Bund schonte Baku
«Wir müssen die Sprache verschärfen»

Der Schweizer Botschafter in Armenien drängte nach dem aserbaidschanischen Angriffskrieg auf eine klare Stellungnahme des Bundes. Doch Aussenminister Ignazio Cassis wollte davon nichts wissen.
Publiziert: 17.03.2024 um 10:49 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2024 um 09:58 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Für Armenien war es eine traumatische Erfahrung: 108 Jahre nach dem Völkermord durch die Türken begann Aserbaidschan im September 2023 eine Militäroperation in Bergkarabach und vertrieb die christliche Bevölkerung nach Armenien. Russland, die einstige Schutzmacht Armeniens, ist durch den Ukraine-Krieg massiv geschwächt und intervenierte nicht. Umso stärker ist Aserbaidschans engster Verbündeter, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (70). Seit langem sehen sich Ankara und Baku als «eine Nation mit zwei Staaten».

Kurz nach der Aggression war das Verhalten Armeniens Thema bei den Vereinten Nationen in New York. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (43) und ihre französische Kollegin Catherine Colonna (67) fanden klare Worte. Und die Schweiz? Sie verurteilte nicht, sondern zeigte sich «zutiefst besorgt», wie die Schweizer Uno-Botschafterin Pascale Baeriswyl (55) in einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats sagte.

EDA ignorierte Warnungen der Botschaft in Armenien

Recherchen von Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz zeigen: Das Aussendepartement entschied sich bewusst für ein moderates Statement und ignorierte Warnungen der Schweizer Botschaft in Armenien. Die hatte intern Alarm geschlagen und für ein verschärftes Statement plädiert: Das Risiko von Massenvertreibungen im grossen Stil solle direkt angesprochen werden: «Das Risiko ist wirklich vorhanden.» Weiter heisst es in der Depesche aus Eriwan, die Blick vorliegt: «Ganz allgemein scheint uns, dass wir die Language nach dem Angriff von gestern verschärfen müssen.» Aussenminister Ignazio Cassis (62) allerdings ignorierte den Appell.

Mehr als 50'000 Menschen flohen letzten September aus der von Aserbaidschan zurückeroberten kaukasischen Konfliktregion Berg-Karabach nach Armenien.
Foto: AFP
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Zu Cassis’ schärfsten Kritikern in der Armenien-Frage gehört Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (47). Er ist Co-Vorsitzender der Gesellschaft Schweiz-Armenien und reagiert empört: «Cassis kuscht vor Aserbaidschan.» Das EDA habe die Gefahr bewusst heruntergespielt. «Die Schweiz hat Wegschauen der Weltgesellschaft mit einem Swiss Finish versehen. Dass die Welt wegschaute, als die Armenier aus ihrer Heimat vertrieben wurden, war schlimm. Dass das EDA zusätzlich noch die Warnungen in den Wind schlug, ist unverzeihlich – und gleichzeitig eine Warnung: Armenien ist jetzt in seiner Existenz bedroht», sagt Müller-Altermatt zu Blick. «Ein nochmaliges Wegschauen und Ignorieren unserer Warnungen könnte die Mitschuld an einem neuen Völkermord bedeuten.»

«Wir kuschen vor dem Ölstaat»

Der Mitte-Politiker sieht die Schweiz in einer besonderen Verantwortung: «Die Schweiz ist ein bedeutender Rohstoffhandelsplatz. Insofern ist es nicht nur Cassis, der kuscht, sondern auch Parmelin und der ganze Bundesrat. Aserbaidschan finanziert sich zusammen mit Russland in der Schweiz seine Aggressionspolitik. Und ja: Wir kuschen vor diesem Ölstaat.»

Das EDA argumentiert: Zwei Tage nach dem Beginn des aserbaidschanischen Militäreinsatzes habe sich die Schweiz in erster Linie darauf konzentriert, zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und zum Schutz der Zivilbevölkerung aufzurufen. «Auch die Mehrheit der übrigen Sicherheitsratsmitglieder äusserte sich in dieser Dringlichkeitssitzung noch nicht zu den Fluchtbewegungen, welche sich erst in den Folgetagen in grossem Umfang zeigten», teilt das EDA mit. «Die Schweiz brachte ihr Bedauern darüber, dass über hunderttausend Personen fliehen und ihr Zuhause verlassen mussten, einige Tage später zum Ausdruck, zum Beispiel in der OSZE.»

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