CVP-Präsident Gerhard Pfister über Bundesratswahlen, BDP-Allianz und das C im Parteinamen
«Ich bin nicht der barmherzige Samariter»

Vier Parteichefs gehen im Frühling. CVP-Präsident Gerhard Pfister bleibt. Er will, dass seine Partei wächst und näher zur BDP rückt. Einzig das «C» im Parteinamen ist er bereit zu verlieren. Und das Volk soll über die Heiratsstrafe befinden.
Publiziert: 27.12.2019 um 23:11 Uhr
CVP-Chef Gerhard Pfister zeigte sich in den letzten Tagen selten gut gelaunt. Dabei hatte seine Partei einige Erfolge zu feiern.
Foto: Keystone
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Interview: Daniel Ballmer und Pascal Tischhauser

Wir treffen den CVP-Präsidenten Gerhard Pfister zum Ende der Session in der Wandelhalle. Er grüsst freundlich, bittet an einen Tisch und möchte rasch loslegen mit dem Interview. Während die Parteichefs Christian Levrat (49, SP), Albert Rösti (52, SVP), Martin Landolt (51, BDP) und Präsidentin Regula Rytz (Grüne, 57) 2020 ihr Amt abgeben, hat der 57-Jährige noch einiges vor mit seiner Partei.

BLICK: Herr Pfister, die Wahlen sind besser gelaufen als gedacht. Dennoch wirken Sie nicht glücklich. Warum?
Gerhard Pfister: Mein normaler Gesichtsausdruck ist nie besonders fröhlich. Innerlich bin ich heiterer gestimmt. Es besteht jedoch kein Grund, zu glauben, wir gehörten zu den Wahlsiegern. Wir haben bloss weniger verloren als andere.

Hatten Sie sich ein etwas schlechteres Wahlergebnis gewünscht? Damit ein Ruck durch die Partei geht?
Jetzt besteht schon die Gefahr, dass wir uns zurücklehnen und in die Rolle des Züngleins an der Waage fallen, ja. Doch wir müssen weiterhin unser Profil in der Mitte schärfen, mit eigenen Ideen sichtbarer und professioneller werden.

Professioneller?
Lassen Sie mich das an einem positiven Beispiel erklären: Es ist bemerkenswert, dass die SP innert kurzer Zeit das Referendum gegen höhere Kinderabzüge zustande gebracht hat. Genau dorthin müssen wir kommen. Nur so legen wir die Grundlagen, um wieder zu wachsen.

Wohin wollen Sie denn?
Wir sind jetzt bei 11 Prozent. Als Mitte-Partei müssen wir in den Bereich der meisten anderen kommen, also zwischen 15 und 20 Prozent.

Wie man hört, soll Ihnen dabei die BDP helfen.
Zusammen mit der BDP wären wir ja schon fast dort. Die Partei hat einen schwierigen Wahlausgang zu verdauen. Aber schreiben Sie die BDP bloss nicht ab! Das ist nach wie vor eine funktionierende Partei mit intakten Strukturen in mehreren Kantonen.

Sie hat keine Fraktionsstärke mehr und massiv Federn gelassen.
Noch eine Woche vor den Wahlen hat man Grabesgesänge auf die CVP angestimmt. Die BDP hat Zukunft. Ich freue mich, dass sie mit uns und der EVP in der Mitte-Fraktion politisiert. Und ja, ich bin seit Jahren ein Verfechter eines engeren Zusammengehens mit der BDP.

Die Allianz scheiterte schon einmal.
Weil die BDP aus dem Nichts recht stark wurde. Und weil die Basis nach der erfolgreichen Aufbauarbeit verständlicherweise nicht bereit war, dafür in der CVP aufzugehen. Unsere beiden Parteien sind komplementär. Es ist meine Grundüberzeugung, dass es eine starke Mitte braucht. Da ist die BDP ein wertvoller Partner.

Wie könnte so eine Allianz aussehen?
Lassen Sie uns erst zeigen, dass wir gemeinsam wirksame Mitte-Politik machen können. Wie unsere Parteien später vielleicht einmal näher zusammenrücken könnten, darüber mag ich nicht spekulieren. Heute ergänzen wir uns, und davon profitieren nach meinem Dafürhalten beide Parteien.

