Geheime Zahlungen an Parteien
Bürgerliche kassieren 1,2 Mio für Abstimmungskampf

Fast 1,2 Millionen Franken lassen die Verbände den Parteien zukommen, damit diese in ihrem Sinne Abstimmungskampf für den 25. September betreiben. Das zeigen Blick-Recherchen. Die Verbände werden selbst noch mehr in die Kampagnen investieren.
Publiziert: 04.07.2022 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:40 Uhr
Pascal Tischhauser

Am 25. September 2022 stimmt die Schweiz über die Anhebung des AHV-Frauenrentenalters auf 65 Jahre ab. Am selben Sonntag urteilen die Schweizerinnen und Schweizer über die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer. An die Urne kommt auch die Initiative gegen Massentierhaltung.

Wie so oft befindet das Stimmvolk über Vorlagen, die nichts miteinander zu tun haben. Wirklich nicht? Doch, denn sie alle sind «zentrale Stabilitätspfeiler» für unser Land. So zumindest steht es auf der Website des Schweizer Bauernverbandes.

«Typischer Ritter»

Dass sich die Landwirte für ihre Tierhaltung und eine sichere Rente einsetzen, mag eine gewisse Logik haben. Aber dass sich die Bauern auch für die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinsen starkmachen, leuchtet nicht ein. Denn davon profitiert der Bauernstand kaum. «Das sieht stark nach einem typischen Ritter aus», heisst es von Polit-Insidern. Zu Deutsch: Das riecht nach einem Deal – wofür der mächtige Bauernpräsident Markus Ritter (55) bekannt ist. Bauern helfen dem Finanzplatz bei der Verrechnungssteuer und erhalten im Gegenzug Unterstützung für den Kampf gegen die Landwirtschafts-Initiative.

Bauernpräsident Markus Ritter hat die Abstimmung über die Massentierhaltungs-Initiative gut eingefädelt.
Foto: Philippe Rossier
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Ritter, der die Interessen seines Standes zu verteidigen weiss wie kein Zweiter, bestätigt Blick-Recherchen, dass es einen Deal mit dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse unter Präsident Christoph Mäder (62) gibt.

Kenner nicht enttäuscht

Ritter betont jedoch: «Zuerst haben wir die Parolen zu den drei Vorlagen gefasst, die am 25. September zur Abstimmung kommen, und dann erst haben wir uns entschlossen, unsere Kräfte zu bündeln – und nicht umgekehrt!» Weil sich die Wirtschaftsverbände bei den Parolen einig seien, sei es richtig, dass man zusammenarbeite, die Kampagnen koordiniere «und so unsere Erfolgsaussichten erhöht».

Hätte Ritter nicht rechtzeitig für die passenden Parolen gesorgt, wären seine Kenner arg enttäuscht gewesen. Schliesslich bestätigt das Vorgehen, dass der Rheintaler alle anstehenden Geschäfte minuziös vorausplant.

Arme Parteien

Die Parteien erhalten von den Verbänden stets Geld, wenn sie die Abstimmungskämpfe in deren Sinn führen. Wie viel das ist, das war immer ein streng gehütetes Geheimnis. Doch Blick weiss nun aus mehreren Quellen: SVP, FDP und Mitte erhalten für ihren Abstimmungskampf gegen die Massentierhaltungs-Initiative je 80'000 Franken vom Bauernverband. Und von Economiesuisse gibts gar 100'000 Franken, wenn sich eine Partei für die Abschaffung der Verrechnungssteuer einsetzt.

Dazu muss man wissen: Unsere Parteien sind arm. Zwar gibt es für die Volksvertreter im Bundeshaus Geld aus der Staatskasse. Damit kommt aber keine Partei aus, um Politik zu machen. Neben Mitgliederbeiträgen, Spenden und den Mandatsabgaben von den Richtern und Parlamentariern sind sie auf Geld von Verbänden und Organisationen angewiesen.

Je 330'000 Franken

Bekommt eine Partei Geld von einem Verband, gilt die Regel: 75 bis 80 Prozent der Beträge fliessen in die Abstimmungskämpfe. Den Rest behalten die Parteizentralen ein, um einen Teil ihrer Mitarbeitenden zu finanzieren.

