Christian Frutiger (53) ist der neue stellvertretende Deza-Chef
«Ich habe früh Erfahrungen mit Vorurteilen gemacht»

Er wird die neue Entwicklungshilfe der Schweiz mitverantworten: Christian Frutiger, Ex-Cheflobbyist bei Nestlé. Im Interview mit BLICK erklärt der Emmentaler, warum er sich als Deza-Vizedirektor wohler fühlt.
Publiziert: 19.02.2020 um 23:25 Uhr
Interview: Sermîn Faki

Bundesrat Ignazio Cassis (59) hat am Mittwoch seine Pläne für die Entwicklungshilfe vorgestellt. Für einen Aussenminister ein wichtiges Geschäft – steckt da doch ziemlich viel von seinem Budget drin. Und Cassis will die Entwicklungshilfe des Bundes nicht grad umkrempeln, aber doch neue Akzente setzen.

Nicht nur inhaltlich. Anfang Mai wird Patricia Danzi (50) als neue Deza-Chefin anfangen – eine ehemalige Siebenkämpferin mit Wurzeln in der Schweiz und Nigeria. Ihr Stellvertreter Christian Frutiger (53) ist knapp vier Monate an Bord.

100 Millionen mehr fürs Klima

11,25 Milliarden Franken will der Bundesrat in den nächsten vier Jahren für die Entwicklungshilfe ausgeben – oder umgerechnet rund 80 Rappen pro Tag und Einwohner. Die Summe entspricht 0,41 Prozent des Bruttoinlandprodukts, wenn man die Asylkosten abzieht. Und damit immer noch unter den 0,5 Prozent, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat.

Der Bundesrat will sich mehr konzentrieren: Statt in 46 will er nur noch in 35 Ländern bilaterale Entwicklungshilfe leisten. Konkret hat Aussenminister Ignazio Cassis (58) vier Schwerpunktregionen identifiziert: Nordafrika und den Nahen Osten, Afrika, Zentral-, Süd- und Südostasien sowie Osteuropa.

Mit Arbeit gegen Migration

Auch thematisch werden neu Schwerpunkte gesetzt: Die Schweiz will die Armut durch die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze reduzieren und so auch ungewollte Migration bekämpfen.

Ein besonderer Fokus wird auf die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an dessen Folgen gesetzt: Hierfür erhöht der Bundesrat den Kredit von 300 auf 400 Millionen Franken.

11,25 Milliarden Franken will der Bundesrat in den nächsten vier Jahren für die Entwicklungshilfe ausgeben – oder umgerechnet rund 80 Rappen pro Tag und Einwohner. Die Summe entspricht 0,41 Prozent des Bruttoinlandprodukts, wenn man die Asylkosten abzieht. Und damit immer noch unter den 0,5 Prozent, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat.

Der Bundesrat will sich mehr konzentrieren: Statt in 46 will er nur noch in 35 Ländern bilaterale Entwicklungshilfe leisten. Konkret hat Aussenminister Ignazio Cassis (58) vier Schwerpunktregionen identifiziert: Nordafrika und den Nahen Osten, Afrika, Zentral-, Süd- und Südostasien sowie Osteuropa.

Mit Arbeit gegen Migration

Auch thematisch werden neu Schwerpunkte gesetzt: Die Schweiz will die Armut durch die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze reduzieren und so auch ungewollte Migration bekämpfen.

Ein besonderer Fokus wird auf die Eindämmung des Klimawandels und die Anpassung an dessen Folgen gesetzt: Hierfür erhöht der Bundesrat den Kredit von 300 auf 400 Millionen Franken.

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Sein Start war schwierig: Als Cassis den damaligen Cheflobbyisten von Nestlé zum Deza-Vizechef ernannte, hagelte es international Proteste. Da solle der Bock zum Gärtner gemacht werden, lautete der Vorwurf – weil Nestlé im Ruf steht, Wasser zu privatisieren und Menschenrechte zu verletzen. Umweltorganisationen haben daher Frutigers Rausschmiss verlangt. Mehr als 45'000 Menschen unterschrieben die Forderung. Zeit, sich den Nestlé-Mann mal genauer anzuschauen.

Aussenminister Ignazio Cassis hat am Mittwoch seine neue Entwicklungshilfepolitik vorgestellt. Diese soll sich mehr fokussieren. Im Bild: Cassis bei einem Besuch in Kapstadt (Südafrika).
Foto: EPA
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BLICK: Wie ist es, wenn Unterschriften gegen einen gesammelt werden?
Christian Frutiger: Das hat mich getroffen. Mein Job bei Nestlé war es, für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen. Dafür, dass der Konzern seine gesellschaftliche Verantwortung besser wahrnimmt.

NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, sehen das anders: Ihr Job sei gewesen, Nestlé von Skandalen reinzuwaschen.
Das stimmt einfach nicht. Ich habe das Unternehmen nach aussen vertreten. Aber auch die Interessen von Anspruchsgruppen nach innen. Und so habe ich den Job auch gemacht. Aber ich weiss, dass Kritik normal ist. Das ist sozusagen der Job einiger NGOs.

Nach zwölf Jahren im Dienst des Lebensmittelkonzerns aus Vevey VD war es dann vielleicht genug Kritik. Und Frutiger nahm die Gelegenheit wahr, als Cassis einen Deza-Vizechef suchte. Ein Mann der Wirtschaft soll nun die Geschicke der Schweizer Entwicklungshilfe bestimmen?

