Die Parteien im sommerlichen Formcheck
SVP schwächelt, SP gespalten, Grüne überfordert

Warum die SVP an eine tropfende Rakete und die Mitte an Vanilleglace erinnert: Die Parteien im zuckersüssen Formcheck.
Publiziert: 16.08.2021 um 01:33 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2021 um 06:49 Uhr
Von der Bundeshausredaktion

Politik ist kein Zuckerschlecken? Von wegen! Bald ist Halbzeit in der aktuellen Legislatur – Zeit für eine Zwischenbilanz.

Wie haben sich die grossen Parteien im Parlament bisher geschlagen? Wer hat die meisten Abstimmungen gewonnen, wer konnte in den Kantonen abstauben? Und wie sind die Parteien im Hinblick auf die Wahlen 2023 aufgestellt, für die man sich nun langsam in Stellung bringt? Blick unterzieht SVP, SP, FDP, Mitte, Grüne und Grünliberale einem eiskalten, gleichzeitig auch zuckersüssen Formtest. Passend zum Sommerwetter, das sich für ein paar Tage zurückgemeldet hat.

SVP: Schmelzende Rakete

Die Raketen-Glace ist am Schmelzen. Nach ihrem kometenhaften Aufstieg ist die SVP auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Schon der Start in die neue Legislatur missriet gründlich. Bei den Wahlen im Herbst 2019 wurden gleich 11 von 70 Parlamentssitzen von der Öko-Welle weggeschwemmt, worauf der damalige Präsident Albert Rösti (53) das Handtuch warf. Unter Nachfolger Marco Chiesa (46) blieb es harzig. Die Begrenzungs-Initiative wurde abgeschmettert. In den Kantonen gingen laufend neue Sitze verloren. Mehr und mehr wurde die SVP zur Verliererpartei. Die Wende kam mit der Burka-Initiative, es folgte der Erfolg beim CO2-Gesetz. Und doch: Bis jetzt schafft es die SVP kaum, eigene Themen zu setzen. Mit EU-Politik und Migration lässt sich vorerst kaum punkten. Neue Ideen sind gefragt.

Politik ist kein Schleck? Von wegen! Bald ist Halbzeit in der aktuellen Legislatur – Zeit für eine Zwischenbilanz, zuckersüss, aber auch eiskalt.
Foto: pixabay
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Wahlerfolg: In den Kantonen läuft es der SVP nicht. Bei den letzten elf Wahlen verlor sie 13 Parlamentssitze. 2 von 5 Glacekugeln

Abstimmungserfolg: Chancenlos blieb ihre Begrenzungs-Initiative, punkten konnte sie dafür mit der Burka-Initiative und beim CO2-Gesetz: Bei 10 von 17 Abstimmungen stimmte das Volk mit der SVP. Nicht schlecht! 3 von 5 Glacekugeln

Präsidium: Der neue Präsident Marco Chiesa ist wenig spürbar. Der SVP gelingt es derzeit kaum, eigene Themen zu setzen. 2 von 5 Glacekugeln

Themenkonjunktur: Der SVP fehlen die Kernthemen. Das Rahmenabkommen ist weg und Migration zieht derzeit auch nicht. Nun sollen die Städter als Feindbild herhalten. 2 von 5 Glacekugeln

Wahlkampflok: Die SVP prüft nochmals einen Anlauf gegen die TV- und Radiogebühren. Und: Sie will den verschärften Stadt-Land-Graben weiter thematisieren. 2 von 5 Glacekugeln

SP: Fades Erdbeersorbet

Bschiss! Bschiss! Bschiss! Nach den Referenden gegen den «Unternehmenssteuer-Bschiss» und den «Kinderabzug-Bschiss» sammelt die SP derzeit Unterschriften gegen den «Stempelsteuer-Bschiss». Die Partei weiss: In Steuerfragen ist sie eine Vetomacht. Auf der Schattenseite stehen die Genossen hingegen in der Klimadebatte. Die SP kann so grün politisieren, wie sie will, am Ende gewinnen Grüne und GLP. Im Spagat zwischen EU-Freunden und kritischen Gewerkschaften stand die Parteileitung beim Rahmenabkommen. Sie dürfte froh sein, ist die Debatte inzwischen abgeflacht – einen Spagat hält man schliesslich nicht ewig. Alles in allem erinnern die Sozialdemokraten an ein Sorbet aus nicht ganz reifen Erdbeeren – rot zwar, aber ziemlich geschmacksneutral.

