Die Landesregierung ist im Umbruch – BLICK macht den aktuellen Form-Check
Hitparade des Bundesrats

Die Musik im Bundeshaus ist derzeit von Rücktrittsplänen dominiert. BLICK präsentiert zur Legislatur-Halbzeit eine eigenwillige Hitparade der Bundesräte.
Publiziert: 02.08.2017 um 17:54 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 18:04 Uhr
Für den Gesamtbundesrat passt der Hit von Peter Reber «Jede bruucht sy Insel». Die Truppe macht in weiten Teilen einen harmonischen Eindruck. In der aktuellen Besetzung gilt auch mehr denn je: In Geschäfte der anderen wird nur dreingeredet, wenn es unbedingt nötig ist. Jedem seine Insel halt.
Foto: ALEXANDRA WEY
Joël Widmer und Lea Hartmann

Am Nationalfeiertag zeigten alle Bundesräte ihren Stolz auf die Schweiz. Sie sprachen von Bruder Klaus, Wilhelm Tell und von der Freiheit. Doch wie ist die Regierung derzeit eigentlich unterwegs? Wie präsentiert sich das Gremium vor der Neuwahl eines FDP-Ministers und vor dem angekündigten Rücktritt von Doris Leuthard (54)? BLICK stellt zur Legislatur-Halbzeit die Hitparade des bundesrätlichen Politschaffens zusammen – anhand von Schweizer Songs.

Für den Gesamtbundesrat passt der Hit von Peter Reber «Jede bruucht sy Insel». Die Truppe macht unter der diesjährigen Führung von Doris Leuthard in weiten Teilen einen harmonischen Eindruck. Rivalitäten innerhalb der Regierung dringen eigentlich nur beim Europa-Dossier nach aussen. Das hat auch damit zu tun, dass in der aktuellen Besetzung mehr denn je gilt: In Geschäfte der anderen wird nur dreingeredet, wenn es unbedingt nötig ist. Jedem seine Insel halt.

Dennoch, die einzelnen Bundesräte schneiden unterschiedlich ab. BLICK zeigt, wer derzeit Hitpotenzial hat, wo es nach Oldie klingt und bei wem es Misstöne gibt.

Doris Leuthard (CVP, 54), «Swiss Lady» (Pepe Lienhard)

Foto: KEY

Seit dem Abstimmungssieg gegen die SVP – eigentlich schon seit Anfang ihres Präsidialjahrs – läuft CVP-Bundesrätin Doris Leuthard leichtfüssig durch Bern, parliert sich durch Europa, tanzt über das diplomatische Parkett, als ob es für sie kein Karriereende gäbe. Die Amtsälteste wirkt derzeit am frischesten. Trotz ihres angekündigten Rücktritts möchte man ihr zurufen: Zugabe! Zugabe! Die Regierung ist ja ein wenig bieder, doch die CVP-Frau trägt die Schweizer Biederkeit mit Glanz, sie gibt dem freundeidgenössischen Kompromiss und dem Kollegialsystem eine gewisse Weltläufigkeit. Im Europadossier macht Leuthard inhaltlich nicht viel anderes als der unglückliche Aussenminister Didier Burkhalter oder die strenge Justizministerin Simonetta Sommaruga vor ihr. Doch wenn Leuthard nach dem Treffen mit EU-Chef Jean-Claude Juncker dasteht, mal ernst schaut, mal schelmisch lächelt, dann hat man das Gefühl: Sie hat dem Charmeur Juncker schon gezeigt, wo Bartli den Most holt. Wenn es bei der CVP-Bundesrätin politisch nicht rund läuft, kann sich ihr Strahlegesicht allerdings schnell verdunkeln. Derzeit sieht es nicht danach aus. Sie ist unsere Swiss Lady.

Alain Berset (SP, 45), «Bring en hei» (Baschi)

Bundesrat Alain Berset und seine Frau Muriel Zeender bringt auch das Boot auf dem Genfersee vor Lausanne nicht aus dem Gleichgewicht.
Foto: Keystone

Innenminister Alain Berset tritt in letzter Zeit souverän und bestimmt auf. Seine Rentenreform hat er durchs Parlament geschaukelt. Doch der SP-Bundesrat ist nervös. Denn am 24. September steht seine Schicksalsabstimmung bevor. Nun muss sein Vermächtnis auch vor dem Volk Bestand haben. Die Fallhöhe ist hoch. Scheitert die Reform, wird Berset zum Flop-Bundesrat. Bringt er sie durch, kann «Monsieur le Ministre» die Brust noch mehr herausstrecken, als er es eh schon tut. Dann kann Berset viel Elan in sein erstes Präsidialjahr mitnehmen und zum dominanten Bundesrat werden. Bersets Team persönlicher Mitarbeiter und Kommunikationsprofis, das den aalglatten Innenminister bisher erfolgreich durch die Rentenreform begleitete, dürfte seinen Chef nun zum Start des Abstimmungskampfs zurufen: «Chum, bring en hei!»

