Geplatzter Leopard-Deal
Wie Amherd die Ruag-Chefin Beck auflaufen liess

Die geschasste Ruag-Chefin handelte im Wissen der Bundesrätin und des Verwaltungsrats. Der geplante Leopard-Deal taugt daher schlecht als Entlassungsgrund.
Publiziert: 12.08.2023 um 12:27 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 09:07 Uhr
Bernhard Fischer
Handelszeitung

Die Darstellung des Verwaltungsrats ist simpel: Brigitte Beck trat als Chefin der Schweizer Rüstungsfirma Ruag MRO wegen zweier öffentlicher Auftritte im Frühjahr 2023 und der daraus entstandenen Kontroverse um verbotene Rüstungsdeals zurück.

Beck hatte den Bundesrat für dessen Blockadehaltung in der Frage allfälliger Panzerlieferungen an die Ukraine kritisiert und Empfängerländern von Schweizer Kriegsmaterial empfohlen, sich nötigenfalls über die Neutralitätspolitik der Schweiz hinwegzusetzen. Konkret ging es um den Weiterverkauf von 96 Leopard-1-Panzern aus Schweizer Besitz an Rheinmetall.

Gegen die Interessen des Bundesrates?

Die wichtige Frage dabei: Handelte die entlassene Ruag-Chefin damit gegen die Interessen des Bundesrates? Oder liess man sie auflaufen? Recherchen der «Handelszeitung» zeigen nun, dass Becks Vorhaben politisch gedeckt sein musste: von Bundesrätin und Verteidigungsministern Viola Amherd.

Die Verteidigungsministerin im Bundeshaus: Viola Amherd musste von den geplanten Panzer-Deals der Ruag wissen.
Foto: keystone-sda.ch
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Artikel aus der «Handelszeitung»

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Der Reihe nach: Erstmals geprüft wurde der Verkauf der ausgemusterten Panzer im Winter. Doch das Seco signalisierte: Das geht nicht. Bereits in seiner Antwort auf die Voranfrage habe das Seco festgehalten, dass das Geschäft im Widerspruch zum geltenden Recht stehe, sagt ein Seco-Sprecher. «Die Information, dass die Panzer der Ukraine zur Verfügung gestellt würden, war Teil des Antrags.» Das Vorhaben widerspreche Schweizer Neutralitätsrecht, so die Auslegung des Seco.

In der Schweizer Waffenindustrie sorgte das für Besorgnis. Was bedeutete der Bescheid für künftige Rüstungsgeschäfte? Millionenumsätze und Tausende Jobs hängen daran. Industrie-, Zuliefer- und Rüstungsfirmen fürchteten um ihre Existenz. So forderte am 17. Februar auch der Industrieverband Swissmem, man müsse die Neutralität anders interpretieren: «Die immerwährende, bewaffnete Neutralität der Schweiz wird zurzeit oft falsch interpretiert. Die Rüstungsexportbestimmungen gehen weit über das Neutralitätsrecht hinaus. Dieses verlangt keine Bewilligungen für die Wiederausfuhr», schrieb Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher.

Kurz danach, im März, trat Verteidigungsministerin Viola Amherd vor die Öffentlichkeit und kommentierte das Exportgesuch von der politischen Tribüne aus. Als Departementsleiterin des VBS, Eigentümervertreterin der Ruag und oberste Chefin von Brigitte Beck, teilte sie mit, die Behörden hatten im Rahmen einer Vorabklärung das Gesuch der Ruag abschlägig beurteilt. Das zeigt: Amherd war über das Vorhaben der Ruag informiert.

Absage mit Ansage

Die Ruag nahm einen zweiten Anlauf. Am 27. April stellte sie ein formelles Exportgesuch ans Seco. Die Ruag erhoffte sich Klarheit: «Wir hätten gerne einen offiziellen Entscheid vom Seco, damit wir die Geschäftsoptionen besser einschätzen können», sagte damals eine Sprecherin. Und so kam es auch: Im Fall der besagten Leopard-Panzer kam das Staatssekretariat zum Schluss, dass dies gegen die Neutralität verstosse, und erteilte dem Deal eine Absage. Diesmal mit Brief und Siegel.

