Bisher freiwillig im Einsatz: Eine Soldatin der Swisscoy im Kosovo beim Antrittsverlesen.
Foto: Keystone

Die Armee soll weiblicher werden, um Nachwuchsprobleme zu lösen
Frauen, angetreten!

Der Armee gehen die Soldaten aus. Auch deshalb will das VBS vermehrt auf Frauen setzen. Passiert sei aber in den letzten Jahren kaum etwas, klagen Offiziere – auch weil der tatsächliche Wille fehle. Nun starten sie selber ein Projekt.
Publiziert: 06.03.2021 um 01:44 Uhr
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Aktualisiert: 13.04.2021 um 15:57 Uhr
Daniel Ballmer

Schweizer Offiziere sind enttäuscht. Schon vor Jahren hat sich die Armee die Frauenförderung auf die Fahne geschrieben. Doch passiert ist bisher wenig. Dabei sind die Ambitionen gross: Bis 2030 will Armeechef Thomas Süssli (54) einen Frauenanteil von zehn Prozent erreichen. Und gerade für Verteidigungsministerin Viola Amherd (58) ist das Thema eine Herzensangelegenheit.

Derzeit sind gerade einmal 9 von 1000 Armeeangehörigen Frauen. Das sind bloss rund 1200 Frauen. «Wir müssen leider feststellen, dass unter dem Strich nicht viel läuft», sagt Stefan Holenstein (59), Präsident der Schweizer Offiziersgesellschaft (SOG). Frauen seien weiter meist sehr armeeskeptisch. Das zeigte sich etwa bei der Abstimmung über neue Kampfjets vom letzten September.

Frauen stossen in der Armee auf viele Hürden

Dabei wäre die Armee dringend auf Frauen angewiesen. Denn ihr gehen die Soldaten aus. Einerseits leisten immer weniger Schweizer überhaupt Militärdienst. Andererseits laufen immer mehr Leute davon – aus medizinischen Gründen oder weil sie in den Zivildienst wechseln. «Wir haben berechnet: Am Ende des Jahrzehnts wird uns rund ein Viertel der Bestände fehlen!», sagte Armeechef Süssli im BLICK. Das sind rund 30'000 Soldaten.

Armeechef Thomas Süssli und Verteidigungsministerin Viola Amherd wollen den Frauenanteil in der Armee deutlich steigern.
Foto: Keystone
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Das macht auch der Offiziersgesellschaft Sorgen. «Ich sehe grossen Handlungsbedarf», sagt Tamara Moser (39), selber im Rang eines Majors und Vorstandsmitglied bei der SOG. «Die Inklusion der Frauen ist sicherheitspolitisch relevant, findet bis heute aber nicht statt.» Noch immer stossen Frauen in der Armee auf viele Hürden – und Widerstand. Wer selber Dienst geleistet hat, weiss: Frauen sind in der Armee bis heute nicht überall gerne gesehen. Spätestens da vergeht so mancher die Lust, Dienst zu leisten.

Bessere Abstell- und Putzkammern

Ein paar Beispiele: Kasernen sind meist nicht genügend auf zwei Geschlechter ausgelegt. Die paar Frauen werden oft weit weg vom Rest ihrer Gruppe untergebracht. Ihre Sanitäranlagen sind vielfach gleichzeitig Abstell- und Putzkammer.

Auch Ausrüstung wie Rucksäcke oder Bekleidung selber sind noch immer nicht in allen Grössen vorhanden – und nicht an Frauenkörper angepasst. Das zeugt nicht nur von fehlender Wertschätzung, sondern kann gerade bei Einsätzen sogar gefährlich werden, wenn die Ausrüstung die Bewegungsfreiheit hindert.

Schnelle Änderungen scheinen nicht in Sicht. Bis heute bestünden weder konkrete Konzepte, noch seien entsprechende Budgets gesprochen, bedauert die SOG. Viele sprechen daher von «reinen Lippenbekenntnissen».

Bis heute nicht die nötigen Schritte unternommen

«Die Armee hat strukturell und kulturell bis heute nicht die notwendigen Schritte unternommen, um die Frauen in die Armee zu inkludieren», bilanziert Moser. Dabei stehen ihnen bereits seit 2004 sämtliche Funktionen offen. Weibliche Funktionsbezeichnungen aber gibt es bis heute nicht. Ein kleiner Mosaikstein – doch einer mit Symbolkraft. «Auch das berüchtigte Macho-Gehabe gibt es immer noch. Das schreckt viele Frauen ab», sagt Holenstein. Da sei ein rascher Gesinnungswandel, mehr noch ein Kulturwandel notwendig.

Das Problem fängt aber schon viel früher an: Viele Frauen interessieren sich gar nicht erst für die Armee. Anders als die Männer werden sie heute nicht automatisch fürs Militär sensibilisiert. Sie müssen weder an einen Informationstag, noch müssen sie sich im Rahmen einer Dienstpflicht mit der Sicherheitspolitik befassen.

VBS tönt Besserung an

Das Verteidigungsdepartement selber will sich derzeit nicht zum Thema äussern. Das hat allerdings seinen Grund: «Wir werden am Montag zum Tag der Frau den Abschlussbericht der Arbeitsgruppen Frauen in der Armee veröffentlichen», verspricht VBS-Sprecher Lorenz Frischknecht.

Der Offiziersgesellschaft scheint es allerdings nicht schnell genug zu gehen. Deshalb will die SOG den nötigen Kulturwandel nun selber anstossen. «Den vielen schönen Worten müssen endlich Taten folgen», sagt Holenstein. «Nur auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung bei den Frauen zu setzen, funktioniert schlicht nicht», ergänzt Moser.

«Die Armee wirkt noch immer wie eine geschlossene Gesellschaft»

Funktionieren soll das in einem ersten Schritt über eine verbesserte Information und einen kritischen Austausch. «Die Armee wirkt noch immer wie eine geschlossene Gesellschaft: Wer kein Teil davon ist, ist von Informationen oft ausgeschlossen», sagt Moser. «Wer etwas nicht kennt, ist eher dagegen – besonders wenn es hohe Kosten verursacht.»

Die SOG selber hat sich deshalb neu organisiert und lanciert unter anderem gemeinsam mit einer Web-Plattform das Projekt «Armee und Fraueninklusion». Denn: Förderung allein reiche nicht. Es brauche Information und den Einbezug der Frauen.

«Wir müssen die Frauen besser erreichen und einbinden. Mit zwei bis drei Vorzeigefrauen ist es nicht getan», ist Holenstein überzeugt. Denn das Milizsystem solle ein Abbild der Gesellschaft sein, ergänzt Moser: «Doch davon ist die Armee heute noch weit entfernt.»

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