EU führt Lieferkettengesetz ein
«Jetzt muss Keller-Sutter ihr Versprechen halten»

Die EU führt ein Lieferkettengesetz ein. Damit kommt die Schweiz unter Zugzwang, ebenfalls ein Konzernverantwortungsgesetz einzuführen. So wie es der Bundesrat vor ein paar Jahren versprochen hat. Erste politische Vorstösse sind in der Pipeline.
Publiziert: 24.05.2024 um 15:26 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2024 um 14:10 Uhr
Die EU führt ein Lieferkettengesetz ein. In der Schweiz war die Konzernverantwortungs-Initiative 2020 noch knapp abgelehnt worden.
Foto: STEFAN BOHRER
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Sermîn FakiPolitikchefin

Nun ist es definitiv: Die EU wird ein Lieferkettengesetz einführen. Die Mitgliedsstaaten stimmten am Freitag in Brüssel endgültig zu, Konzerne in Sachen Menschenrechte und Nachhaltigkeit an die kürzere Leine zu nehmen.

Grosse Unternehmen können künftig vor europäischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie von Menschenrechtsverstössen in ihren Lieferketten profitieren, etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit. Die Mitgliedstaaten haben jetzt zwei Jahre Zeit, das EU-Gesetz in nationales Recht umzusetzen.

200'000 fordern ein neues Gesetz

Damit ist die Schweiz bald das einzige Land in Europa ohne eine solche Regulierung. Dabei wäre sie um ein Haar Vorreiterin gewesen: Im November 2020 sagten 50,7 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten Ja zur Konzernverantwortungs-Initiative. Diese scheiterte jedoch am Ständemehr.

Angesichts der Entwicklung in der EU kommt allerdings wieder Bewegung in die Diskussion. Die Koalition für Konzernverantwortung fordert, dass nun auch die Schweiz ein entsprechendes Gesetz einführt. Ein Anliegen, das über 200'000 Menschen im Land unterstützen: So viele haben eine Petition unterschrieben, die dem Parlament übergeben wurde.

«Jetzt sind wir eine Insel»

Schon in der am Montag beginnenden Sommersession wird das Thema auf den Tisch kommen. Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (47) kündigt gegenüber Blick entsprechende Vorstösse an. «Jetzt sind wir eine Insel – und das wird uns auf lange Sicht nicht gut anstehen», begründet der Solothurner. Unrecht hat er nicht – zumal auch Nicht-EU-Unternehmen, beispielsweise aus der Schweiz, die strengeren Regeln ebenfalls einhalten müssen. Die EU-Kommission wird eine Liste der betroffenen Unternehmen veröffentlichen.

«Justizminister Jans muss jetzt aktiv werden und die Schweizer Gesetzgebung nachbessern», so Müller-Altermatt. «Und von seiner Vorgängerin Karin Keller-Sutter erwarte ich, dass sie ihr Versprechen aus dem Abstimmungskampf hält und eine Lösung analog der EU-Richtlinie unterstützt.»

Keller-Sutter versprach Nachbesserung

Worauf Müller-Altermatt anspielt: Die damals zuständige Justizministerin Karin Keller-Sutter (60) hatte im Abstimmungskampf versprochen, dass die Schweiz bei einer allfälligen EU-Regulierung nachziehen werde. «Ich teile den Standpunkt, wonach wir die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen sollten, doch das sollte international abgestimmt erfolgen», sagte sie etwa in einem Blick-Interview.

Da die beiden SP-Vertreter im Bundesrat, Beat Jans (59) und Elisabeth Baume-Schneider (60) und wohl auch Mitte-Bundesrätin Viola Amherd (61) für einen Nachvollzug sein dürften, bräuchte es nur eine Stimme für eine bundesrätliche Mehrheit. Und die müsste, so findet Müller-Altermatt, von Keller-Sutter kommen.

Neue Initiative in der Pipeline

Um noch mehr Druck zu machen, hat die Koalition für Konzernverantwortung bereits eine neue Volksinitiative angekündigt. «Wir sind daran, die europäische Konzernverantwortungsrichtlinie genau zu analysieren und einen auf die Schweiz angepassten Initiativtext zu erarbeiten», sagt Dominique de Buman (68), alt Nationalrat und Vorstandsmitglied der Koalition. Diese soll in den nächsten Monaten lanciert werden.

Die alte Initiative forderte, dass Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung verbindlicher Umweltstandards haftbar gemacht werden können – ziemlich genau das also, was die EU-Staaten nun beschlossen haben. Die neuen Regeln dort sollen für Firmen mit 1000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz gelten, nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren.

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