«Greta macht grossartige Arbeit»
2:11
Greta und Rechtsextremismus:«Greta macht grossartige Arbeit»

Grünen-Pionier Joschka Fischer (71) redet militanten Klima-Aktivisten ins Gewissen
«Mit Gewalt lässt sich nicht die Welt retten!»

Revoluzzer, Turnschuhminister, Vizekanzler: Kaum ein deutscher Politiker hat eine derartige Wandlung durchgemacht wie Grünen-Urgestein Joschka Fischer. Gegenüber BLICK erklärt er, warum die Klimajugend mit der Wirtschaft kooperieren muss und warum er die Schweiz mag.
Publiziert: 16.01.2020 um 22:16 Uhr
|
Aktualisiert: 17.01.2020 um 08:03 Uhr
«Warum sollte ich auf Greta neidisch sein?»: Joschka Fischer setzt auf die grüne Jugend.
Foto: Thomas Meier
1/22
Interview: Guido Felder

Wenige Tage vor dem WEF in Davos GR findet gestern und heute in Zürich die internationale Digitalkonferenz Worldwebforum statt. Zu den Gästen zählen 100 Innovationsführer, die mit 1500 Jungunternehmern und Investoren über neue Technologien diskutieren.

Unter den bekannten Referenten befindet sich der ehemalige deutsche Vizekanzler Joschka Fischer (71). Gegenüber BLICK erklärt der Alt-Grüne und Ex-Revoluzzer, warum er heute für Grossunternehmen arbeitet.

BLICK: Zu Ihrer Zeit als Politiker fristeten die Grünen ein Mauerblümchendasein. Heute kommt ein Mädchen mit Zöpfen aus Schweden und verhilft den Linksparteien weltweit zu sensationellen Erfolgen. Sind Sie neidisch?
Joschka Fischer: Warum sollte ich? Ich bin dankbar. Sie ist grossartig, ich freue mich, dass die junge Generation aufgewacht ist und sich für ihre Zukunft interessiert. Das kann unserer Demokratie nur gut tun.

Was halten Sie von Greta?
Sie hat Grossartiges geleistet.

Wird sie die Welt verändern können?
Ein Mensch allein kann nie die Welt verändern. Aber sie hat entscheidende Impulse gegeben.

Warum werden wir erst jetzt auf Umweltthemen aufmerksam?
Weil die Folgen in einem ganz andern Masse spürbar sind. Die Klimakrise hat sich wesentlich schneller entwickelt, als die Wissenschaftler angenommen hatten.

Ein Thema des Worldwebforums hier in Zürich heisst: Radical must be the new normal. Glauben Sie das auch?
In der Sache werden wir radikal bleiben müssen. Es geht um die Ablösung dessen, was wir in den vergangenen 150 Jahren an Industrialisierung erlebt haben. Es braucht eine neue Form mit neuen Technologien, weil die Grenzen erreicht sind. Das ist für die ganze Menschheit eine enorme Herausforderung, und es ist verdammt schwierig, einen handlungsorientierten Konsens zu erreichen.

Sollen dabei Aktivisten auch Gewalt anwenden dürfen?
Es ist ganz einfach: Der Rechtsstaat setzt die Grenzen, und Gewaltfreiheit spielt eine entscheidende Rolle. Mit Gewalt lässt sich die Welt nicht retten.

Was tun Sie selber für den Klimaschutz?
Ich rede nicht über mich persönlich.

Siemens steht als Technologie-Zulieferer für Kohleminen in Australien arg in der Kritik der Klimakämpfer. Sie sind laut Wikipedia unter anderem Berater für Siemens und auch für die Nabucco-Gas-Pipeline tätig. Wie können Sie Ihr Engagement mit dem Umweltgedanken Ihrer Partei vereinbaren?
Im Moment arbeiten wir nicht für Siemens. Aber generell: Wir brauchen die Wirtschaft, wenn wir den ökologischen Umbau erreichen wollen. Das heisst nicht, dass man rechtfertigt, was falsch ist, aber dass man in der Wirtschaft einen Partner sieht. Das ist die Arbeit, die wir machen. Wir versuchen, beim Umstellen zu helfen.

Glauben Sie, dass die jungen Aktivisten die Notwendigkeit dieser Partnerschaft zu wenig begreifen?
Es ist das Vorrecht der Jugend. Sie verfügt nicht über die Erfahrung wie wir. Ich hatte mit 20 auch nicht jene Erfahrung, die ich heute mit 71 habe.

Früher waren Sie Mitglied der linksradikalen Gruppe Revolutionärer Kampf. Bei Strassenschlachten wurden Dutzende Polizisten teilweise schwer verletzt. Heute sitzen Sie im Anzug hier. Warum und wie ändert sich ein Grüner mit zunehmendem Alter?
Die Frage ist: Wie verändert sich ein Mensch im Laufe der Zeit? Das Leben besteht aus Veränderung und Erfahrung, die sehr wertvoll ist.

Wann und mit wem stellen die Grünen den ersten Kanzler oder die erste Kanzlerin?
Das weiss ich nicht. Auf jeden Fall sollten sie keine Scheu davor haben.

Als Vizekanzler und Aussenminister kümmerten Sie sich auch um die Weltpolitik. Wie sollte man den Iran-Konflikt angehen?
In der aktuellen Situation geht es darum, dafür zu sorgen, dass beide Seiten weitere Schritte vom Abgrund weg machen. Es ist sehr gefährlich – und Europa ist sehr nahe dran.

