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Das Absenzenbüchlein entlarvt Bäumle, Köppel und andere Nationalräte
Sie lassen sich fürs Schwänzen sogar belohnen

Wie ernst nehmen Politiker ihr Amt? Das Absenzenbüchlein im Bundeshaus zeigt: Sie schwänzen nicht nur, sie kassieren dabei sogar. Einige treiben es so weit, dass sie gar nicht erst im Nationalratssaal erscheinen. BLICK-Recherchen liefern nun Zahlen dazu.
Publiziert: 13.10.2019 um 23:41 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2021 um 18:59 Uhr
Petar Marjanovic

«Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen.» Diesen Eid werden bald 200 neue Nationalrätinnen und Nationalräte leisten. Wer das sein wird, entscheidet sich am nächsten Sonntag bei den Wahlen.

Doch für manch einen Politiker ist der Eid nicht viel mehr als eine Floskel. Einige Nationalräte schwänzen trotz gesetzlicher Anwesenheitspflicht einen beachtlichen Teil der Sitzungen – und kassieren dennoch ab. 440 Franken Sitzungsgeld zahlt der Bund, folglich die Steuerzahler, pro Tag. Das Geld bekommt, wer sich zu Beginn einer Sitzung in eine Präsenzliste einträgt. Doch wie viele Politiker verduften danach wieder und verdienen trotz Abwesenheit? BLICK hat dies erstmals unter die Lupe genommen.

Parlament will keine Transparenz bei sich

Dass das bislang noch niemand anderes getan hat, liegt daran, dass die Präsenzlisten bis heute nicht transparent sind – trotz Öffentlichkeitsprinzip. Als dieses 2006 eingeführt wurde, nahm sich die Bundesversammlung explizit davon aus. Unter vorgehaltener Hand heisst es von Parlamentsangestellten, nicht jeder würde sich über die Transparenz freuen.

Auch Köppel ist bei den Schwänzern ganz vorne dabei. Er tauchte an 29 Sitzungstagen gar nicht auf.
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Über die Parlamentsprotokolle erhielt BLICK aber trotzdem Einsicht in die Absenzenbüchlein. Denn auch dort wird festgehalten, wer Sitzungsgeld bezog. Die Auswertung zeigt: Spitzenreiter unter den Schwänzern, die dennoch abkassieren, sind bekannte Gesichter.

In Abwesenheit kassieren: Die sechs Spitzenreiter in der Übersicht.
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Der ehemalige GLP-Chef Martin Bäumle (55, ZH), der auch im Stadtrat von Dübendorf sitzt, hat an 38 der 213 Sitzungstage Taggeld bezogen, obwohl er an über der Hälfte der Abstimmungen nicht teilnahm. Knapp 17'000 Franken verdiente er so in den letzten vier Jahren für seine mässige Präsenz.

CVP-Präsident Gerhard Pfister (57, ZG) verpasste an 34 Tagen eine Mehrzahl der Abstimmungen, liess sich aber trotzdem das Sitzungsgeld auszahlen. Auf Platz 3 folgt BDP-Nationalrat Hans Grunder (63, BE) mit 28 Tagen.

Bäumle: «Ich habe kein schlechtes Gewissen»

Bäumle räumt ein, dass es bei ihm in der vergangenen Legislatur zu vielen Absenzen kam – verteidigt sich aber: In einem Milizsystem könne man als Politiker nicht alles unter einen Hut bringen, sondern müsse Prioritäten setzen. «Als Stadtrat von Dübendorf zum Beispiel erwartet mich auch Arbeit in meiner Gemeinde. Manchmal muss ich früher zurückfahren, manchmal bin ich auch zu spät zu einer anderen Sitzung gekommen.» Bäumle sagt, er versuche wenn möglich nur dann zu fehlen, «wenn es bei einer Abstimmung nicht auf meine Stimme ankommt».

Ausserdem sei eine hohe Anwesenheitsquote kein Qualitätsmerkmal für einen Politiker. «Für mich zählt, was jemand in Bern erreicht hat. Und da habe ich kein schlechtes Gewissen. Bei wichtigen Abstimmungen und in Kommissionssitzungen war ich fast immer dabei.»

Linke siegt, weil Bürgerliche schwänzen

Die BLICK-Auswertung zeigt zudem, wer an wie vielen Tagen überhaupt nicht im Bundeshaus war, also auch kein Sitzungsgeld bezog. Spitzenreiter hier: Roger Köppel (54, ZH) mit 29 Fehltagen. Hinzu kommen 16 Tage, an denen er zwar auf dem Papier da war – aber in der Realität höchstens Teilzeit. Insgesamt fehlte der Absenzenkönig bei über 1000 Abstimmungen, wie der SonntagsBlick jüngst berichtete.

Im Gegensatz zu den Abkassierern schmerzen die Schwänzer den Steuerzahler nicht – im Gegenteil: Mit jedem Parlamentarier, der unentschuldigt abwesend ist, spart der Bund ein Sitzungsgeld. Es stellt sich jedoch die Frage, wie Politiker ihr Amt gewissenhaft erfüllen können, wenn sie im Bundeshaus weder mitreden noch mitbestimmen.

Zudem kommt es bei umstrittenen Geschäften auf jede Stimme an. Im Juni 2018 boxten die Linken beispielsweise mit nur einer Stimme Unterschied die Frauenquote für Verwaltungsräte durch. Köppel fehlte an diesem Nachmittag.

Köppel: «Absenzen mit Fraktionsleitung abgesprochen»

Köppel selbst wehrt sich gegen den Vorwurf, häufig unentschuldigt zu fehlen. Alle Absenzen seien mit der Fraktionsleitung abgesprochen. Er nehme den Amtseid sehr ernst, beteuert er. «Ich gehe nicht nach Bern, um Geld zu verdienen.» Dass er viel häufiger als andere fehlt, begründet der «Weltwoche»-Verleger mit seinem Job und seiner «aufwendigen, vermutlich schweizweit einzigartigen» Wahlkampagne.

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