Amherd war zu dieser Zeit mit der Materie längst vertraut. Mit Blick auf ein sehr ähnliches Exportgeschäft über 25 Leopard-Panzer aus Schweizer Altbestand an die Deutsche Bundeswehr etwa sagte sie am 12. Juni im Parlament: «Ein Widerspruch zur Neutralität entstünde nur, wenn Deutschland entweder die Panzer an die Ukraine weiterleiten würde oder wenn die Lieferung an Deutschland eine Voraussetzung wäre für die Lieferung von anderem Material Deutschlands an die Ukraine. Beides ist nicht der Fall, es gibt keinen solchen Zusammenhang.» Amherd kommt zum klaren Schluss: «Die Lieferung von 25 Panzern an Deutschland zur Nutzung durch die Bundeswehr ist darum mit dem Neutralitätsrecht kompatibel.»

Das Problem beim Wiederausfuhrgesuch der Ruag lag also nicht darin, ob man Panzer verkaufen und liefern sollte. Sondern wie das Exportgesuch formuliert sein sollte: mit oder ohne Hinweis auf die direkte oder indirekte weitere Verwendung in der Ukraine.

Klärungsbedarf bestand weiterhin

Erst am 28. Juni sprach der Bundesrat mit einer Stimme, gegen die Wiederausfuhr der Leo-1-Panzer in Italien: «Da es im Widerspruch zum geltenden Recht steht, hat der Bundesrat ein Gesuch der Ruag AG für den Handel mit 96 Kampfpanzern des Typs Leopard 1 A5 zur Verwendung in der Ukraine abgelehnt. Damit wurde den Aspekten der Neutralitätspolitik der Schweiz und ihrer Zuverlässigkeit als Rechtsstaat Priorität eingeräumt.»

Mindestens bis dahin durfte Beck davon ausgehen, auch im Sinne ihrer Vorgesetzten, Bundesrätin Amherd, zu handeln. Nur, um dann fallen gelassen zu werden. Dabei war die Debatte noch voll im Schwung: Ein halbes Jahr lang suchten Ruag, die Branche und Amherd nach einer klaren Linie für Waffenexporte. Über die Klippe springen musste jedoch nur Ruag-Chefin Beck – und das nach weniger als einem Jahr im Amt.

Wo aber liegt die Verantwortung von Becks Vorgesetzten? Über die Kompetenzen und die Gebarung der Ruag-Chefin wachte der Verwaltungsrat und in letzter Instanz der Bundesrat. Vorgesetzte und oberste Chefin war Verteidigungsministerin Viola Amherd. In beiden Fällen – ob Verwaltungs- oder Bundesrat – konnte und durfte Beck nicht allein handeln. So steht es in den Statuten für die Ruag und in den strategischen Zielen des Bundesrates.

SP-Nationalrätin will Verantwortung prüfen lassen

Gerne wollte die «Handelszeitung» wissen, ob der Verwaltungsrat der Ruag MRO darüber informiert war und welche Rolle er bei den Anfragen ans Seco spielte. Eine Sprecherin der Ruag MRO äussert sich dazu jedoch nicht und verweist auf interne Spielregeln: «Die Kompetenzen der Geschäftsleitung bei Ruag sind im Organisationsreglement geregelt.» Dieses Reglement jedoch ist nicht öffentlich. Und ob der Verwaltungsrat informiert war, wird von der Ruag «weder bestätigt noch dementiert».

Die Frage der Verantwortung hat politische Folgen. Nationalrätin Franziska Roth (SP) möchte die Angelegenheit demnächst von der Geschäftsprüfungskommission prüfen lassen, wie sie gegenüber der «Handelszeitung» ankündigt. Sie hat die Vermutung, es habe «Absprachen zwischen Frau Beck und dem VBS» gegeben. Und: «Es wäre zu prüfen, ob man Frau Beck nicht ins offene Messer laufen liess.»

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