Da lohnt es sich, wenn an einem Sonntag mehrere Abstimmungen anstehen. Und der kommende September schenkt besonders ein: Laut verschiedenen Quellen können sich jene Parteien, die sich für die AHV-Vorlage engagieren, über einen besonders hohen Kampagnenzuschuss freuen. Die Rede ist von je etwa 150'000 Franken vom Arbeitgeberverband. Damit bringt der Sonntag SVP, FDP und Mitte insgesamt je 330'000 Franken.

Gewerkschaften zahlten nichts

«Aber die Linken erhalten für den Kampf gegen das höhere Rentenalter von den Gewerkschaften sicherlich noch viel mehr Geld», heisst es in bürgerlichen Kreisen nur. «Falsch!», widerspricht SP-Co-Generalsekretär Tom Cassee (41). «Die SP Schweiz finanziert ihre Abstimmungskämpfe ausschliesslich durch Mitgliederbeiträge und Spenden von Privatpersonen.» Die Gewerkschaften bezahlten der SP keinerlei Kampagnenaktivitäten und auch sonst nichts. «Das gilt auch für den Abstimmungskampf für den 25. September 2022», lässt er sich zitieren. Im Übrigen lehne man Hinterzimmer-Deals strikte ab.

Ähnlich klingt es bei den Grünliberalen. Die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig (34), die sich schon seit längerem für mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung einsetzt, sagt: «Es wäre nicht das erste Mal, dass Bauernverband und Economiesuisse etwas zusammen mauscheln und sachfremde Geschäfte miteinander verknüpfen.»

Und: Gegen solche verborgenen Hinterzimmer-Deals habe sich die GLP zusammen mit anderen erfolgreich gewehrt. «Ab kommendem Jahr sind anonyme Grossspenden glücklicherweise nicht mehr möglich.» Dann nämlich tritt der indirekte Gegenvorschlag zur Transparenz-Initiative in Kraft. Künftig müssen Zuwendungen an Parteien von 15'000 Franken und darüber offengelegt werden. Noch ist unklar, wann genau im Jahr 2023 das Gesetz in Kraft tritt. Aber spätestens zu den Wahlen im Oktober 2023 wird es wirksam. Allenfalls gilt es schon für die Abstimmung vom 18. Juni 2023.

«Kein Problem mit Transparenz»

GLP-Präsident Jürg Grossen (52) ergänzt, dass seine Partei von Economiesuisse gleich viel Geld für die Kampagne zur Abschaffung der Verrechnungssteuer erhalte wie die anderen Parteien im Befürworterlager – obwohl die GLP bei der Massentierhaltungs-Initiative eine andere Haltung hat als die anderen bürgerlichen Parteien. Zudem setzt sich die GLP auch für die AHV-Vorlage ein. Hier erhält sie aber weniger als die anderen Parteien. Ingesamt kommt sie auf etwa 150'000 Franken. Summa summarum erhalten die Parteien somit fast 1,2 Millionen. Und die Verbände werden darüber hinaus selbst auch noch Geld in den Abstimmungsausgang investieren.

In der GLP ist man klar der Meinung, dass nicht zu beanstanden sei, dass die Verbände Geld an die Abstimmungskampagnen der Parteien zahlen, sondern bloss, dass dies bislang nicht transparent ist. Und auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59) betont: «Die Mitte hat kein Problem mit der zunehmenden Transparenz, die Einblick gibt in die Finanzierung der politischen Arbeit in der Schweiz.»

Offenlegung erst bei Pflicht

Economiesuisse-Sprecher Michael Wiesner betont, wenn die neuen Regeln gelten würden, werde sich sein Verband selbstverständlich an diese halten. Derzeit gebe man aber noch keine Auskunft darüber, in welcher Höhe man sich an den Kosten der Parteien beteilige. Über die Zusammenarbeit verschiedener Verbände mit dem Bauernverband informiere man übrigens am 11. August.

Damit ist klar: Bis im Sommer oder Herbst 2023 können die Bürgerinnen und Bürger nie sicher sein, ob ein Verband oder eine Partei eine Vorlage aus Überzeugung ablehnt oder befürwortet – oder ob ein lukrativer Hinterzimmer-Deal den Ausschlag für die Haltung gegeben hat.

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