Der Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig im grossen Interview
«Mich stört dieses Mainstream-Woke-Gehabe»

Rolf Dörig, der ehemalige «Freund der FDP», tritt der SVP bei. Im Interview erzählt er, was ihn zu diesem Schritt veranlasst hat, wie er sich einbringen will und warum mehr Wirtschaftsführer in die Politik sollten.
Publiziert: 08.01.2023 um 01:07 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 08:20 Uhr
Christian Dorer (Interview) und Philippe Rossier (Fotos)

Rolf Dörig (65) ist einer der ganz grossen Wirtschaftskapitäne – und einer der wenigen, der sich auch politisch pointiert äussert. An der Bad-Horn-Tagung der SVP vom Freitagabend kam aus: Dörig ist neu SVP-Mitglied. Warum, das erklärt er im SonntagsBlick exklusiv. Wir treffen ihn in seinem Präsidenten-Büro im vierten Stock des noch ziemlich ausgestorbenen Swiss-Life-Hauptsitzes in Zürich.

Herr Dörig, warum sind Sie der SVP beigetreten?
Rolf Dörig: Weil ich mich mit der Partei und ihren Werten identifiziere. Der Beitritt formalisiert meine langjährige Grundhaltung.

Wer von der SVP hat bei Ihnen angeklopft?
Niemand hat angeklopft. Meine gesellschaftlich wertkonservativen und wirtschaftsliberalen Überzeugungen in Kombination mit meiner Heimatverbundenheit passen gut zur SVP. Ich bin der Sache verpflichtet und werde dies auch künftig sein, da ich kein Freund von parteiideologischen Grabenkämpfen bin.

Am Freitag wurde bekannt: Swiss-Life-Präsident Rolf Dörig ist seit Dezember SVP-Mitglied.
Foto: Philippe Rossier
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Sie haben sich früher bei den «Freunden der FDP» engagiert. Was ist passiert?
Die FDP hat sich leider nicht so entwickelt, wie ich mir dies vorgestellt hatte. Die SVP mit ihrem klaren Kompass ist zuverlässiger und steht mir näher. Nicht nur in gesellschaftlichen Fragen, sondern auch in wirtschaftlichen.

Die FDP hat unter dem neuen Präsidenten Thierry Burkart einen klar bürgerlichen Fokus.
Ich schätze Thierry Burkart sehr. Auch wenn die FDP aktuell gute Arbeit leistet, richte ich mich mit meinem Beitritt zur SVP langfristig aus. Die SVP war in den vergangenen 15 Jahren auch in Wirtschaftsfragen konstanter. Und die SVP ist näher beim Volk.

Warum ist Ihnen die SVP näher?
Ich bin wertkonservativ. Deshalb stören mich dieses Mainstream-Woke-Gehabe und dieses Moralisieren, das dem Zeitgeist einer wohlstandsverwöhnten Minderheit entspricht. Als hätten wir nichts Wichtigeres zu tun. Natürlich müssen Minderheiten respektiert werden. Aber wenn zum Beispiel mit Kindergartenkindern darüber diskutiert wird, ob sie vielleicht doch kein Junge oder Mädchen sein möchten, dann finde ich: Wir sollten uns als Gesellschaft besser mit den wesentlichen Sachen beschäftigen.

Persönlich: Rolf Dörig

Rolf Dörig (65) ist Präsident von Swiss Life, dem grössten Schweizer Lebensversicherer. Er gehört dem Vorstandsausschuss von Economiesuisse an und hat weitere Verwaltungsratsmandate, u. a. bei Danzer und Emil Frey. Von 2009 bis 2020 war Rolf Dörig Präsident des weltgrössten Arbeitsvermittlers Adecco. Dörig hat ein Anwaltspatent, war früher Chef von Credit Suisse Schweiz und Swiss Life. Bis zur Generalversammlung im Juni 2023 ist Dörig Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV). Er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen.

Rolf Dörig (65) ist Präsident von Swiss Life, dem grössten Schweizer Lebensversicherer. Er gehört dem Vorstandsausschuss von Economiesuisse an und hat weitere Verwaltungsratsmandate, u. a. bei Danzer und Emil Frey. Von 2009 bis 2020 war Rolf Dörig Präsident des weltgrössten Arbeitsvermittlers Adecco. Dörig hat ein Anwaltspatent, war früher Chef von Credit Suisse Schweiz und Swiss Life. Bis zur Generalversammlung im Juni 2023 ist Dörig Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV). Er ist verheiratet und Vater von drei Söhnen.

