Corona-Taskforce ist alarmiert
Mediziner streiten sich über Durchseuchungs-Strategie

Ist eine kontrollierte Durchseuchung der Bevölkerung ein Weg aus der Corona-Krise? Der St. Galler Infektiologe Pietro Vernazza findet, man müsse darüber diskutieren. Die Taskforce des Bundes warnt nun eindringlich.
Publiziert: 26.07.2020 um 12:28 Uhr

Die Aussagen des St. Galler Chefarzts Pietro Vernazza haben bei der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes die Alarmglocken läuten lassen. Der Infektiologe sagte vergangene Woche gegenüber der «SonntagsZeitung», dass eine kontrollierte Durchseuchung der Bevölkerung mit dem Coronavirus eine valable Option sein könnte. Denn das Virus scheine «weniger gefährlich als gemeinhin vermutet».

Das sieht die Corona-Taskforce ganz anders. Vernazzas Pläne seien «undemokratisch» und gefährlich, sagt Manuel Battegay, Mitglied der Taskforce. «Die Idee einer kontrollierten Durchseuchung ist illusorisch», sagt er zur «SonntagsZeitung». Viele Menschen seien nicht bereit, sich anstecken zu lassen, das müsse man respektieren. Zudem: Eine gezielte Durchseuchung müsste laut Battegay «mit sehr rigorosen Schutzmassnahmen, ja fast Zwang einhergehen, die mit der demokratischen Struktur der Schweiz nicht vereinbar wären.» Auch die Aussage, dass man Covid-19 mit einer Grippe vergleichen könne, sei falsch, sagt der Basler Infektiologe.

Die Taskforce will verhindern, dass Vernazzas Idee an Popularität gewinnt. Laut der «SonntagsZeitung» hat sie eben erst beschlossen, einen sogenannten «Policy Brief» zum Thema Durchseuchung zu verfassen. Die vom Bund eingesetzte Taskforce hat schon diverse solcher Faktenblätter publiziert, an denen sich Behörden und Politik orientieren.

Pietro Vernazza ist Chefarzt der Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen.
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Es gibt aber auch Support für Vernazza

Innerhalb der Fachgemeinde stellen sich aber nicht alle gegen Vernazzas Durchseuchungs-Pläne. Der St. Galler Infektiologe bekommt vor allem von Seiten von Ärzten auch Support für seine Idee. Wie die «SonntagsZeitung» schreibt, gibt es bereits mehrere Ärztevereinigungen, die sich hinter Vernazza stellen. Die Gruppe «Ärzte/innen mit Blick aufs Ganze» (Ambag), die in der Corona-Krise entstanden ist, hatte bereits dafür gekämpft, dass Arztpraxen und Spitäler während des Lockdowns wieder ihren normalen Betrieb aufnehmen können.

Nun stärken sie dem St. Galler Infektiologen den Rücken. «Wir teilen die Ansichten von Herrn Vernazza in allen Punkten, insbesondere, dass das Virus etwas weniger gefährlich sei als ursprünglich angenommen», sagt Daniel Holtz, Arzt und Leiter der Ambag-Gruppe. Man teile die Ansicht, dass man «stark auf Durchseuchung setzen» müsse.

Diskussion über Alternativen

Vernazza selbst hält trotz Kritik der Corona-Taskforce an seinen Aussagen fest. Er halte die Strategie der Taskforce – mit diversen Massnahmen versuchen, die Fallzahlen tief zu halten – natürlich auch für attraktiv. Es gebe aber ernst zu nehmende Argumente, die vermuten lassen, dass diese Strategie nicht von Erfolg gekrönt sei. Deshalb müsse man sich Alternativen gut überlegen. Eine davon ist für Vernazza nach wie vor die Durchseuchung. (lha)

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