Flucht vor Taliban
Bund holt Schweizer aus Afghanistan

Die Taliban sind daran, Afghanistan zu erobern. Auch für Schweizer vor Ort wird die Lage brenzlig. Nun fliegt sie der Bund zusammen mit lokalen Mitarbeitenden in die Schweiz aus.
Publiziert: 13.08.2021 um 18:06 Uhr
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Aktualisiert: 13.08.2021 um 18:29 Uhr

«Wir sind sehr besorgt. Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert sich täglich», stellte Staatssekretärin Livia Leu (60) vom Aussendepartement EDA am Freitagabend vor den Medien klar. Es seien immer mehr Opfer im Land zu beklagen.

Die Taliban sind weiter auf Eroberungskurs. Sie haben in Afghanistan ihre Gebietsgewinne in rasantem Tempo fortgesetzt und innerhalb von einer Woche mehr als die Hälfte aller Provinzhauptstädte eingenommen. Mittlerweile sollen sich Taliban-Kämpfer auf einen Angriff auf die Hauptstadt Kabul vorbereiten. Die Islamisten nähern sich einer militärischen Machtübernahme.

Der Bund ist besorgt um seine Mitarbeitenden in der Region. Und wird diese nun in die Schweiz zurückfliegen. Betroffen sind noch drei Mitarbeitende der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Kabul sowie 38 lokale Mitarbeitende. «Wir suchen auch für Menschen, die für die Schweiz arbeiten und dadurch gefährdet sind, eine Lösung», betonte Leu. Es bestehe die Gefahr, dass sie als Kollaborateure des feindlichen Westens angesehen werden und verfolgt würden.

«Wir sind sehr besorgt. Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert sich täglich», stellt Staatssekretärin Livia Leu (60) vom Aussendepartement klar.
Foto: Keystone
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Eine Botschaft hat die Schweiz in Kabul nicht. Diese befindet sich in Islamabad in Pakistan.

Derzeit keine Wegweisungen

Die lokalen Mitarbeitenden könnten zusammen mit ihren engsten Familienmitgliedern ein humanitäres Visum beantragen. Es handelt sich insgesamt um rund 200 Personen. «So ist es möglich, sie ebenfalls in die Schweiz einzufliegen», ergänzte der Staatssekretär für Migration Mario Gattiker (64). Diesen Entscheid habe Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) gefällt.

In diesem Jahr hätten bisher rund 1400 Menschen aus Afghanistan in der Schweiz Asyl beantragt. Derzeit würden insgesamt etwa 2800 Afghaninnen und Afghanen im Land leben, rund 12'500 seien vorläufig aufgenommen. 131 Personen würden sich in einem Wegweisungsverfahren befinden. «Bis auf weiteres werden aber keine Wegweisungen durchgeführt», stellte Gattiker klar.

Die Bundesbehörden haben zudem Kenntnis von einer Schweizer Reisenden in Afghanistan, obwohl die Schweiz schon länger von Reisen nach Afghanistan abrate.

Zahlreiche Länder ziehen Personal ab

Mittlerweile bereiten sich mehrere Staaten auf die Evakuierung ihrer Botschaftsmitarbeiter und anderer Staatsbürger vor. Die US-Armee verlegt per sofort rund 3000 zusätzliche Soldaten an den Flughafen in Kabul. Damit soll ein geordneter Abzug des US-Botschaftspersonals unterstützt werden.

Gleichzeitig verlegen die USA bis zu 4000 weitere Soldatinnen und Soldaten nach Kuwait und 1000 nach Katar – für den Fall, dass Verstärkung gebraucht wird. Ansonsten aber halten die USA an ihren Plänen fest: Bis Ende Monat wollen sie den Abzug ihrer Soldaten aus Afghanistan abgeschlossen haben.

Auch Grossbritannien will rund 600 zusätzliche Soldaten schicken, um die Rückführung von Briten aus Afghanistan zu sichern.

Am Freitag hat auch die deutsche Regierung beschlossen, das Personal der deutschen Botschaft in Kabul in den nächsten Tagen auf das «absolute Minimum» zu reduzieren. Botschaftsmitarbeitende würden mit Chartermaschinen ausgeflogen. Auch Dänemark und Norwegen schliessen vorübergehend ihre Botschaften.

Zuletzt hatte US-Präsident Joe Biden (78) am Donnerstag im Weissen Haus erklärt, die Afghanen müssten nun «selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen».

«Wir stehen kurz vor einer humanitären Katastrophe»

Nach Einschätzung der Vereinten Nationen wird die Lage der Menschen in Afghanistan immer verzweifelter. «Wir stehen kurz vor einer humanitären Katastrophe», sagte eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am Freitag in Genf.

Vor allem Frauen und Kinder würden vor den vorrückenden Taliban flüchten. Inzwischen sei die Lebensmittelversorgung von etwa einem Drittel der Bevölkerung nicht mehr sichergestellt. Allein zwei Millionen Kinder seien auf Hilfe angewiesen. Die Lage werde immer unübersichtlicher. (SDA/dba)

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