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Es ist die SVP, die gerne Probleme mit viel Polemik bewirtschaftet.
Ich bin kein Polemiker. Aber die Zuwanderungsdebatte zum Beispiel muss offen geführt werden können: Wie viele Menschen sollen jedes Jahr zusätzlich kommen? Wollen wir eine 10-Millionen-Schweiz? Oder was ist dagegen zu tun? Das macht niemand so konsequent wie die SVP. Da bin auch ich in der Sache knallhart. Wichtig ist mir, dass man anständig und respektvoll bleibt.

Finden Sie etwa die Messerstecher-Inserate der SVP respektvoll?
Diese entsprechen nicht meinem persönlichen Stil. Im Wahlkampf darf aber eine Partei an die Grenzen gehen. Wo diese Grenze liegt, sieht jeder ein wenig anders. In der Sache erwarte ich von der SVP, dass sie zwar hart kämpft, aber auch Kompromisse eingeht, wo Kompromisse möglich sind. Nur gemeinsam können SVP, FDP und Mitte erfolgreiche bürgerliche Politik machen. Eine Überzeugung, für die ich stets eingestanden bin.

Ist die SVP mit Albert Rösti auf dem Weg zu einer ganz normalen Partei?
Was ist für Sie eine ganz normale Partei?

Eine, die nicht gleichzeitig in der Regierung ist und Opposition betreibt.
Die SVP ist eine staatstragende Bundesrats-Partei. Sie hat bewiesen, dass sie konkordanzfähig ist.

Christoph Blocher blieb auch als Bundesrat Oppositionspolitiker.
Die Schweiz hat Christoph Blocher viel zu verdanken. Er ist eine beeindruckende Persönlichkeit, als Wirtschaftsführer wie als Politiker. Er hat sich über Jahrzehnte für das Land eingesetzt, und ich teile mit ihm die Überzeugung, dass die Schweiz auch in Zukunft eigenständig, neutral und attraktiv bleiben muss.

Wie prägend ist Blocher noch für die Partei?
Ich wurde erst im Dezember Mitglied der SVP-Ortspartei Küsnacht und masse mir kein Urteil an. Ich bin aber sicher, dass seine ehrliche und mutige Art, sich für unser Land einzusetzen, auch jüngere Generationen inspirieren wird.

Streben Sie ein politisches Amt an?
Nein. Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich es mir überlegen.

Wie werden Sie sich in der SVP einbringen?
Mit meiner Erfahrung aus der Wirtschaft und mit meinen Kontakten. Für wirtschaftsfreundliche Anliegen unterstütze ich auch gerne Thierry Burkart, Gerhard Pfister und Jürg Grossen. Ziel muss sein, dass die Bürgerlichen insgesamt zulegen, was ich für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes als zentral erachte.

Die SVP ist auch Bauernpartei. Passt das zu Ihnen?
Die Reduktion auf eine Bauernpartei greift zu kurz. Die Partei ist viel breiter und auch eine Wirtschaftspartei. Im Übrigen: Die Bauern sind diejenigen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, und das ist wichtig. Insofern ja: Das passt sehr gut zu mir.

Warum gehen kaum mehr Wirtschaftsführer in die Politik?
Vieles wurde komplexer, die Belastung für die einzelnen Aufgaben ist gestiegen. Auch kam es zu einer gewissen Entkopplung der globalen Wirtschaft von der inländischen Wirtschaft.

Vertraut deshalb ein beachtlicher Teil der Bevölkerung der Wirtschaft nicht mehr, wie sich immer wieder an der Urne zeigt?
Mit der Globalisierung Ende der 1990er-Jahre ging das Bewusstsein verloren, dass die Wirtschaft die Gesellschaft braucht. Und manchmal fehlte es bei gewissen Exponenten der Wirtschaft an Bescheidenheit.

Bei den Millionensalären?
Ich habe nichts dagegen, wenn jemand viel Geld verdient. Geld birgt schon das Risiko, den Charakter zu verderben. Wenn man in einer starken Position ist, tut man gut daran, bescheiden zu sein. Weniger marktschreierisch, dafür weiter hart zu arbeiten und zu liefern.

Die Dauerskandale bei der Credit Suisse helfen auch nicht gerade. Sie haben Ihre Karriere dort gestartet. Wie beurteilen Sie die Krise?
Es ist traurig und tut weh. Die Schweiz braucht auch in Zukunft zwei Grossbanken. Ich bin überzeugt, dass die Bank dank ihrer vielen guten und loyalen Leute die Kraft hat, da wieder herauszukommen.

Was ist heute das grösste Problem der Schweiz?
Die Zuwanderung. Sie ist der Elefant im Raum. Wir haben nach Luxemburg den zweithöchsten Ausländeranteil in Europa. Wenn wir weiter so wachsen, werden Infrastruktur, Umwelt, Schulen zu stark belastet. Darum müssen wir alle Kraft darauf verwenden, unsere Zuwanderung selber zu lenken.

