Hausbesitzer im Explosionsgebiet winken Entschädigungen
«Wir dürfen die Menschen in Mitholz nicht alleine lassen»

Ein Dorf steht unter Schock. Die Bevölkerung des schmucken Mitholz im Kandertal weiss seit Donnerstag: Hier ist es nicht sicher. Was man den Anwohnern jahrzehntelang über die Gefahren sagte, die von den Überresten des vor 70 Jahren explodierten Munitionslagers stammen, stimmte nie.
Publiziert: 29.06.2018 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2018 um 15:54 Uhr
Pascal Tischhauser

Es war eine Schreckensnachricht, die Verteidigungsminister Guy Parmelin (58, SVP) den Mitholzern am Donnerstagabend überbrachte: Im Schutt des vor mehr als 70 Jahren explodierten Munitionslagers stecken 3500 Tonnen Sprengstoff. Es besteht Explosionsgefahr.

Anders als das Truppenlager und die Armeeapotheke müssen ihre Wohnhäuser zwar nicht geräumt werden. Aber es ist höchst ungewiss, wie es weitergeht. Heute weiss keiner, ob und wie die Gefahr gebannt werden kann.

Der friedliche Schein trügt: So sieht es im Mitholz heute aus. Doch unter der Idylle liegen mehrere Hundert Tonnen Sprengstoff.
Foto: Pascal Tischhauser
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Plötzlich sind die Häuser nichts mehr wert

Klar ist: Der Marktwert der Wohnhäuser in Mitholz ist mit Parmelins Worten in sich zusammengebrochen. Wer will schon mit seiner Familie in ein Dorf ziehen, in dem jederzeit mit einer Bombenexplosion zu rechnen ist?

Für rund 200 Mitholzer gibt es die heile Kandertaler Welt nicht mehr. «Wir dürfen Mitholz nicht alleine lassen», fordert nun GLP-Präsident Jürg Grossen (48). Er hat eine besondere Beziehung zum Dorf – und das nicht nur, weil er in der Nähe wohnt. «Das Elternhaus meiner Frau steht in Mitholz», erklärt der Nationalrat. Bei der Explosionskatastrophe vor 70 Jahren seien im damaligen Haus vier Menschen ums Leben gekommen.

GLP-Präsident Jürg Grossen hat private Verbindungen zu Mitholz.
Foto: ENNIO LEANZA

Wäre man mit Städtern anders umgegangen?

«Ich frage mich schon, was passiert wäre, wenn diese Explosionsgefahr in der Stadt Zürich oder in der Berner Altstadt aufgetaucht wäre. Hätte man auch gesagt, es kann zwar gleich zu Explosionen kommen, aber bleibt in euren Häusern, bis wir eine Lösung haben? Ich glaube nicht», so Grossen. Man müsse sich um die Menschen im Oberland genauso kümmern.

Auch für BDP-Politiker Hans Grunder (62) ist die Frage nach der Sicherheit für die Anwohner nicht schlüssig beantwortet. Entweder könne die Gefahr, die von den 3500 Tonnen Sprengstoff unter dem Schutt ausgeht, gebannt werden, und zwar rasch. Oder aber die Bevölkerung müsse in Sicherheit gebracht werden.

Die Kosten für die Umsiedlung hätte aus Sicht Grunders der Bund zu tragen. Auch der zweite Berner BDP-Nationalrat, Lorenz Hess (57), sieht diesen in der Verantwortung. Zwar ist der Versicherungswert der Häuser unverändert. Die Gebäudeversicherung Bern bezahlt bei Explosionsschäden die Instandstellung oder gar den Wiederaufbau der Häuser, wie die GVB auf Anfrage Auskunft gibt.

Die Flucht nach der Explosion im Kandertal
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Eine Augenzeugin berichtet:Die Flucht nach der Explosion im Kandertal

Wollen die Banken Geld sehen?

Doch der tiefere Marktwert könnte die Banken auf den Plan rufen, wenn die Hypothekarschuld auf einmal den Wert der Häuser übertrifft. Die Banken könnten die Mitholzer Liegenschaftseigentümer auffordern, Geld nachzuschiessen – das nicht alle haben.

Hier ist der Bund gefordert. «Es gilt das Verursacherprinzip», sagt Margret Kiener Nellen (65). Die SP-Nationalrätin und Juristin erwartet vom Verteidigungsdepartement (VBS), dass es «unbürokratisch begründeten Schadenersatz leistet».

Appell an die Solidarität

Auch der Zuger FDP-Ständrat Joachim Eder (66) appelliert an die Solidarität: «Sie zeichnet unsere Gesellschaft doch aus. Wir müssen sie nun beweisen.» Das Vorstandsmitglied des Hauseigentümerverbandes (HEV) pocht ebenfalls auf die Verantwortung des VBS – auch auf die finanzielle. So sieht es auch SP-Nationalrätin und Hausverein-Präsidentin Claudia Friedl (57). Fazit: Die Parlamentarier erwarten vom VBS mehr als schlechte Nachrichten.

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