Entwicklungshilfe im Zwielicht
Fördert Bern die Sklaverei?

Ein EU-Fonds steht im Verdacht, Zwangsarbeit in Eritrea zu finanzieren. Auch die Schweiz ist daran beteiligt.
Publiziert: 26.01.2020 um 12:55 Uhr
Vielen Eritreern bleibt nur die gefährliche Flucht übers Meer.
Foto: Keystone
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Sebastian Sele

Die Schweiz hat 4,6 Millionen Euro in den European Union Emergency Trust Fund eingezahlt. Warum sie sich an dem Treuhandfonds beteiligt, formuliert der Bundesrat so: «Konkret sollen die Ursachen von irregulärer Migration und Vertreibungen angegangen werden, indem in wirtschaftlichen Aufschwung, Chancengleichheit, Sicherheit und Entwicklung investiert wird.» Nun aber steht ausgerechnet derselbe Fonds unter Verdacht, Eritrea mit 20 Millionen Euro für Strassenbauprojekte zu unterstützen, bei denen Zwangsarbeiter zum Einsatz kommen.

«Egal wie man es dreht und wendet, am Ende finanziert die EU Sklaverei und unterstützt ein Regime, das Menschenrechte verachtet», sagte der niederländische Anwalt Emiel Jurjens im Gespräch mit der Deutschen Welle. Seine Stiftung «Menschenrechte für Eritreer» geht rechtlich gegen die EU-Unterstützung für die betreffenden Strassenbauprojekte vor.

«Die Schweiz hat sich, wie auch einige andere EU-Staaten, zu diversen Aspekten des angesprochenen Projekts kritisch geäussert und an die Wichtigkeit eines engen Monitorings in den Bereichen Menschenrechte und Arbeitsbedingungen erinnert», schreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage, betont aber: «Die EU hat schliesslich unter Abwägung der Umstände die Finanzierung des Projekts beschlossen.»

Kritik an der Regierung ist verboten

Die Lage der Menschen in Eritrea ist verheerend. Das Land am Horn von Afrika gilt als militarisierter, autoritärer Staat. Laetitia Bader, Forscherin bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und immer wieder selbst vor Ort, erzählt SonntagsBlick am Telefon von den neusten Entwicklungen. Ihr Fazit: «Trotz des Friedensvertrags zwischen Eritrea und Äthiopien im Juli 2018 gab es keine Verbesserungen hinsichtlich Menschenrechten.»

Eines der grösste Probleme ist der Nationaldienst, bei dem Eritreer und Eritreerinnen zum Dienst beim Militär oder im Zivildienst gezwungen werden: «Die Menschen können nicht darüber entscheiden, wann sie den Nationaldienst verlassen, welche Arbeiten sie in diesem machen, wie lange sie diese machen und wann sie ihre Familien besuchen können», erklärt Bader.

Im Land ist jegliche Kritik an der Regierung verboten. «Die Gefängnisse sind voll mit politischen Gefangenen», so die Menschenrechtsexpertin. Unter den Gefangenen seien auch ehemalige Regierungsmitarbeiter. Viele andere Häftlinge hätten versucht, dem Nationaldienst zu entkommen und aus dem Land zu fliehen, seien aber verhaftet worden.

Sechs Millionen Franken in den nächsten drei Jahren

Auch der aktuellste Eritrea-Bericht des SEM hält fest: «Die eritreischen Behörden suchen weiterhin nach Deserteuren und Wehrpflichtigen.» Wen sie erwischen, dem drohen bis zu zwei Jahre Haft.

Neben dem Geld für den europäischen Treuhandfonds unterstützt die Schweiz eritreische Entwicklungshilfeprojekte auch direkt – mit bisher mehr als zwei Millionen Franken. «Die Berücksichtigung der Menschenrechte bei den in der Pilotphase unterstützten Projekten war Gegenstand von Diskussionen mit Partnern und Behörden anlässlich der Monitoring-Missionen vor Ort», so das EDA auf Anfrage. Das heisst: Es wurde mit eritreischen Behörden und den Organisationen, die die Projekte umsetzen, über Menschenrechte gesprochen. Und: «Die Projekte waren 2019 Gegenstand einer externen Evaluation.»

Die Projekte seien so sorgfältig ausgewählt worden, wie es unter den gegebenen Bedingungen möglich war. Das wichtigste Motiv der eritreischen Migration jedoch sei immer noch der unbefristete Nationaldienst. Das EDA wird in den nächsten drei Jahren weitere sechs Millionen Franken in Entwicklungshilfeprojekte investieren. Über die Resultate werde zu gegebener Zeit informiert.

Grösster Anteil an Asylsuchenden in der Schweiz

Laetitia Bader sieht diese Auskunft sehr kritisch: «Für Entwicklungshelfer ist es fast unmöglich, ihre Projekte vor Ort unabhängig zu überwachen.» Immer wieder sei es vorgekommen, dass Eritreer und Eritreerinnen, die mit Beobachtern gesprochen hatten, im Anschluss Repressalien ausgesetzt waren. «Der Nationaldienst bringt der Regierung nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch die Möglichkeit, die Bevölkerung vollständig zu kontrollieren.»

Eritreer stellen seit Jahren den grössten Anteil an Asylsuchenden in der Schweiz.

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