Dänische Epidemiologin Lone Simonsen sicher
«Es gibt einen Weg aus der Pandemie – ohne Zwang»

Musterschüler Dänemark: Die grosse Mehrheit der Bevölkerung ist geimpft, alle Massnahmen sind aufgehoben. Lone Simonsen von der Universität Roskilde erklärt, was dahinter steckt. Und was wir von den Skandinaviern lernen können.
Publiziert: 18.09.2021 um 20:42 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2021 um 13:22 Uhr
Interview: Valentin Rubin

Keine Masken, keine Beschränkungen, kein Zertifikat: Sehnsüchtig wartet die Welt auf ein Ende der Pandemie. Und blickt neidisch nach Dänemark, wo nun alle Corona-Massnahmen aufgehoben wurden. Wie haben die Dänen das geschafft? SonntagsBlick fragt bei der Epidemiologin Lone Simonsen nach.

Frau Simonsen, wie lebt es sich in Dänemark, jetzt wo die Pandemie quasi vorbei ist?
Lone Simonsen: Wir gehen fast ohne Massnahmen in den Winter, es fühlt sich beinahe so an wie früher. Das ist nur möglich, weil 75 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, von den über 50-Jährigen sogar 96 Prozent. Das ist entscheidend: Es wird Ansteckungen geben, aber mit einem solchen Schutz der besonders Gefährdeten wohl kaum schwere Fälle oder Hospitalisierungen.

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Was hat Dänemark anders gemacht als der Rest Europas?
Wir haben eine sehr hohe Impfquote. Auch zuvor hatten wir eine gute Kontrolle über das Infektionsgeschehen, mit vergleichsweise wenig Toten und Hospitalisierten. Und als wohlhabendes Land konnten wir es uns leisten, auf die Impfung zu warten und bis dann harte Lockdowns zu verhängen.

In Dänemark sind fast alle Corona-Massnahmen aufgehoben. Konzerte zum Beispiel können wieder ohne Einschränkungen stattfinden.
Foto: Getty Images
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Letzteres würde auch auf die Schweiz zutreffen. Und doch: Wir sind nicht am gleichen Ort.
Die Dänen haben generell hohes Vertrauen in ihre Regierung. Wir kümmern uns umeinander und zahlen gerne Steuern – für die Allgemeinheit! Die meisten wissen, dass die Behörden alles zu unserem Schutz tun, und handeln entsprechend. Dies hilft sehr. Zudem bemühten sich die Gesundheitsbehörden erfolgreich um Vertrauen.

Wie?
Wegen seltener schwerer Nebenwirkungen beim Astrazeneca-Impfstoff haben sie dessen Verwendung nach eingehender Beurteilung rasch gestoppt, entgegen der EU-Empfehlung. Für viele war da klar: Nur die sichersten Impfstoffe werden verwendet. Solche Entscheide sind nachvollziehbar und vertrauenswürdig.

Zudem hat Dänemark sehr viel getestet.
Ja, durch Massentests wurden zwischenzeitlich zehn Prozent der Dänen täglich getestet. Und die Tests wurden oft sequenziert: Wir wussten stets, was das Virus macht. Auch für das Zertifikat, das ab April nötig war, war das Testen zentral. Nur: Andauerndes Testen ist zeitaufwendig und macht wenig Spass. Insofern war die frühe Zertifikatspflicht ein riesiger Anreiz für die Impfung. Ich habe mich damals nach der Impfung sehr gefreut, nun nicht mehr zweimal wöchentlich einen Test zu machen.

Gibt es in Dänemark Impfskeptiker?
Ja, aber wahrscheinlich sind nur gut fünf Prozent strikt gegen die Impfung. Und einige sind noch unsicher. Das ist absolut verständlich. Das dänische Gesundheitsamt hofft aber, dass Ende Jahr 90 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft sind.

Für viele Länder ein utopisches Szenario. Wie hat Dänemark das geschafft?
Durch Vertrauen und richtige Anreize. Wir hatten nie eine Impfpflicht, aber eine gesunde Debatte über den Sinn des Impfens und der Hygienemassnahmen. Zudem gab es Untersuchungen darüber, worum die Bevölkerung sich sorgt. Die Regierung hat entsprechend gehandelt und stets sehr klar informiert. Daher sind nun fast alle Dänen Amateurepidemiologen! (Lacht.)

Wichtig war auch der früh eingesetzte Corona-Pass. Gab es keinen Protest dagegen?
Doch. Aber für die meisten war es befreiend zu wissen, dass es mit Pass viel sicherer im Restaurant oder Kino ist. Ich glaube, wegen dieser Freiheit vor einer möglichen Infektion haben die Menschen das Zertifikat schnell akzeptiert.

Zur Person

Lone Simonsen (62) ist Professorin für Epidemiologie an der Universitiät Roskilde in Dänemark sowie Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften.

Lone Simonsen (62) ist Professorin für Epidemiologie an der Universitiät Roskilde in Dänemark sowie Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften.

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Ist eine Exit-Strategie à la Dänemark ohne Zertifikat überhaupt möglich?
Wir brauchen das Zertifikat nun nicht mehr, dank der hohen Impfquote, besonders unter den Vulnerablen. Das ist auch dank der zusätzlichen Anreize des Zertifikats selbst der Fall.

Was kann die Welt von Dänemark lernen?
Es gibt einen sanften Weg aus dieser Pandemie! Ohne zusätzliche Tote, ohne überlastete Spitäler, ohne Impfzwang. Zentral dabei: Je mehr Menschen geimpft sind, desto besser. Ansonsten endet es böse.

Keine Massnahmen und kein Zertifikat mehr. Und die Delta-Variante, die Geimpfte anstecken kann. Kommt das wirklich gut?
Das grösste Risiko liegt bei weiteren Mutationen, die unsere Immunität umgehen. Dann müssten wir die Massnahmen wieder hochfahren und auf eine angepasste Booster-Impfung warten. Ich glaube aber, selbst das wäre hier gut machbar.

Und wann wird Corona nicht mehr die Schlagzeilen füllen?
In Dänemark spricht man schon viel weniger darüber. Andere Themen rücken wieder in den Fokus. Aber das Virus ist noch da, sogar gefährlicher als zuvor – vor allem für ungeimpfte Erwachsene. Es zirkuliert weiter und wird zu ihnen finden.

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