Gleichstellungsbeauftragte sagt nach Fall SBB
Viele Firmen nehmen sexuelle Belästigung zu wenig ernst

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist nicht nur bei den SBB verbreitet. Viele Firmen seien sich ihrer Verantwortung nicht genügend bewusst, sagt Susanne Nef, Gleichstellungsbeauftragte des Kantons Zürich.
Publiziert: 08.09.2024 um 19:39 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Umfrage zeigt: SBB haben ein Problem mit sexueller Belästigung
  • Besonders gefährdet sind Angestellte in hierarchisch organisierten Branchen
  • Vielen Firmen sei Verantwortung nicht bewusst, sagt Gleichstellungsbeauftragte
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Unangebrachte Sprüche, inakzeptable Berührungen und anzügliche Nachrichten aufs Diensthandy: Die SBB haben ein Problem mit sexueller Belästigung. In einer internen Umfrage gaben vier Prozent der Befragten an, in den vergangenen zwei Jahren am Arbeitsplatz belästigt worden zu sein. Bei den Frauen sind es 12 Prozent, wie Blick berichtet hat.

Gewerkschafterin und Lokführerin Esther Weber bezeichnet die interne sexualisierte Gewalt gegenüber dem Lokpersonal als «erschreckend». So soll ein Zugchef eine Lokführerin beispielsweise gefragt haben, wo sie sei. Als sie in seinem Blickfeld war, meinte er am Telefon zu ihr: «Ah, jetzt sehe ich deinen Knackarsch.» 

Jede dritte Frau betroffen

Sexuelle Belästigung ist längst nicht nur im Lokführerstand ein Problem. «Die Mehrzahl der Vorfälle geschieht im Arbeitskontext», sagt Susanne Nef (42), Leiterin der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich. Schon rein deshalb, weil man sehr viel Zeit bei der Arbeit verbringt. Studien belegen, dass fast jede dritte Frau und jeder zehnte Mann im Lauf des Erwerbslebens schon sexuelle Belästigung erlebt hat.

Susanne Nef ist Leiterin der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich.
Foto: Zvg
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Die Ergebnisse der internen SBB-Umfrage sind für die Fachfrau darum keine Überraschung – aber trotzdem alarmierend. Besonders gefährdet seien Angestellte in Branchen, die sehr hierarchisch organisiert sind. Denn dort gebe es höhere Machtgefälle, die von Tätern ausgenutzt werden können. Zudem sei das Risiko höher in männerdominierten Arbeitsumgebungen, da auch dort häufiger eine Kultur des Schweigens herrsche. 

Als Beispiele nennt Nef die Kreativbranche, die stark von Abhängigkeitsstrukturen sei, die männerdominierte IT- und Technologie-Branche, den Bau und den Bildungsbereich. Auch im Gesundheitswesen sei das Risiko höher, wobei Täter sowohl Kollegen als auch Patienten sein könnten. Dasselbe in Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel – Branchen, die von der Interaktion mit Menschen leben. 

Firmen müssen präventiv tätig werden

Gleichstellungs-Expertin Nef bedauert, dass bei vielen Unternehmen das Thema sexuelle Belästigung oftmals erst dann Aufmerksamkeit erhalte, wenn man mit einem konkreten Fall konfrontiert sei. «Viele Firmen handeln daher zu spät», sagt sie. Das sei zwar nachvollziehbar, da es sich nicht um ihr Kerngeschäft handle. Doch sie weist darauf hin, dass das Gesetz nicht nur festschreibt, dass ein Arbeitgeber handeln muss, wenn er von einem Vorfall erfährt. Vielmehr sind die Arbeitgebenden verpflichtet, die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der persönlichen Integrität der Angestellten zu treffen. Besonderes Gewicht werde hierbei auf die Prävention gelegt, sagt Nef. 

«Kommt es zu einem Klagefall und kann ein Unternehmen nicht nachweisen, dass sie präventive Massnahmen gegen sexuelle Belästigung getroffen haben, kann das Gericht oder die Verwaltungsbehörde sie verpflichten, betroffenen Personen eine Entschädigung zu zahlen.» Dies sei vielen Firmen nach wie vor leider nicht bewusst.

Um kleine und mittlere Unternehmen in diesem Bereich zu unterstützen, haben Stadt und Kanton Zürich sowie die Kantone St. Gallen und Appenzell vor einigen Jahren ein Präventionsprogramm für KMU lanciert. Es steht Firmen in der ganzen Deutschschweiz zur Verfügung. 

A und O ist laut der Gleichstellungsbeauftragten, dass sich Firmen bewusst sind, wie wichtig eine gute Unternehmenskultur ist, um sexuelle Belästigung zu bekämpfen. «Es gilt, eine Kultur zu schaffen, die Betroffenen signalisiert: Wir können darüber reden.»

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