Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz wurde als Saubermann gefeiert
Vom Geachteten zum Geächteten

Er galt als sauberster Banker der Schweiz: Pierin Vincenz war der erste Vertreter der Finanzbranche, der das Ende der Steuerhinterziehung als Geschäftsmodell für Banken forderte. Er machte die Raiffeisen zur Nummer drei. Mit ihm zeigte man sich gern – damals.
Publiziert: 24.01.2022 um 01:00 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2022 um 17:45 Uhr
Pascal Tischhauser und Daniel Ballmer

Als das Parlament Christoph Blocher (81) am 12. Dezember 2007 die Wiederwahl versagte und statt ihm Eveline Widmer-Schlumpf (65) zur Bundesrätin machte, fragte Blick über ein Dutzend Firmen an, was sie davon hielten. Alle schwiegen – ausser der damalige Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (65): «Es ist wichtig, dass die Institutionen wieder besetzt sind und funktionieren und die demokratischen Spielregeln eingehalten werden. Als Bündner freut mich natürlich die Wahl einer Landsfrau.»

Im Januar 2009 war Vincenz als Schweizer des Jahres 2008 in der Kategorie Wirtschaft nominiert. Ebenfalls unter den Nominierten: die damalige Justizministerin und Blocher-Verhindererin Widmer-Schlumpf. «Je bündnerischer, desto besser», sagte Vincenz dazu.

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Protz mit «Rotem Platz»

An Selbstbewusstsein mangelte es Vincenz damals nicht. Mitten in der Stadt St. Gallen stellte Raiffeisen 2005 einen neuen Hauptsitz hin, samt «Rotem Platz», gestaltet von der Rheintaler Künstlerin Pipilotti Rist (59). Dort nahm Vincenz als CEO ein Eckbüro in Beschlag, auf dessen Grösse jeder Bankchef an der Zürcher Bahnhofstrasse neidisch sein musste.

Pierin Vincenz war zu seinen besten Zeiten überall gern gesehen. Hier beim traditionellen Zug der Zünfte am Sechseläuten 2013.
Foto: Keystone
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Vincenz protzte. Warum auch nicht? Nachdem er die Raiffeisen-Gruppe 1999 übernommen hatte, machte er sie zur drittgrössten Bank des Landes. Und das, obwohl sie so anders funktionierte als die beiden Grossen UBS und CS. Die Raiffeisen-Genossenschaftsbanken versorgten die Landwirte in den ländlichen Regionen mit Krediten.

Schon ihre Väter kannten sich gut

Mit einem solchen Saubermann zeigte sich die Politik gerne, insbesondere nach der Finanzkrise. Eng waren die Bande vor allem mit der CVP, die just dort ihre Stammlanden hatte, wo die Kunden der «Bauernbank» sassen. So wurde der ehemalige CVP-Ständerat Gion Clau Vincenz (1921–2014) – der Vater von Pierin – nach seinem Ausscheiden aus der Politik Verwaltungsratspräsident von Raiffeisen Schweiz. Im Ständerat hatte er zuvor jahrelang zusammen mit Leon Schlumpf (1925–2012) gesessen, dem späteren Bundesrat und Vater von Eveline Widmer-Schlumpf.

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Wie nah sich die Bündner Bundesrätin und der Bündner Banker standen, ist umstritten. Während die einen sagten, Vincenz gehe in Widmer-Schlumpfs Büro ein und aus, heisst es von anderer Seite, dass er zwar ihre Handynummer gehabt, sie aber praktisch nie benutzt habe. Vincenz selbst liess verlauten, er kenne Widmer-Schlumpf aus gemeinsamen Gymnasiumszeiten.

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Totengräber des Bankgeheimnisses

Fakt ist: Ab Ende 2012, inzwischen hatte die BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf an die Spitze des Finanzdepartements gewechselt, leistete Vincenz ihr Beihilfe bei der Einführung des automatischen Informationsaustauschs. Nachdem er das Bankgeheimnis für tot erklärt hatte, galt Pierin Vincenz auch in der Öffentlichkeit als der saubere Banker, der mit dem Geschäftsmodell von so manch einer Schweizer Bank aufräumen wollte, das Geld von ausländischen Millionären vor den Finanzämtern in deren Heimatländern zu verstecken.

Verfolgen Sie den Prozess hautnah

Am Dienstag, 25. Januar, startet im Volkshaus Zürich der Prozess gegen Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (65) und seinen Geschäftspartner Beat Stocker (61). Neben den beiden Hauptangeklagten sitzen fünf weitere Personen auf der Anklagebank. Verfolgen Sie den grössten Wirtschaftsprozess der Schweiz seit dem Fall Swissair im Liveticker auf Blick.ch und auf Blick TV. Expertinnen und Experten schätzen die aktuellen Geschehnisse im «Mittagsfokus» im Studio ein, zudem schaltet Blick TV immer wieder zu den Blick-Reportern vor Ort. Am Abend gibt es jeweils eine Zusammenfassung in «Der Tag in 5’».


Am Dienstag, 25. Januar, startet im Volkshaus Zürich der Prozess gegen Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (65) und seinen Geschäftspartner Beat Stocker (61). Neben den beiden Hauptangeklagten sitzen fünf weitere Personen auf der Anklagebank. Verfolgen Sie den grössten Wirtschaftsprozess der Schweiz seit dem Fall Swissair im Liveticker auf Blick.ch und auf Blick TV. Expertinnen und Experten schätzen die aktuellen Geschehnisse im «Mittagsfokus» im Studio ein, zudem schaltet Blick TV immer wieder zu den Blick-Reportern vor Ort. Am Abend gibt es jeweils eine Zusammenfassung in «Der Tag in 5’».


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Eine Haltung, die sich heute auch auf dem Finanzplatz durchgesetzt hat. Kein Wunder, gab Raiffeisen zu Vincenz’ Abschied 2015 sogar ein «Dank- und Denkbuch» heraus. Lobreden auf den sauberen Banker hielten darin Politiker wie CVP-Ständerat Pirmin Bischof (62). «Was die Heiligen für die katholische Kirche bedeuten, ist Pierin Vincenz bis zu einem gewissen Grad für die Schweizer Finanzbranche», schrieb er.

Kritik aber gab es schon, bevor Vincenz zum Saubermann aufgestiegen war: Zusammen mit seinen zahlreichen Verwaltungsratsmandaten kam Vincenz 2008 angeblich auf einen Jahreslohn von drei bis vier Millionen Franken. Dies, aber auch sein aufwendiger Lebensstil und der Hang zu teuren Autos gaben zu reden. Das passte nicht zur biederen Bauernbank.

Heli-Flüge und Privatjet

«Pierin Vincenz hebt ab», titelte die «SonntagsZeitung» Ende 2008. Sie warf ihm den Lohn vor, häufig den Helikopter zu nehmen und mit einem Privatjet zusammen mit seiner damaligen Ehefrau und weiteren Personen ans EM-Finale gereist zu sein. Die Raiffeisen-Kommunikation wand sich.

Heute möchten sich die Politiker nicht mehr zu ihrem Lob auf Vincenz äussern. Niemand mehr will mit ihm in Verbindung gebracht werden. Die Lobhudeleien sind ihnen peinlich. Aber hinter vorgehaltener Hand heisst es unisono: An der Beurteilung von Vincenz als Banker ändere sich durch den Prozess nichts. Er habe die Raiffeisenbank zum Erfolg geführt. Das öffentlich zu sagen, scheint aber nicht mehr opportun.

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