Die Wirtschaft will ja all die Einwanderer.
Klar, wir brauchen Ausländer. Es geht nicht um die Leute, die hier arbeiten, sondern um die, die ihre Familien nachziehen. Und um die, die arbeitslos werden und unsere Infrastruktur und das Sozialsystem überlasten.

Die Arbeitslosenquote ist tief wie nie.
Trotzdem: Alle wollen, dass die Lebensqualität hoch bleibt. Jetzt verbauen wir die Schweiz in grossem Stil. Es gibt Gemeinden, in denen 80 Prozent der Schüler zu Hause kein Deutsch sprechen. Wenn wir bald die eigenen Kinder in Integrationskurse schicken müssen, läuft etwas falsch.

Wie würden Sie die Zuwanderung regeln?
Fachkräfte sind hochwillkommen – auch in der Pflege, in der Landwirtschaft, in der Gastronomie. Sie kommen hierher, weil sie mehr verdienen wollen als in ihrer Heimat. Warum führen wir eigentlich nicht wieder das Saisonnierstatut ein, also eine zeitlich begrenzte Aufenthaltsbewilligung ohne Familien? Das käme wohl auch vielen ausländischen Fachkräften entgegen.

Ein Modell à la Dubai oder Singapur?
Wenn wir der Meinung sind, dass 10 Millionen Menschen für unser Land zu viel sind, dann müssen wir uns zu unbequemen Massnahmen zusammenraufen. Sonst verliert die Schweiz an Attraktivität.

Dann unterstützen Sie die neue Begrenzungs-Initiative der SVP, die die Personenfreizügigkeit aufheben will?
Ja. Diese Initiative ist gar nicht so radikal und sorgt für eine gezielte statt für eine unbegrenzte Zuwanderung.

Wie soll dann noch eine Lösung mit der EU ums Rahmenabkommen zustande kommen?
Beide Seiten haben ein Interesse, eine Lösung zu finden. Sondierungsgespräche sind gut, aber das Verhandlungsmandat ist noch in weiter Ferne. Man wird nur Lösungen finden, wenn auch die EU einsieht, dass es keine Kompromisse gibt bei der Zuwanderung, der Unionsbürgerrichtlinie, der dynamischen Rechtsübernahme und dem Europäischen Gerichtshof.

Genau das sagten Sie bereits vor fünf Jahren.
Wir haben keine Eile. Die Schweiz steht solid da, was Inflation, Arbeitslosigkeit, Währung, Staatsfinanzen und selbst die Exportwirtschaft betrifft. So können wir aus einer Position der Stärke heraus agieren. Klar ist es unschön, wenn uns die EU aus rein politischen Gründen unnötig unter Druck setzt. Das vergrössert die Abwehrkräfte in der Schweiz eher noch.

Ihre Prognose: Wie wird 2023?
Ich bin sehr optimistisch. Wir haben eine ausserordentlich starke Volkswirtschaft, politische Stabilität, ein hohes Ausbildungsniveau und eine grosse Leistungsbereitschaft. Die Inflation hält sich in Grenzen, und wir werden keine Rezession haben. Aber 2023 ist ein Wahljahr, eine schwierige Zeit für Kompromisse. Darüber hinaus bereiten mir die Zuwanderung und Versorgungssicherheit am meisten Sorgen.

Dank des milden Winters sieht es nicht schlecht aus.
Kurzfristig schon. Doch es ändert nichts daran, dass es die Schweiz verpasst hat, ihre Energieversorgung langfristig sicherzustellen. Seit 2005 muss die Schweiz Strom importieren. Wenn Frankreich im nächsten Winter keinen Strom liefern kann, könnten auch wir Einschränkungen haben. Deshalb braucht es jetzt Gaskraftwerke und dann viel Innovation und neue Technologien.

Und was ist mit Atomkraft?
Ohne wird es nicht gehen. Sie ist die wirkungsvollste und sauberste Energiequelle.

Sie sind Präsident des Versicherungsverbands, und dort haben Ihre pointierten Positionen viel zu reden gegeben. Machen Sie auch als SVP-Mitglied weiter?
Nach sechs Jahren an der Spitze bin ich einer der langjährigsten Präsidenten. Ich werde das Präsidium an der GV im Juni 2023 übergeben.

Wegen Ihres Parteieintritts?
Nein, das hat nichts miteinander zu tun. Meine persönliche Meinung hat den Verband und mich nie eingeschränkt. Wir diskutieren im Vorstand offen und engagiert – und finden immer den Konsens. Wer polarisieren möchte, ist im Versicherungsverband am falschen Ort.

Immerhin soll die Axa, die Nummer 1 in der Schweiz, wegen Ihnen aus dem Verband ausgetreten sein.
In einem Verband ist es wie in einem Unternehmen oder in der Politik: Man kann es nie allen 100 Prozent recht machen.

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