Müssen Sie erst die C-Frage klären?
Ich werde im Sommer 2020 zur Wiederwahl als Präsident antreten. Die Delegierten haben Anspruch darauf, zu diesem Zeitpunkt zu wissen, welches die Ausrichtung für die nächsten vier Jahre ist. Als Grundlage dazu lassen wir extern analysieren, was die Stärken und Schwächen des Namens CVP sind und welche Vor- und Nachteile beispielsweise die Marke «Mitte» hat.

Sie wollen also nicht mehr in die christliche Ecke gestellt werden?
Sehen Sie: Ich hatte im Wahlkampf viele Reaktionen von Leuten, deren politische Positionen mit denjenigen der CVP übereinstimmen. Sie unterstützten unsere Politik, sagten aber, sie könnten keine katholische Partei wählen. Darauf müssen wir als Partei, die durchaus christliche Werte wie Solidarität vertritt, deswegen aber nicht konfessionell ausgerichtet ist, eine Antwort finden.

Kommen wir zur Abschaffung der Heiratsstrafe. Das Bundesgericht hat den Urnengang für ungültig erklärt. Ziehen Sie zurück?
Bundesrat Ueli Maurer hat korrekterweise eine Steuervorlage vorgelegt, die das Problem der Heiratsstrafe entschärft hätte. Das wollte das Parlament offensichtlich nicht. Und es ist eine Aargauer Standesinitiative unterwegs, die darauf verzichtet, die Ehe als Verbindung von Frau und Mann festzuschreiben. Diese will ebenfalls die Heiratsstrafe beseitigen. Das Initiativkomitee hat noch Zeit bis Ende Mai, um zu entscheiden.

Aber Sie persönlich haben doch sicher eine Präferenz.
Jetzt zu den Festtagen bin ich wunschlos glücklich. Oder eher: Wunschlos unglücklich, um an einen Buchtitel von Peter Handke anzulehnen. Das Präsidium wird sich im Januar entscheiden. Für mich persönlich braucht es früher oder später einen Volksentscheid, um diesen gordischen Knoten zu durchtrennen. Denn im Parlament blockieren sich alle gegenseitig.

Sie plädieren also dafür, nochmals vors Volk zu gehen.
Unsere Gegner wechseln die Argumente, wie es ihnen lieb ist. Jetzt soll unsere Initiative plötzlich einer Individualbesteuerung entgegenstehen, vorher störte die Ehedefinition. In unserem direktdemokratischen System kann nur der Souverän Klarheit schaffen.

Kommen wir zur Bundesratswahl. Regula Rytz ist klar gescheitert. Hat die CVP den Wählerwillen ignoriert?
Sicher nicht! Auch wenn der Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz besser begründbar ist als der FDP-Anspruch auf zwei Sitze, hat sich halt eine Mehrheit für Konstanz ausgesprochen.

Als Trostpflästerli für die Grünen rufen Sie zum Konkordanzgipfel. Was bringt der?
Es ist unbefriedigend, dass der Wählerwille sich im Bundesrat ungenügend abbildet. Deshalb möchte ich Vorschläge von verschiedenen Parteien diskutieren. Wie bekannt ist, könnte ich mir eine Amtszeitbeschränkung von acht oder zwölf Jahren vorstellen.

GLP-Chef Grossen will, dass jeder Bundesrat sich nur einmal wiederwählen lassen kann. Wär das eine gute Idee?
Ich finde auch, dass Bundesräte nicht ohne triftigen Grund vor Ablauf ihrer Amtszeit von vier Jahren gehen sollen. Insofern finde ich den Vorschlag von Herrn Grossen spannend. Ich habe bei einem Vorstoss aus der SP unterschrieben, der neun Bundesräte verlangt. Und ich finde auch einzelne Vorschläge von Frau Gössi interessant. Das Ziel muss einfach sein, dass Wahlergebnisse sich in der Zusammensetzung des Bundesrats spiegeln.

Dass die Parteien freiwillig Macht abgeben, können wir uns nur schwer vorstellen.
Entschuldigung, Politik ist Ausübung von Macht. Und Politik in einem demokratischen Staat ist Machtausübung und Verantwortungsausübung – aber eben kontrolliert durch die Institutionen. Und wenn die Bürger Veränderungen beschliessen, müssen wir prüfen, ob dies auch institutionelle Folgen haben sollte. Das Wahlergebnis verpflichtet uns alle, einen Schritt zu machen und zu schauen, was für die Schweiz am besten ist. Ich weiss aber nicht, ob der Schritt gelingt.

