Exklusive Auswertung
Wer alles bei den «bäuerlichen Parlamentariern» mitmischt

Viele der einflussreichen «bäuerlichen Parlamentarier» sind keine Landwirte, sondern Funktionäre bei Grossverteilern, Chemiekonzernen oder Versicherungen. Das zeigt eine exklusive Auswertung der bisher unbekannten Mitgliederliste.
Publiziert: 10.12.2023 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2023 um 23:11 Uhr
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Vanessa MistricRedaktorin

Sie gelten als Schattenparlament: mehr als 40 National- und Ständeräte, die auf Einladung des Schweizer Bauernverbands zu den «bäuerlichen Parlamentariern» gehören dürfen. Der Verband und sein Präsident Markus Ritter geben der Gruppe ihre Positionen durch und sagen, wie die Mitglieder abstimmen sollen. Gerne teilen sie mit, was sie vom künftigen Bundesrat erwarten – umso verschwiegener sind sie aber, wenn man danach fragt, wer in der exklusiven Gruppe mitmischt. 

Dem SonntagsBlick liegt die bislang unbekannte Mitgliederliste vor. Stand: Ende Oktober 2023, also kurz nach den eidgenössischen Wahlen. Die Auswertung zeigt: Knapp jeder vierte der «bäuerlichen Parlamentarier» ist weder selbst Landwirt, noch war er es je.

Gut geknüpftes Netzwerk

Oft vertreten die Mitglieder nicht einmal eine bäuerliche Organisation, sondern eher das, was auch als deren «Speckgürtel» bezeichnet wird, sprich: Branchen und Unternehmen, die indirekt von Subventionen profitieren, indem sie Bauern etwas ab- oder ihnen etwas verkaufen. 

Die «bäuerlichen Parlamentarier» sind eine der mächtigsten Lobbygruppen im Parlament.
Foto: Keystone
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Fast alle «bäuerlichen Parlamentarier» sind gut vernetzte Funktionäre. Sie besetzen gleich mehrere wichtige Posten in einflussreichen Verbänden, Unternehmen und Lobbygruppen. Insgesamt haben sie mehr als 200 Mandate in Verwaltungsräten, Vorständen, Stiftungsräten und Geschäftsleitungen diverser Branchen inne. 

Vertreten sind neben bäuerlichen Organisationen auch Detailhändler, vor allem Migros und Coop, Fleischverarbeiter wie Micarna, Mischfutter- und Zuckerfabrikanten, die Agrartechnik und Versicherungen für Bauern. Auch der Landwirtschaftsriese Fenaco und Pharma- und Chemiekonzerne wie Bayer und Novartis können in der Gruppe Einfluss nehmen. Bayer steht aktuell wegen seines umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat in der Kritik.

Nicht nur Bauern

Rechtsanwalt und Nationalrat Nicolo Paganini (57, Mitte) ist beispielsweise Mitglied der exklusiven Gemeinschaft und Präsident der Genossenschaft Migros Ostschweiz. Einen landwirtschaftlichen Hintergrund sucht man bei ihm vergebens. Mitte-Nationalrat und Rechtsanwalt Leo Müller (65) sitzt im Verwaltungsrat der Agrargenossenschaft Fenaco, zu der unter anderem Volg, Landi, die Dünger-Marke Landor und der Mineralölkonzern Agrola gehören. Fenaco und deren Mitglieder verkaufen Landwirten Futtermittel und kaufen von ihnen Saatgut, Getreide oder Lebensmittel. Leo Müller kann immerhin darauf verweisen, dass er selbst einmal Landwirt gewesen ist: von 1975 bis 1977. 

Damian Müller (39) hingegen war nie Landwirt. Er hat eine Nähe zu vielem – nur nicht zu den Bauern. Der FDP-Ständerat ist «Senior Berater Public Affairs» bei der Mobiliar und betreibt eine PR-Agentur, die Verbände und Unternehmen in politischen Fragen berät. 

Als Druckerei-Verwaltungsrat und Mitglied der Lobbygruppe des Grafikverbands verhinderte er zum Beispiel eine Motion gegen unerwünschte Werbung in Briefkästen. Das schreibt er stolz auf seiner Website. «Pöstlijäger» Müller, so der Blick, ist auch Präsident des Pferdesportverbands und Vorstand des Medizintechnikverbands.

Keine andere Gruppe ist in Bern so gut vertreten

Den Bäuerinnen und Bauern gehört ein Sechstel des Parlaments, sie sind in allen wichtigen Kommissionen vertreten, können Mehrheiten bilden. Das ist extrem viel im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Von über 5 Millionen Beschäftigten in der Schweiz arbeiten nur rund 150 000 in der Landwirtschaft. Die Bauern machen nur noch 2,3 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung aus, sie erwirtschaften weniger als 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Mit dem Schweizer Bauernverband – 330 Mitarbeitende, eigene Krankenkassen und Zeitungen – haben sie die schlagkräftigste Lobby hinter sich.

Den Bäuerinnen und Bauern gehört ein Sechstel des Parlaments, sie sind in allen wichtigen Kommissionen vertreten, können Mehrheiten bilden. Das ist extrem viel im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Von über 5 Millionen Beschäftigten in der Schweiz arbeiten nur rund 150 000 in der Landwirtschaft. Die Bauern machen nur noch 2,3 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung aus, sie erwirtschaften weniger als 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Mit dem Schweizer Bauernverband – 330 Mitarbeitende, eigene Krankenkassen und Zeitungen – haben sie die schlagkräftigste Lobby hinter sich.

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Beim parlamentarischen Bauernklub darf Müller mitmachen, weil er nebenbei als Präsident der Schweizerischer Futterfabrikanten wirkt, die Bauern Getreide abkaufen oder ihnen Futter verkaufen. Zudem kennt Müller die Landwirtschaft aus seiner Zeit als Verkaufsleiter beim Handelsunternehmen Valora. 

Das Gleiche gilt für Mitte-Ständerat Charles Juillard (60). Der Direktor einer PR-Agentur darf laut Angaben auf der Teilnehmerliste beim Bauernklub mitmachen, weil er als Verwaltungsrat der Schweizerischen Hagel-Versicherungs-Gesellschaft amtet. 

Mitte-Ständerat und Rechtsanwalt Daniel Fässler (63) ist als Präsident der Schweizer Waldbesitzer dabei. SVP-Nationalrat Mike Egger (31) ist im Kader von Micarna.

Von Grün bis SVP ist alles dabei

Seit den Wahlen ist die Gruppe noch rechtsbürgerlicher geworden. Zehn der elf neuen Mitglieder gehören der SVP an, einer der Mitte. 

Gut die Hälfte des Schattenparlaments kommt nun aus der SVP. Den Rest stellen Mitte und FDP. Nur zwei Grüne waren Ende Oktober Mitglied.

Der grüne Biobauer Kilian Baumann (42) wäre gerne dabei gewesen. Er darf aber nicht, weil er beim Präsidenten des Bauernverbands wegen Kritik an dessen Vorgehen und wegen ökologischer Positionen in Ungnade gefallen ist.

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