Bund fördert Komplementärmedizin in der Landwirtschaft
Globuli erobern den Kuhstall

Per Hotline können sich Schweizer Bauern vom Tierhomöopathen beraten lassen. Damit soll der Antibiotikaverbrauch in der Landwirtschaft gesenkt werden. Die Massnahme hat Erfolg – weshalb der Bund nun über eine weitere Förderung nachdenkt.
Publiziert: 25.12.2019 um 01:24 Uhr
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Aktualisiert: 26.12.2019 um 15:41 Uhr
Die Zahl der Bauern, die ihre Tiere mit Globuli behandeln, ist den vergangenen Jahren stetig gestiegen.
Foto: Keystone
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Lea Hartmann

Zwei bis drei Kügelchen Argentum nitricum sollen nicht nur Schülern gegen Prüfungsangst helfen – sondern auch Rindern bei Durchfall. Die Komplementärmedizin hat den Stall erobert. Die Zahl der Bauern, die ihren Tieren Globuli geben, hat in den vergangenen Jahren zugenommen – auch durch Unterstützung des Bundes.

Das Bundesamt für Landwirtschaft finanziert seit mehreren Jahren die Beratungshotline Kometian mit, eine Art Telmed für Bauern. 24 Stunden am Tag können die Landwirte anrufen und sich von einem Komplementärmediziner beraten lassen. So, wie das im vergangenen Monat der Besitzer von Sambia (10) getan hat. Die Milchkuh konnte, wenige Tage nachdem sie gekalbt hatte, kaum noch die Augen öffnen. Diese tränten, vor Schmerzen gab die Kuh weniger Milch. Der Beratungsdienst Kometian empfahl dem Bauern zwei homöopathische Mittel. Tatsächlich ging es Sambia laut dem Landwirt mit den Globuli schon nach wenigen Tagen besser, wie Kometian berichtet.

Nicht nur Biobauern zeigen Interesse

Nicole Studer-Hasler (44) kann viele solcher Beispiele nennen. Die Tierärztin leitet die Homöopathie-Hotline. «Nicht nur Biobauern, auch immer mehr konventionelle Bauern stehen dem Thema Komplementärmedizin offen gegenüber», sagt Studer. Denn die Kügelchen können eine Alternative zu Antibiotika sein. Deren Einsatz versucht der Bund schon seit Jahren mit unterschiedlichen Massnahmen zu reduzieren, um zu verhindern, dass Krankheitserreger Resistenzen bilden und die Medikamente keine Wirkung mehr zeigen. Einer der wichtigsten Bereiche, in denen angesetzt wird, ist die Landwirtschaft.

Studien zeigen, dass der Antibiotikaeinsatz im Stall mit Alternativmedizin tatsächlich reduziert werden kann. In der Schweiz untersucht das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) die Wirksamkeit von Globuli für Rinder, Schweine und andere Nutztiere. Konkret schauen die Wissenschaftler beispielsweise, was die Homöopathie-Hotline Kometian bringt. Sie stellten fest: Hatten die Milchbauern zuvor im Schnitt pro 100 Nutztiere 27 Antibiotika-Behandlungen durchgeführt, waren es nach der Beratung von der Alternativmedizinerin nur noch 18. Das entspricht einem Rückgang von einem Drittel.

Placebo-Effekt beim Rind?

Stellt sich die Frage, wie der Rückgang zu erklären ist. Nicht nur in der Humanmedizin, gerade auch unter Tierärzten ist die Alternativmedizin umstritten. Bis heute ist wissenschaftlich nicht nachweisbar, dass Globuli über den Placebo-Effekt hinaus eine Wirkung haben.

Doch wirkt dieser bei Tieren überhaupt? Schliesslich weiss ein Schwein oder eine ganze Hühnerschar nicht, dass sie gerade ein homöopathisches Mittel verabreicht bekommen hat.

