Der deutsche FDP-Chef Christian Lindner (39) im BLICK-Interview
«Die Rechtspopulisten setzen auf schlechte Laune»

Der Chef der FDP Deutschland, Christian Lindner, erzählt, wie er die AfD im Bundestag erlebt. Warum Angela Merkels Autorität bröckelt. Und wie die Schweizer Schwesterpartei zum Erfolg kommt.
Publiziert: 16.04.2018 um 07:31 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 17:35 Uhr
Christian Lindner präsidiert die deutsche FDP seit über vier Jahren.
Foto: Thomas Meier
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Interview: Christian Dorer

Der Chef der deutschen FDP kommt regelmässig in die Schweiz – und gerne, weil hier liberale Werte viel gelten. Dieses Mal ist Christian Lindner für eine Rede am Kundenevent des Beratungsunternehmens Pom + Consulting von Berlin nach Zürich geflogen. Für das Interview setzen wir uns in die Gartenwirtschaft des Kaufleuten.

Herr Lindner, Sie loben gerne das freiheitliche System der Schweiz. Wo zeigt sich dieses?
Christian Lindner: Bei der Mentalität der Schweizerinnen und Schweizer, bei ihrer Bereitschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung, dem Respekt vor Eigentum und der Freude an der eigenen Schaffenskraft. Restlos begeistert wäre ich, wenn gelegentliche Rückfälle in Abschottungsdenken durch mehr Weltoffenheit ersetzt würden.

FDP-Chefin Petra Gössi will in den Wahlen 2019 die SP überholen. Wie lautet Ihr Ratschlag?
Die erfolgreiche FDP in der Schweiz braucht keinen Rat von mir. Es gibt aber einen Erfahrungsaustausch bei Methoden der Wahlkampfführung. Da haben wir in Deutschland viel Lob erhalten. Wir haben übrigens den Charakter unserer Partei verändert, indem wir nicht mehr Berufsgruppen ansprechen, sondern ein Lebensgefühl vermitteln. Nicht alle Geschäftsleute denken liberal – und viele Liberale sind keine Geschäftsleute. Das Potenzial einer freisinnigen Partei reicht über Business hinaus.

Wie kann sich die FDP von der SVP abgrenzen?
Das gelingt ihr doch gut. Die FDP ist verglichen mit der SVP die viel modernere Partei. In Deutschland ist die FDP der schärfste Gegensatz zur AfD. Als Liberale glauben wir an den Einzelnen und an eine gute Zukunft. Die Rechtspopulisten dagegen setzen auf Abschottung, schlechte Laune und postulieren die ethnische, kulturelle und religiöse Einheit des Volkes. In der Schweiz mit ihren verschiedenen Wurzeln und Landesteilen wäre eine solche Vorstellung absurd.

FDP-Chef Christian Lindner im Gespräch mit Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Foto: Thomas Meier

Die SVP lässt sich auch nicht mit der AfD vergleichen. SVP und FDP teilen viele gemeinsame Werte. 
Ich stelle keine Vergleiche an. Aber wenn ich bestimmte Kampagnen, auch in der Schweiz, beobachte, sehe ich wenig Liberalität, wenig Optimismus, wenig Toleranz. Oft wird doch an Ängste appelliert. Das macht die Menschen klein.

Sie reden der Eigenverantwortung das Wort. Wo aber braucht es den Staat?
Die Voraussetzung für Eigenverantwortung, Individualität und Freiheit ist ein starker Staat. Das klingt paradox. Aber wir brauchen einen Staat, der das Gewaltmonopol verteidigt. Er muss sich darum bemühen, dass einzelne Konzerne nicht die Spielregeln diktieren. Ich denke an Google, Facebook und Amazon. 

Sind nicht selbst Staaten diesen Internet-Giganten ausgeliefert?
Wir müssen dafür sorgen, dass das nicht passiert. Wir müssen bei diesen Entwicklungen unsere liberalen Werte und Kulturen einbringen. Ein Beispiel: Es könnte ein europäisches Projekt sein, dass künstliche Intelligenz zum Fortschritt der Menschheit genutzt wird statt zur Überwachung und zu militärischen Zwecken.

Auch Europa spricht nicht mit einer Stimme. Wie erklären Sie sich den klaren Sieg von Viktor Orban in Ungarn?
Es gibt die Tendenz, dass man auf Wandel mit Abschottung reagiert und seine Feinde im In- und Ausland definiert. Das war auch Orbans Methode. Gleichzeitig wird aber auch der weltoffene Geist gestärkt: Emmanuel Macron hat so in Frankreich die Wahlen gewonnen. Auch das Comeback der FDP – auf bescheidenerem Niveau – ist darauf zurückzuführen. Jeder Bürger muss sich fragen, in welcher Gesellschaft er leben will. Wer den Provokateuren auf den Leim geht, darf sich nicht wundern, wenn er irgendwann in geschlossenen, grauen und armen Gesellschaften aufwacht.

