiz für eine berufliche Tätigkeit. Dank der Individualbesteuerung würde das Steuerrecht alle Lebensmodelle gleichstellen, sagen die Initiantinnen.

In einigen Kantonen ist aber auch das Gegenteil der Fall. Dort wird der Heiratsstrafe mit unterschiedlichen Tarifmodellen begegnet. Verbreitet ist etwa das Splittingmodell, wobei das gemeinsam besteuerte Einkommen für die Bestimmung des Steuersatzes durch zwei geteilt wird. Dadurch werden gemeinsam besteuerte Paare vorteilhafter besteuert als individuell besteuerte alleinstehende Personen oder unverheiratete Paare.

Die sogenannte Heiratsstrafe betrifft vor allem Gutverdienende, bei denen jeder Ehepartner 75'000 bis 125'000 Franken Jahreseinkommen erzielt. Bereits 1984 hat das Bundesgericht in einem Urteil festgehalten, dass die Heiratsstrafe verfassungswidrig ist und demnach abgeschafft gehört.

Die Kantone haben darauf regiert und Entlastungsmassnahmen für Ehepaare eingeführt. Nicht so der Bund. So zahlen rund 700'000 Doppelverdiener- und Rentnerpaare wegen der Heiratsstrafe jährlich bis zu 1,5 Milliarden Franken Steuern in die direkte Bundessteuer.

Was bringt die Individualbesteuerung nebst mehr Steuergerechtigkeit?

Die Initiantinnen sagen, dass aufgrund der falschen steuerlichen Erwerbsanreize viele gut ausgebildete Frauen der Arbeit fernbleiben. Die Individualbesteuerung würde mithelfen, den aktuell grossen Fachkräftemangel zu beheben.

Laut einer Untersuchung von Avenir Suisse könnte eine Individualbesteuerung 40'000 bis 60'000 Vollzeitstellen schaffen oder die Erwerbsquote von 300'000 Frauen um 20 Prozent erhöhen.

Wer ist dafür – wer dagegen?

Die FDP-Frauen initiierten das Anliegen im März 2021 mit Unterstützung von Politikerinnen und Politkern aus GLP, SP und Grünen, aus Wirtschafts- und Gewerkschaftskreisen. Die Mitte arbeitet selbst an zwei eigenen Initiativen zum Thema.

Die SVP ist gegen die Individualbesteuerung, die Kantone sind aufgrund befürchteten Zusatzaufwands für die Verwaltung kritisch. Auch der Finanzminister Ueli Maurer (71) befürchtet Einbussen für den Fiskus.

Wann stimmen wir darüber ab?

Die FDP-Frauen wollen die Initiative am 8. September einreichen. Ob das Stimmvolk darüber befinden wird, ist allerdings fraglich. So schickte der Bundesrat schon im Herbst im Auftrag des Parlaments eine Vorlage zur Individualbesteuerung in die Vernehmlassung. Die FDP-Frauen wollen ihre Initiative dennoch nicht zurückziehen. Der Druck müsse aufrecht erhalten werden, begründen sie ihren Entscheid.

Haben wir nicht schon mal darüber abgestimmt?

Ja, die Forderung nach Gleichstellung im Steuerrecht ist nicht neu. 2016 lehnte das Stimmvolk die Volksinitiative der CVP «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» äusserst knapp ab. Weil der Bund falsche Zahlen vorgelegt hatte, entschied das Bundesgericht später, dass die Abstimmung aufzuheben sei.

Im Februar 2020 zog das CVP-Initiativkomitee sein Volksbegehren zurück. Parteipräsident Gerhard Pfister (59) hatte zuvor bekannt gegeben, dass die Parteispitze eine neue Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe plane – ohne die umstrittene Definition der Ehe als Bündnis zwischen Mann und Frau.

Denn in der ursprünglichen CVP-Initiative wurde die Ehe explizit als Verbindung von Mann und Frau definiert. Seit Annahme der «Ehe für alle» ist diese Definition überholt.

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