Wahlerfolg: Nur die FDP schneidet in den Kantonen noch schlechter ab: 24 Parlamentssitze hat die SP in den letzten elf Wahlen verloren. 1 von 5 Glacekugeln

Abstimmungserfolg: Auch bei Abstimmungen haben es die Genossen schwer. Nur in 7 von 17 Abstimmungen stimmte die Bevölkerung nach ihrem Gusto. 1 von 5 Glacekugeln

Präsidium: Das neue Führungsduo Mattea Meyer (33) und Cédric Wermuth (35) hat die Partei hinter sich geeint. Auf das Jobsharing der SP-Führung dürfte zudem so mancher Parteipräsident neidisch sein: Wird sie bald zum zweiten Mal Mutter, wird er einspringen. 4 von 5 Glacekugeln

Themenkonjunktur: Das Europa-Dossier spaltete die SP. Von der Klimadebatte profitieren andere. Hoffnung bietet die Reform der AHV: Als Stimme gegen ein höheres Frauenrentenalter kann die SP im Volk punkten. 3 von 5 Glacekugeln

Wahlkampflok: Die Partei hofft auf die Altersvorsorge. Mit der laufenden AHV-Reform und der Renten-Initiative der Jungfreisinnigen dürfte das Thema bis 2023 aktuell bleiben. Dass Frauenrenten ziehen, bewies jüngst der Gewerkschaftsbund: Innert kürzester Zeit sammelte er 300'000 Unterschriften für eine Petition. Rekordverdächtig! 4 von 5 Glacekugeln

FDP: Tuttifrutti-Cassata

Die FDP hat schon länger keinen Lauf – und es wird immer übler. Das Nein zum CO2-Gesetz war ein Debakel für den Freisinn, hatte er sich 2019 doch ein grünes Mäntelchen umgelegt, das Wähler mobilisieren sollte. Das Gegenteil trat ein: Keine andere Partei hat dermassen viele Sitze in den Kantonen verloren. Kein Wunder, nimmt Chefin Petra Gössi (45) Reissaus, genervt von internen Heckenschützen und Exponenten, die alle paar Wochen mit unausgegorenen Ideen irrlichtern. Eine klare Linie ist nicht zu erkennen. Viel wird davon abhängen, wer auf Gössi folgt. Bis dahin beschreibt nur eine Glacesorte die FDP: die sizilianische Cassata. Alles Mögliche drin – und so schmeckt es auch.

Wahlerfolg: Autsch! Die Staatsgründerpartei verliert von allen Parteien am meisten Sitze. Ganze 31 sind es seit den eidgenössischen Wahlen. 1 von 5 Glacekugeln

Abstimmungserfolg: Immerhin hier kann die FDP punkten: Sie hat bei ganzen 12 von 17 Abstimmungen richtiggelegen. 4 von 5 Glacekugeln

Präsidium: Gibt es überhaupt eins? Petra Gössi hat sich bereits zurückgezogen, ihre Nachfolge wird Ende Oktober gewählt. 1 von 5 Glacekugeln

Themenkonjunktur: Ohne klares Profil ist es auch nicht einfach, Kernthemen zu finden. Steuern locken derzeit niemanden hinter dem Ofen vor. Der Klimakurs ist vorerst gestoppt. Und weil die Wirtschaftskrise durch Corona bisher ausbleibt, kann sie sich auch hier nicht hervortun. 2 von 5 Glacekugeln

Wahlkampflok: Dank der FDP-Frauen kann der Freisinn mit einer Volksinitiative zur Individualbesteuerung in den Wahlkampf ziehen. Weitere Schwerpunkte sollen Altersvorsorge und Umwelt sein. 3 von 5 Glacekugeln

Mitte: Klassisch Vanille

In der Mitte läuft es derzeit rund. Der Zusammenschluss von BDP und CVP funktioniert so gut, dass die Neo-Partei sich bald schon fragen muss, ob man den einstigen BDP-Slogan «Langweilig, aber gut» nicht reaktivieren sollte. Die Mitte ist wie Vanilleglace: Jeder mag sie irgendwie – aber sie haut halt auch keinen aus den Socken. Ihre wahre Stärke zeigt sie erst in Kombination mit anderen Zutaten. Derweil ist seit dem offiziellen Start der Mitte-Partei im Januar landauf, landab Fusionitis im Gang. Die Kantonalsektionen liefern sich fast schon ein Wettrennen, wer sich rascher zur Mitte zusammenfindet. Dabei geht fast vergessen: Inhaltlich liefert die Mitte derzeit nicht viel. Die Partei braucht einen Kick, will sie bei den Wahlen 2023 nicht einfach übersehen werden.

Wahlerfolg: Auch die Mitte musste in den vergangenen zwei Jahren in den Kantonen Federn lassen. Minus 9 Sitze für die CVP und minus 9 für die BDP. 2 von 5 Glacekugeln

Abstimmungserfolg: In 13 von 17 Abstimmungen stimmte das Volk mit der Mitte (bzw. ehemals CVP). Platz 1! 4 von 5 Glacekugeln

Präsidium: Aus Erfahrung gut, könnte man zu Gerhard Pfister sagen. Anders als bei der SVP ist es bei der Mitte – und zuvor schon bei der CVP – klar, wer in dieser Partei das Sagen hat. 3 von 5 Glacekugeln