Gibt es zu viele Gutmenschen in der Entwicklungshilfe?
Eine Dosis Optimismus ist immer wichtig. Und es ist richtig, wenn die Leute in diesem Feld vom Solidaritätsgedanken angetrieben werden.

Warum sind Sie zur Deza gekommen?
Bei Nestle stiess ich irgendwann an Grenzen in dem, was ich bewegen konnte. Ich wollte schon immer mithelfen, die sozialen Ungleichheiten auszugleichen und die Wirtschaft zu verändern.

Das hat – wie Frutiger freimütig zugibt – mit seiner eigenen Biografie zu tun. Geboren wurde er 1966 in London. Die Mutter Schweizerin, der Vater aus Gambia. Die Beziehung ging nicht gut, die Mutter kehrte ins Emmental zurück, wo sie später einen Schweizer heiratete. Doch der Bub hatte einen dunkleren Teint. Zwischen Burgdorf BE und Kirchberg BE, Ende der 1960er, als die Schweiz über die Schwarzenbach-Initiative diskutierte. «Das war zum Teil hart», erinnert sich Frutiger. «Natürlich hatte ich viele Freunde. Aber es gab auch sehr boshafte Kommentare. Ich habe schon früh Erfahrungen mit Vorurteilen gemacht.» Das habe ihn geprägt. Nach der Matur ist er schnell weg aus dem engen Emmental, nach Genf. Wo er nach dem Studium beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes landete. Und dort eine neue Welt entdeckte. «Bevor ich zum IKRK ging, war ich überzeugt: Um etwas zu bewegen, muss man öffentlich anprangern und denunzieren. Beim IKRK habe ich dann gelernt, dass es andere Formen gibt, die ebenso zielführend sind.»

Was ist für Sie gute Entwicklungshilfe?
Gute Entwicklungszusammenarbeit wird nicht für ein Land gemacht, sondern mit einem Land zusammen.

Fünfsprachiger Emmentaler

Christian Frutiger wurde 1966 geboren – als Sohn eines Gambiers und einer Schweizerin. Nach der Kindheit im Emmental studierte Frutiger in Genf und trat danach beim IKRK ein, wo er zwölf Jahre lang auf verschiedenen Posten tätig war. 2007 wechselte er als Public Affairs Manager zu Nestlé. Frutiger lebt in der Westschweiz und spricht neben Deutsch auch Französisch, Englisch, Spanisch und Russisch.

Christian Frutiger wurde 1966 geboren – als Sohn eines Gambiers und einer Schweizerin. Nach der Kindheit im Emmental studierte Frutiger in Genf und trat danach beim IKRK ein, wo er zwölf Jahre lang auf verschiedenen Posten tätig war. 2007 wechselte er als Public Affairs Manager zu Nestlé. Frutiger lebt in der Westschweiz und spricht neben Deutsch auch Französisch, Englisch, Spanisch und Russisch.

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Warum setzt man nicht auf kompletten Freihandel, der den Entwicklungsländern wirtschaftliche Chancen gibt?
Weder traditionelle Entwicklungszusammenarbeit noch totaler Freihandel sind das Ei des Kolumbus. Es braucht beides. Das gilt heute mehr denn je, wo die Industrienationen auf einem Niveau leben, das die Ressourcen des Planeten bei weitem übersteigt. So können wir nicht weitermachen. Globaler Freihandel kann dieses Problem nicht lösen. Wir müssen darum auch auf lokale Produktion und Handel setzen, weil das viel weniger Ressourcen braucht.

Viele Schweizerinnen und Schweizer finden, Entwicklungshilfe sollte nicht von eigenen Interessen bestimmt werden, sondern selbstlos erfolgen. Ein Spannungsfeld?
Ja und Nein. Internationale Solidarität ist den Schweizerinnen und Schweizern wichtig. Auf der anderen Seite: Eine gewisse Verknüpfung mit den eigenen Interessen ist aber normal – das machen alle Staaten. Wichtig ist: Es geht immer noch um Armutsbekämpfung. Darum, Ungleichheiten zu vermindern.

Bei der Deza, so Frutiger, sei er «sehr viel näher an meinen persönlichen Überzeugungen als vorher bei Nestlé». Dennoch sei der Wechsel ein «kleinerer Kulturschock» gewesen – man merkt: Der Schock war eher gross. «Die Prozesse sind etwas schwerfälliger», sagt er diplomatisch auf Nachfrage. Sehr positiv sei die Motivation der Mitarbeiter, «das Herzblut, das sie in ihren Job stecken». Herzblut werden diese auch brauchen. Denn mit Cassis ist neuer Wind in der Deza eingezogen. Und die Entwicklungshilfe soll sich mehr fokussieren. Weniger Länder, vier Aspekte: Wirtschaftsförderung, Klima, Migration, Regierungsführung.

Welche Prioritäten setzt die Schweiz in den kommenden Jahren?
An erster Stelle steht der Klimawandel. Wir merken es ja jeden Tag: Der diesjährige Februar ist eher ein März oder April mit Stürmen und Unwettern. In den südlichen Ländern sind die Auswirkungen viel dramatischer.

Und was genau kann man machen?
Ich nenne Ihnen ein aktuelles Beispiel: Gebäude sind für einen wichtigen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich. Nun haben wir in Indien mit Schweizer und lokalen Experten, Unternehmen und NGOs einen nationalen Gebäudestandard für neue Wohnbauten erarbeitet. Der wird Indien erlauben, bis 2030 ganze 100 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Doppelt so viel, wie die Schweiz in einem Jahr ausstösst.

Und die Schweiz hat das finanziert?
Wir haben mitgeholfen – mit Geld und Know-how.

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