Ist denn die CVP dazu bereit?
Ja, das ist sie. Obwohl ich der Präsident der C-Partei bin, bin ich noch lange nicht der barmherzige Samariter. Gerade die CVP hat mit der Abwahl von Ruth Metzler schon leidvolle Erfahrungen gemacht, wie es kommen kann, wenn man sich eben nicht auf ein Setting einigt. Es ist mein ureigenes Interesse, den Mitte-Sitz in der Mitte zu behalten.

Auch Sie haben eher den Sitz von Herrn Cassis als jenen von Karin Keller-Sutter infrage gestellt. Warum?
Weil ich mit Ignazio Cassis nicht sonderlich zufrieden bin. Die Argumentation, er würde beim EU-Dossier ja gerne vorwärtsmachen, aber sein Departement lasse ihn nicht, kann man sechs Monate lang bringen. Aber nach zwei Jahren fällt das auf ihn selbst zurück. Es ist seine Aufgabe, das Departement zu führen.

Nun bleibt das EU-Dossier bei Cassis. Kommt das gut?
Der Bundesrat weiss seit Monaten, welche drei Punkte beim Rahmenabkommen unabdingbar verbessert werden müssen. Ich habe den Eindruck, dass der Bundesrat das gegenüber Brüssel noch immer nicht richtig kommuniziert. Nur mit kleinen Präzisierungen bringt man die berechtigten Ängste der Sozialpartner nicht weg.

Wir wiederholen unsere Frage: Kommt das gut?
Das hängt von der Stärke ab, mit welcher der Gesamtbundesrat und Aussenminister Cassis in Brüssel auftreten. Der Bundesrat kann nicht einfach warten, bis der Entscheid über die Begrenzungs-Initiative Mitte Mai gefallen ist. Er kann nicht erst dann diskutieren, was man von Brüssel einfordern will. Er muss dann gleich konkrete Vorschläge vorlegen.

Sie haben also nicht den Eindruck, der Bundesrat wisse, was er will?
Schon der Vorgänger von Cassis, Herr Burkhalter, hat gegenüber Brüssel stets signalisiert, es gebe keine Probleme. Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann wiederum hätten die Gewerkschaften nicht überfahren dürfen. Ich halte nichts vom Beschimpfen der Gewerkschaften. Sie wollen, wie auch der Gewerbeverband, unsere Arbeitsbedingungen auf dem heutigen Niveau halten. Auch unter der Weiterentwicklung des europäischen Rechts. Genau dazu fordert die CVP ja, dass das Volk das erste und letzte Wort haben muss.

Darum geht es bei der Heiratsstrafe

Seit Jahren soll die Heiratsstrafe abgeschafft werden. Denn rund 454'000 Doppelverdiener-Ehepaare und etwa 250'000 Rentner-Ehepaare sind gegenüber unverheirateten Paaren durch eine steuerliche Mehrbelastung von mehr als zehn Prozent benachteiligt.

Dagegen kämpft die CVP an vorderster Front. 2016 hat das Volk ihre Initiative knapp abgelehnt. Weil der Bund mit viel zu wenigen Betroffenen argumentiert hatte, hob das Bundesgericht die Abstimmung auf. Die Initianten könnten das Begehren zurückziehen oder es kommt im Herbst nochmals an die Urne. Das Problem: Die Initiative definiert die Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Diese Ehedefinition ist umstritten, da sie die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erschwert. Dabei unterstützen heute auch die meisten CVPler die Ehe für alle.

Seit Jahren soll die Heiratsstrafe abgeschafft werden. Denn rund 454'000 Doppelverdiener-Ehepaare und etwa 250'000 Rentner-Ehepaare sind gegenüber unverheirateten Paaren durch eine steuerliche Mehrbelastung von mehr als zehn Prozent benachteiligt.

Dagegen kämpft die CVP an vorderster Front. 2016 hat das Volk ihre Initiative knapp abgelehnt. Weil der Bund mit viel zu wenigen Betroffenen argumentiert hatte, hob das Bundesgericht die Abstimmung auf. Die Initianten könnten das Begehren zurückziehen oder es kommt im Herbst nochmals an die Urne. Das Problem: Die Initiative definiert die Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau». Diese Ehedefinition ist umstritten, da sie die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erschwert. Dabei unterstützen heute auch die meisten CVPler die Ehe für alle.

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