Themenkonjunktur: Mit den beiden Initiativen zur Heiratsstrafe beackert die Mitte ein Thema, das schon lange die Gemüter erhitzt. Doch so richtig einschlagen wie die Klimadiskussion wird das Thema kaum. Etwas langweilig halt. 2 von 5 Glacekugeln

Wahlkampflok: Die beiden Initiativen sind lanciert. Zudem laufen Überlegungen, eine ähnliche Negativkampagne zu fahren wie 2019. Damals hatte für heftige Kritik gesorgt, wie die CVP gegen die andern Parteien schoss. Pfisters damaliger Partei hats kaum geschadet, die CVP büsste nur 3 Sitze ein. 3 von 5 Glacekugeln

Grüne: Gefrorenes Bananenmus

Haben Sie schon mal von Nicecream gehört? Wirklich überzeugend ist die glaceähnliche Masse aus pürierten gefrorenen Bananen – vegan und zuckerfrei – nicht. Aber in. So wie die Grünen. Getragen von der Ökowelle hat die Partei im Herbst 2019 einen überwältigenden Sieg errungen. Doch: Bis heute wirkt die Partei vom eigenen Erfolg überfordert. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Ideologie, mit der an der Urne meist kein Blumentopf zu gewinnen ist, und mehrheitsfähigen Kompromissen. Zwar ist ein immer grösserer Bevölkerungsanteil für mehr Klima- und Umweltschutz – allerdings nur in homöopathischen Dosen. Besonders schmerzhaft hat sich das beim Scheitern des CO2-Gesetzes gezeigt. Für die Grünen eine bittere Niederlage, auf die sie nicht vorbereitet waren.

Wahlerfolg: Mit 33 gewonnenen Sitzen sind die Grünen auch in den Kantonen die grossen Wahlsieger. 5 von 5 Glacekugeln

Abstimmungserfolg: Inhaltlich können sie den Erfolg aber noch nicht umsetzen. Nur 7 von 17 Abstimmungen haben die Grünen gewonnen. Sie bilden mit der SP das Schlusslicht! 1 von 5 Glacekugeln

Präsidium: Noch fällt Präsident Balthasar Glättli (49) der interne Spagat zwischen «Realos» und «Fundis» nicht leicht – geschweige denn, auch Wähler aus der Mitte anzusprechen. 2 von 5 Glacekugeln

Themenkonjunktur: Die Klimapolitik wird eines der wichtigsten Themen bleiben. Davon können die Grünen weiter profitieren – wenn sie es denn hinbekommen, mehrheitsfähige Lösungen zu zimmern. 4 von 5 Glacekugeln

Wahlkampflok: Der Erfolg kommt nicht von alleine. Deshalb schmieden die Grünen bereits Initiativpläne, mit denen sie mobilisieren wollen. Noch ist kein konkretes Thema beschlossen. 3 von 5 Glacekugeln

GLP: Sorbet mit Schuss

Techaffin, ein Touch hedonistisch und sehr urban: Das ist die GLP. Wie ein Gin-Tonic-Sorbet, das im städtischen Trendquartier eher angeboten wird als auf dem Land. Die grüne Welle 2019 war auch eine grünliberale Welle, in kantonalen Wahlen konnte die GLP in der Deutschschweiz seither punkten, weniger in der Romandie. Von der Nischenpartei zwischen FDP und Grünen konnte sich die GLP zur eigenen politischen Kraft entwickeln. Allerdings nicht unbedingt eine, welche die politische Agenda mit eigenen Themen prägt, und die kaum Stammwählerschaft hat. Bleiben Klima- und Europafragen auch 2023 dominant, wird die Partei davon profitieren, dass ihre Kernthemen Hochkonjunktur haben.

Wahlerfolg: Die GLP legte nicht nur national mächtig zu. 28 Sitze gewann sie seit den eidgenössischen Wahlen in den Kantonen. 4 von 5 Glacekugeln

Abstimmungserfolg: Bei 11 von 17 Abstimmungen gehörte die GLP zu den Gewinnern. 4 von 5 Glacekugeln

Präsidium: Jürg Grossen (51) liefert keine One-Man-Show, wie das Vorgänger Martin Bäumle (57) noch getan hat. Allerdings hat er sich weder als Charismatiker noch als überragender Stratege hervorgetan. 3 von 5 Glacekugeln

Themenkonjunktur: Klima und Europa waren relevant und werden es bleiben – und sind für die GLP auch Kernthemen. Chancen gibt es bei der Digitalisierung, die andere Parteien gern links liegen lassen. 4 von 5 Glacekugeln

Wahlkampflok: Initiativen oder Referenden, mit denen man mobilisieren kann, sind bei der GLP aktuell keine geplant. Man wolle auf die bewährten Themen setzen, heisst es. Na ja. 1 von 5 Glacekugeln

Wie geht es weiter nach dem CO₂-Gesetz-Nein
18:51
Der Fokus auf Blick TV:Wie geht es weiter nach dem CO₂-Gesetz-Nein
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