Was bedeutet Orbans Sieg für die europäische Idee?
Ich bin ein Anhänger des geeinten Europas. Aber ich vertrete die Auffassung, dass die europäische Idee Rücksicht auf die einzelnen Staaten nehmen muss. Bei der Weiterentwicklung der EU sollten einzelne Staaten schneller vorangehen als andere. 

Ist auch die Personenfreizügigkeit verhandelbar?
Nein, sie ist ein Pfeiler des freien Binnenmarkts. Bei der Weiterentwicklung aber sollte sich Europa auf die Fragen konzentrieren, wo die europäische Gemeinsamkeit einen echten Mehrwert generiert: bei der Sicherheits- und Handelspolitik, beim Umgang mit Afrika, bei Investitionen in neue Technologien wie künstliche Intelligenz. 

Und wo nicht?
Bei der veralteten Agrarpolitik. Oder beim Euro, wo die Vergemeinschaftung von Risiken, Schulden und Finanztöpfen mehr Probleme schaffen würde. 

In Deutschland sind Sie der Buhmann der Nation, seit Sie auf eine Regierungsbeteiligung verzichtet haben. Wie lebt es sich in dieser Rolle?
Wenn ich durch unser Land reise, habe ich einen ganz anderen Eindruck. Die Leute stärken uns den Rücken und loben, dass mal eine Partei auf Ministerposten verzichtet hat, um ihr Wort zu halten. Möglicherweise bin ich der Buhmann der Anhänger von CDU, SPD und Grünen. Durch unsere Prinzipienfestigkeit haben wir diese Parteien nun in Verlegenheit gebracht. Die Grünen haben jetzt plötzlich eine neue Führung, die CSU ebenso. Die Debatte um die Nachfolge von Frau Merkel ist voll entbrannt. Die SPD wollte sich in der Opposition erneuern, jetzt hat sie wieder Regierungsverantwortung übernommen. 

Deshalb hat Deutschland wieder eine Regierung. Sind Sie der SPD zu Dank verpflichtet?
Wieso das? Die inhaltlichen Unterschiede zwischen CDU/CSU und SPD sind marginal. Sich da zu zieren, hat mich nicht überzeugt. Die Unterschiede zwischen FDP und Grünen waren enorm. Die Grünen wollen die Menschen erziehen, wir wollen die Menschen von Bürokratismus und finanziellen Lasten befreien. 

Wie lange hält die aktuelle Regierung?
Bis zu den nächsten Wahlen. 

Wieso?
Von den Koalitionspartnern will keiner eine Neuwahl riskieren.

Also bleibt Angela Merkel vier weitere Jahre Kanzlerin?
Davon gehe ich aus. 

Als was wird sie in die Geschichte eingehen?
Das ist offen. Der Charakter der Kanzlerschaft ist nicht klar. Es stellt sich die Frage, ob es ihr in den nächsten Jahren noch gelingt, ein Erneuerungsprojekt zu beginnen. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie als die Kanzlerin in die Geschichte eingeht, nach der ein Modernisierungsstau aufgeholt werden musste.

Und wenn sie nochmals antritt?
Bereits heute ist in der CDU/CSU ein Verlust der Autorität der Kanzlerin spürbar. Es gelingt ihr nicht, mit Herrn Seehofer in der Islamdebatte auf einen Nenner zu kommen (Innenminister Horst Seehofer sagte: «Der Islam gehört nicht zu Deutschland», Anm. der Red.). Dabei hat sie die Richtlinienkompetenz gegenüber einem Minister. 

Wie erleben Sie die AfD im Bundestag?
Laut, aber harmlos. Die geben ein paar Tabubrüche zu Protokoll, die sind für die Regierung aber keine Bedrohung. Denn die verwenden nur stumpfe Waffen. Politisch gefährlich ist eine Opposition, die gute Vorschläge macht oder chirurgisch präzise Schwächen herausarbeitet. 

Dann ist die AfD auch keine Gefahr?
Es ist bedauerlich, dass klare Verhältnisse bei uns durch die zwei Randparteien AfD und Linke erschwert werden, die für die Regierungsbildung keine Rolle spielen. Ohne die AfD hätte es möglicherweise eine schwarz-gelbe Mehrheit gegeben. Das hätte in der Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik eine Wende ermöglicht. 

Zur Person

Christian Lindner (39) hat die Freie Demokratische Partei (FDP) Deutschlands zurück in den Bundestag geführt und erreichte bei den Wahlen im September 10,7 Prozent. Gespräche über eine Regierung mit CDU/CSU und den Grünen beendete er mit den Worten: «Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.» Lindner trat der FDP als 16-Jähriger bei. Er studierte in Bonn Politik, Staatsrecht und Philosophie. Er ist verheiratet.

Christian Lindner (39) hat die Freie Demokratische Partei (FDP) Deutschlands zurück in den Bundestag geführt und erreichte bei den Wahlen im September 10,7 Prozent. Gespräche über eine Regierung mit CDU/CSU und den Grünen beendete er mit den Worten: «Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.» Lindner trat der FDP als 16-Jähriger bei. Er studierte in Bonn Politik, Staatsrecht und Philosophie. Er ist verheiratet.

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