EDA reagiert aufs Volksmehr der Konzernverantwortungs-Initiative
Maulkörbe für Hilfswerke in der Schweiz

Staatliche Entwicklungshilfe auf Abwegen: Wer als Hilfswerk Geld vom Bund erhält, soll schweigen. So sind die neuen Regeln, die mit denen das Aussendepartement Anfang Monat auf die Konzernverantwortungs-Initiative reagiert hat.
Publiziert: 23.12.2020 um 10:14 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2020 um 17:47 Uhr
Pascal Tischhauser

Auf «Leise rieselt der Schnee» können sich Schweizerinnen und Schweizer in der Vorweihnachtszeit längst nicht mehr verlassen. Weisse Weihnachten werden seltener. Und in diesem Jahr sollen wir auch nicht mal mehr singen unter dem Christbaum.

Etwas ist aber wie immer: Adventszeit ist Spendenzeit. Nie flattern Spendenaufrufe derart zahlreich ins Haus wie vor dem Weihnachtsfest. Diesen Dezember haben aber die Hilfsorganisationen selbst Post erhalten – von der staatlichen Schweizer Entwicklungshilfeorganisation, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).

Brunnen bauen ja, diese erklären, nein

Die Deza hat im Schreiben an die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bekräftigt, was sie ihnen zuvor mündlich mitgeteilt hatte: Die Hilfswerke, die Geld vom Staat erhalten, dürfen zwar weiterhin Brunnen bauen in Afrika, aber mit diesen Steuermitteln in der Schweiz nicht mehr darüber informieren, weshalb manche Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Deza, hat neue Regeln für Hilfswerke verhängt.
Foto: Peter Gerber
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Diese Neuregelung, über die auch schon der «Tages-Anzeiger» berichtete, ist eine direkte Folge der Konzernverantwortungs-Initiative (Kovi), die Grosskonzerne wie den Rohstoffriesen Glencore und den Lebensmittelmulti Nestlé für ausländische Tochterfirmen zur Verantwortung ziehen wollte. Ende November hatte sich eine knappe Mehrheit der Stimmenden für die Initiative ausgesprochen. Sie scheiterte jedoch am Ständemehr, also an der mehrheitlichen Ablehnung durch die Kantone.

Volksmehr lässt Bern kalt

Das Ergebnis führt in Bundesbern aber nicht zu einem Umdenken. Das Aussendepartement (EDA) unter FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (59), zu dem die Deza gehört, arbeitet bei der Entwicklungshilfe zunehmend mit Konzernen wie Nestlé zusammen. Und Cassis Parteifreund, der Zürcher Ständerat Ruedi Noser (59), verlangte kürzlich gar die Streichung der Steuerbefreiung gemeinnütziger Organisationen, sobald sich diese politisch engagieren.

Zieht die Deza unter Druck von Konzernen und bürgerlichen Politikern die Schraube bei den NGOs an? Es sieht danach aus. Die Neuregelung kam erst nach der Abstimmung aufs Tapet. Das EDA verwahrt sich zwar gegen den Vorwurf, dass man dem Druck der Konzerne nachgebe. Gleichzeitig bestätigt es aber, dass das Engagement der NGOs bei Kovi der Grund für die Neuregelung ist.

Strafanzeige gegen Solidar Suisse

Jahrzehntelang war beispielsweise akzeptiert, dass staatlich unterstützte Hilfswerke über die Schulen Abzeichen verkaufen und diesen im Gegenzug Infomaterial zur Verfügung stellen, das veranschaulicht, weshalb es in der Welt grosse Ungleichheiten gibt.

Verboten war aber bislang schon, dass die NGOs mit den Subventionen Abstimmungskampagnen bestreiten. Allerdings hatte das Hilfswerk Solidar Suisse gegen diese Bestimmung verstossen – und Bundesgelder zurückzahlen müssen. Die Junge SVP hat deswegen gar Strafanzeige gegen das Hilfswerk eingereicht.

Dass wegen diesem Fehler sämtliche Hilfswerke bluten sollen und für alle die Bildungsarbeit im Inland nicht mehr möglich sein soll, lassen die NGOs aber nicht auf sich sitzen. Sie wollen auf die Barrikaden gehen, wie BLICK weiss. Sie sehen keine rechtliche Grundlage für die neuen Deza-Regeln.

Deza-Vorgaben «nicht akzeptabel»

Auf BLICK-Nachfrage kann das EDA tatsächlich keine Rechtsgrundlage für die neue Regelung nennen. «Die Schranke für behördliches Handeln ist das Recht», weist Aussenpolitiker Fabian Molina (30) die Deza zurecht. Für den SP-Nationalrat und Co-Präsidenten des Hilfswerks Swissaid ist deren Vorgehen «nicht akzeptabel».

Das Vorgehen der Deza erscheint besonders willkürlich, betrachtet man das Bestreben der Schweiz, in Schwellenländern die Zivilgesellschaft zu stärken. Denn dabei baut sie just auf dortige Nichtregierungsorganisationen. Derweil sollen die Hilfswerke hierzulande mundtot gemacht werden. «Offentbar macht Ideologie blind», sagt Molina. «Anders kann ich es mir nicht erklären, dass die Bundesbehörden als Antwort aufs Volksmehr bei Kovi mit einem Maulkorb-Projekt für Hilfswerke reagieren.»

Noch ist unklar, ob die Hilfswerke politisch gegen die Behördenwillkür vorgehen oder den Rechtsweg beschreiten. Klar ist nur: Besinnlich wird es für die Deza nach den Festtagen sicher nicht.

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