FiBL-Forscherin und Tierärztin Ariane Maeschli (43) ist überzeugt, dass der Placebo-Effekt auch in der Tiermedizin eine Rolle spielt. Allerdings nicht direkt beim Tier, sondern über den Bauern. «Der Besitzer kümmert sich um das Tier und hat die Hoffnung, dass sich der Gesundheitszustand verbessert. Das kann einen Einfluss haben», sagt Maeschli, die den Beratungsdienst Kometian wissenschaftlich begleitet. «Zudem verändert sich durch das Beobachten die Beziehung zum Tier.» Bauern, die ihre Tiere homöopathisch behandeln, müssten sich viel intensiver mit ihnen auseinandersetzen. «Sie erkennen gesundheitliche Probleme darum oftmals schon früher.»

Kein Ersatz, nur Ergänzung

Maeschli gehört aber zu denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die glauben, dass Homöopathie auch darüber hinaus wirkt. Sie verweist auf mehrere Studien, die teilweise «erstaunliche Ergebnisse» hervorgebracht hätten. Allerdings: Es gibt eben auch zahlreiche Untersuchungen, die nebst dem Placebo-Effekt keine Wirkung feststellen. Maeschli räumt zudem selbst ein, dass es bisher keine wissenschaftliche Erklärung für eine Wirkung von Homöopathie gibt.

Abgesehen von der Kontroverse um die Wirkung: Maeschli wie auch Kometian-Beraterin Studer betonen, dass Homöopathie auch bei Tieren kein Ersatz für eine schulmedizinische Behandlung sei, sondern nur eine Ergänzung sein könne. Einige Bauern probierten es erst mit Kügelchen und steigen dann, wenn das nichts nützt, auf Medikamente um, sagt FiBL-Forscherin Maeschli. Andere nutzen es erst, wenn alles andere versagt hat – oder als Vorsorge. Während Menschen Globuli schlucken, werden homöopathische Mittel Tieren übrigens meist entweder aufgelöst in Wasser auf die Schnauze gespritzt oder in die Scheide gelegt.

Ausbildungsoffensive gefordert

Die Homöopathie-Hotline Kometian gibt es jetzt seit knapp acht Jahren. Seither ist die Zahl Betriebe, die am Projekt teilnehmen, laut Studer stetig gestiegen. Inzwischen seien rund 640 Betriebe dabei. Das FiBL spricht in der Kometian-Studie von einer «erheblichen Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage», was das Angebot an alternativmedizinischer Beratung für Bauern betreffe. Das Problem, so Studer: «Wir haben noch immer viel zu wenig Nachwuchs in der tierärztlichen Praxis.»

Das soll sich ändern. Die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher (55) – Präsidentin des Dachverbands Komplementärmedizin – will, dass Alternativmedizin in der Tierarzt-Ausbildung einen wichtigeren Stellenwert einnimmt. Dazu hat sie im Parlament jüngst einen Vorstoss eingereicht. «Heute wird Komplementärmedizin in ein paar wenigen Stunden im Studium abgehandelt – eine reine Alibiübung», sagt Graf-Litscher. Zudem müsse man mehr in die Forschung investieren.

Mit Direktzahlungen fördern

Der Bund setzt derweil bei den Bauern an. Er schlägt vor, dass Projekte, die die Gesundheit von Nutztieren fördern, in Zukunft mit Direktzahlungen unterstützt werden. Dazu gehört auch die Homöopathie-Hotline Kometian. Landwirte sollen einen Anteil der Kosten für den Beratungsdienst zurückerstattet bekommen, so die Idee des Bundesrats. Sie ist Teil des Massnahmenpakets Agrarpolitik 22+ vor, das der Bundesrat für die nächsten Jahre geschnürt hat. Das Parlament wird nächstes Jahr darüber beraten.

Studer von der Beratungshotline Kometian hofft, dass beide Vorschläge durchkommen und in Zukunft noch mehr Bauern ihre Tiere mit Globuli behandeln. «Schliesslich sind die Zahlen eindeutig: Kometian hilft.» Auch wenn man nicht so genau weiss, warum.

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