Ueli Maurer (SVP, 66), «Kiosk» (Rumpelstilz)

Foto: KEY

Auch dieses Jahr absolvierte Ueli Maurer seinen obligaten 1.-August-Marathon mit sechs Reden. Da ist der langjährige SVP-Präsident nahe beim Volk. Beim Volk, das seine Partei gerne für sich beansprucht. Doch als Bundesrat ist Maurer dem Volk eher fern – zumindest dem Stimmvolk. Da änderte auch sein Wechsel ins Finanzdepartement nichts. Als Kassenwart fühlt er sich wohl oft wie ein von der Band Rumpelstilz beschriebener Kiosk. Maurer arbeitet zwar seriös und ist im Politbetrieb geachtet, er bringt seine Projekte durchs Parlament. Doch bei der Unternehmenssteuerreform glaubte ihm das Volk nicht und verpasste ihm an der Urne eine saftige Ohrfeige. Gelingt Maurer nicht zügig eine Neuauflage der Steuerrefrom, könnte er schon bald seinen berüchtigten Spruch «Kei Luscht!» in die Tat umsetzen und in Rente gehen.

Simonetta Sommaruga (SP, 57), «Fingt ds Glück eim?» (Züri West)

Foto: KEY

Jahrelang war Simonetta Sommaruga im politischen Würgegriff der SVP. Die setzte die SP-Bundesrätin mit Asyl-Kampagnen, Ausschaffungs-Initiative und Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) massiv unter Druck. Doch dieses Jahr ist vieles anders. Sommaruga politisiert befreit. Die MEI hat das Parlament zur Zufriedenheit von EU und Wirtschaft umgesetzt – in weiten Teilen des Volks klingt es anders –, die Asylzahlen sind tief und die Einwanderung im Vergleich zu den Vorjahren moderat. Die SP-Bundesrätin dachte wohl diesen Sommer: Irgendeinisch fingt ds Glück eim. Die Befreiung wird aber nur vorübergehend sein. Denn die Asylzahlen etwa können so schnell steigen wie sie sinken. Und mit der Selbstbestimmungsinitiative steht die nächste Abstimmungsschlacht gegen die SVP bald einmal bevor.

Johann Schneider-Ammann (FDP, 65), «Ne partez pas sans moi» (Céline Dion)

Johann Schneider-Ammann hält eine Rede in Riddes VS.
Foto: Keystine

Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann wirkt ab und an müde, hat im Parlament bei seinen Reden schon mal den einen oder anderen Aussetzer. Aber bei einigen Themen blüht der ehemalige Unternehmer auf. So etwa, wenn er auf Auslandsreisen über Freihandel und das Schweizer Bildungssystem spricht. Oder jetzt vor allem, wenn er über Innovationen und die Wichtigkeit der Digitalisierung redet, dann wird er zum Cyber-Minister. Dennoch: Der 65-Jährige zeigt nicht mehr die Fitness für eine nächste Legislatur. Darum dürfte der Berner in diesen Tagen vor sich hinsummen: «Ne partez pas sans moi». Nach Didier Burkhalter und neben dem angekündigten Rücktritt von Doris Leuthard wird es für den FDP-Bundesrat immer schwieriger, den richtigen Zeitpunkt für einen guten Abgang zu finden.

Guy Parmelin (SVP, 57), «Dr Alpeflug» (Mani Matter)

Guy Parmelin posiert mit Helebardisten in Yvorne VD
Foto: Keystone

Ausser dem Rüstungsprogramm hat SVP-Bundesrat Guy Parmelin aktuell keine grossen Projekte am Laufen. Die Umsetzung der Truppenreform ist Sache der Armee selbst. Der Kampfjetkauf liegt in der Ferne. Was macht der Verteidigungsminister also tagein, tagaus? Wir stellen uns seinen Wochenalltag etwa so vor: Montag: Sitzung mit den Amtschefs. Dienstag: ein Truppenbesuch. Mittwoch: Bundesratssitzung. Donnerstag: Rapport mit Zwischenstand in allen Administrativuntersuchungen, Berichten und Arbeitsgruppen von sistierten Projekten (wie viele waren das jetzt noch mal?). Freitag: noch ein Truppenbesuch und dann Direktflug ins heimische Bursins VD (die Helikopterpiloten brauchen ihre Flugstunden!). Noch ist der Alpenflug für Parmelin eine freudige Sache. Je näher aber die wichtigen Entscheidungen über den neuen Kampfjet rücken, desto turbulenter wird der Flug. Parmelin muss nur schauen, dass ihm dann nicht das Kerosin ausgeht.

Didier Burkhalter (FDP, 57), «I hätt no viu blöder ta» (Gölä)

Foto: KEY

Aussenminister Didier Burkhalter ist schon fast weg. Der Rücktritt ist erklärt, der Nachfolger steht schon fast fest. Der FDP-Bundesrat entfernt sich immer mehr von Bundesbern. Seine Bühne war das internationale Parkett. Harte politische Überzeugungsarbeit war im Bundesrat nie sein Ding. Das zeigte sich etwa im Europa-Dossier. Burkhalter beginnt nun im Sommer, wenn er im Homeoffice das eine oder andere Projekt abschliesst, die Unterlagen für seinen Nachfolger zu sortieren. Vielleicht wird er dabei manchmal wehmütig und sagt sich frei nach Göle: «I hätt no viu blöder ta». Vielleicht dem CVP-Präsidenten mal sagen, dass er sich die Welt aus dem Parlamentssessel etwas zu einfach vorstellt. Vielleicht dem Volk mal deutlich sagen, dass die SVP eine nervige, engstirnige, wirtschaftsfeindliche Partei ist. Vielleicht dem EU-Juncker öffentlich mal sagen, dass seine Küsserei abstossend ist. Doch wir wissen: Burkhalter wird uns nie verraten, wie blöd er hätte tun wollen.

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