Wer soll diese Streithähne zusammenbringen?
Die Europäer haben guten Kontakt sowohl nach Washington als auch nach Teheran. Die Schweiz hat ja in einer sehr kritischen Situation eine sehr wichtige Rolle gespielt. Man sollte diesen Prozess verstärken.

Die Schweiz war lediglich Briefträgerin…
Manchmal ist ein Briefträger sehr wichtig, zumal er so erfolgreich dazu beitragen kann, dass eine weitere Konfrontation verhindert wird.

Ist die Iran-Krise überhaupt lösbar, solange Donald Trump US-Präsident ist?
Dieser Konflikt wird nicht über Nacht verschwinden, egal wer Präsident wird.

Welche Rolle soll Europa in der Welt spielen?
Wir müssen stark genug werden, dass wir für unsere eigene Sicherheit sorgen können. Wir werden auch bei der Zuwanderung neue Wege finden müssen, da der Druck bestehen bleibt. Das gilt sowohl für die EU als auch für die Schweiz, die ja mittendrin liegt. Denn was mit der EU passiert, hat Auswirkungen auf die Schweiz. So einfach ist das.

Die Grünen verzeichnen europaweit einen enormen Zuwachs, aber auch die Rechtsextremen legen zu. Wie erklären Sie sich das?
Wir befinden uns in der Übergangsphase. Trump und Brexit beweisen das. Viele Leute sind verunsichert und meinen, sie könnten Sicherheit gewinnen, indem sie sich auf die Vergangenheit beziehen.

War denn früher nicht alles besser?
Viele meinen das, aber es ist ein Irrtum. Ich erinnere mich gut: Die Leute und Länder waren ärmer, auch die Schweiz der 1970er-Jahre ist mit der heutigen Schweiz nur schwer vergleichbar, was soziale Sicherheit und Lebensstandard betrifft.

Glauben Sie, dass die jungen Linken manchmal vergessen, dass ihre Vorfahren den Wohlstand erkämpft haben, den sie heute geniessen können?
Die jungen Aktivisten haben das Recht, ihr Leben aus der Gegenwart und der zu erwartenden Zukunft heraus zu bestimmen. Das ist das Vorrecht der Jugend.

Sie sind sehr oft in der Schweiz.
Ich mag das Land.

Warum?
Mir gefallen die Atmosphäre, die Leute und auch die grossartige Geschichte. Die Schweiz hat, anders als Deutschland, eine ungebrochene Freiheitsgeschichte. Das ist bewundernswert.

Bei einem EU-Beitritt wäre diese Freiheit zu Ende…
Die EU-Frage müssen die Schweizer Stimmberechtigten ganz alleine entscheiden. Die Schweiz ist zwar ohne Mitgliedschaft, aber wohl behütet.

Hier am Worldwebforum geht es um Digitalisierung und neue Technologien. Es kommen grosse Veränderungen auf uns zu. Müssen wir Angst haben?
Wir müssen nur davor Angst habe, abgehängt zu werden. Das kann sich Europa nicht erlauben. Wir leben davon, dass wir die beste Technologie haben. Eine immer grössere Rolle wird die Frage spielen, wer über unsere Daten verfügt.

Wird es auch in Zukunft genügend Beschäftigung für Menschen geben?
Davon gehe ich aus.

Was macht Ihnen Hoffnung?
Wir haben eine sehr gute junge Generation, die sich engagiert und auch weiss, dass sie sich engagieren muss. Sie ist gut ausgebildet und klug. Darauf kann man vertrauen.

Vom Revoluzzer zum Vize-Kanzler

Der Grüne Joschka Fischer (71) war von 1998 bis 2005 Vizekanzler und Aussenminister Deutschlands, als die SPD mit den Grünen eine Regierungskoalition bildete. Sein Leben ist äusserst wechselhaft: katholischer Ministrant, Taxifahrer, Mitglied der linksradikalen und militanten Gruppe Revolutionärer Kampf (die bei schweren Strassenschlachten Dutzende von Polizisten teilweise schwer verletzte), ruppiger Bundestagsabgeordneter («Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch»), Umweltminister in Hessen, Vize-Bundeskanzler, seit 2005 Berater (Investbanken, Gas-Unternehmen, BMW, Hanf-Hersteller), Buchautor («Scheitert Europa?»). Auch sein Privatleben ist voller Action: Er ist in fünfter Ehe mit der Filmproduzentin Minu Barati-Fischer verheiratet und zweifacher Vater. Für einen Vortrag verlangt er gemäss der Referentenvermittlung Speakers Associates rund 31'000 Franken.

Der Grüne Joschka Fischer (71) war von 1998 bis 2005 Vizekanzler und Aussenminister Deutschlands, als die SPD mit den Grünen eine Regierungskoalition bildete. Sein Leben ist äusserst wechselhaft: katholischer Ministrant, Taxifahrer, Mitglied der linksradikalen und militanten Gruppe Revolutionärer Kampf (die bei schweren Strassenschlachten Dutzende von Polizisten teilweise schwer verletzte), ruppiger Bundestagsabgeordneter («Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch»), Umweltminister in Hessen, Vize-Bundeskanzler, seit 2005 Berater (Investbanken, Gas-Unternehmen, BMW, Hanf-Hersteller), Buchautor («Scheitert Europa?»). Auch sein Privatleben ist voller Action: Er ist in fünfter Ehe mit der Filmproduzentin Minu Barati-Fischer verheiratet und zweifacher Vater. Für einen Vortrag verlangt er gemäss der Referentenvermittlung Speakers Associates rund 31'000 Franken.

Mehr



Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?