Heile Bergwelt, verschmutztes Mittelland
Das Umwelt-Ranking der Kantone

Das Flachland leidet unter der intensiven Landwirtschaft. In den Bergen gehe der Trend in dieselbe Richtung, warnt ein Umweltökonom.
Publiziert: 16.05.2021 um 10:39 Uhr
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Aktualisiert: 17.05.2021 um 08:21 Uhr
Camilla Alabor

Ein Meer aus Häusern, Strassen und Bahnlinien, ab und zu ein Fleckchen Wald oder Wiese: Das Mittelland hat wenig Ähnlichkeit mit der Schweizer Postkartenidylle. Dasselbe gilt für die Landwirtschaft dort. Die Bauern, zerrieben zwischen dem Preisdruck der Detailhändler und den Ansprüchen der Konsumenten, setzen auf Dünger und Pestizide, um möglichst uniforme Äpfel und Kartoffeln zu ernten.

Die Folgen der intensiven Landwirtschaft zeigen sich deutlich: Überdüngte Wiesen, verunreinigte Bäche, Insektensterben. Doch wie sieht es in den einzelnen Kantonen aus? Und wie präsentiert sich die Lage im Berggebiet, wo weniger Dünger und Pestizide zum Einsatz kommen?

Die Denkfabrik Vision Landwirtschaft ist dieser Frage nachgegangen. Anhand öffentlich verfügbarer Daten haben Studienautoren erstmals ein Umwelt-Ranking für die verschiedenen Kantone erstellt. Dabei bezogen die Experten unter anderem den Einsatz von Pestiziden, die Überdüngung oder die Höhe von Nitrat im Grundwasser in ihre Wertung mit ein.

Berggebiet top, Mittelland flop: Umweltbelastung durch die Landwirtschaft, nach Kanton. Je dunkler die Farbe, desto belasteter die Umwelt. Für die Berechnung wurden 13 Faktoren mit einbezogen (u.a. Pestizideinsatz, Überdüngung, Höhe von Nitrat im Grundwasser) und daraus eine Rangliste zwischen den Kantonen erstellt.
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Weniger Pestizide in Berggebieten

Die wichtigste Erkenntnis: In den Berggebieten geht es den Bienen, Vögeln und Pflanzen besser als im Mittelland. Das liegt laut Studienautor Felix Schläpfer (51) einerseits daran, dass in den Bergen weniger Obst und Gemüse angebaut wird – entsprechend kommen weniger Pestizide zum Einsatz. Andererseits stehen in den Bergen kaum Masthallen für Schweine, deren Gülle zur Überdüngung der Felder beiträgt.

«Die Bergbauern haben bei den Konsumenten ein gutes Image», sagt Umweltökonom Schläpfer, «und das zu Recht.» Doch er warnt: «Der Trend geht derzeit in die falsche Richtung.» Die aktuelle Agrarpolitik belohne die falschen Produktionsweisen. «Als Folge davon karren wir Kraftfutter in die entlegensten Ecke der Berge – und überdüngen mit dem Übermass an Gülle die Wiesen», sagt Schläpfer. Damit werde die Biodiversität auch in den Bergen zunehmend zugrunde gerichtet.

Gemäss Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsstelle des Bundes, hat der Kraftfuttereinsatz in den Berggebieten tatsächlich zugenommen. Die Gründe für diese Entwicklung seien bisher aber nicht erforscht worden, heisst es auf Anfrage.

Falsche Anreize

Für Umweltökonom Schläpfer steht ausser Frage, dass es eine Abkehr vom heutigen System braucht: «Die Bergbauern halten auch deshalb zu viele Tiere, weil sie vom Bund falsch entschädigt werden.» Wer umweltfreundlich produziere, solle dafür mehr Geld erhalten, findet Schläpfer. Er sieht die Trinkwasser-Initiative als Chance für die Bergbauern. «Sie kommen von den importierten Futtermitteln weg und erhalten Geld für eine Produktion, welche die Natur nicht belastet.»

Jene Direktzahlungen, die Landwirte für das Vermeiden von Schäden erhalten, gehörten dagegen abgeschafft. «Heute unterstützt der Bund die Bauern beim Kauf einer zielgerichteten Pestizidspritze», sagt Schläpfer. Viel logischer wäre es seiner Meinung nach, alle anderen Spritzen zu verbieten.

Martin Rufer (44), Direktor des Bauernverbands, hält dagegen. Die Zahlungen für präzisere Pestizidspritzen seien «Teil eines Anreizprogramms, um die Umstellung auf die neue Technologie zu beschleunigen – die Programme sind in der Regel zeitlich befristet».

Rufer ist der Meinung, die Landwirtschaft sei durchaus auf dem richtigen Weg. Der Pestizideinsatz nehme laufend ab. Zudem habe der Bundesrat eben beschlossen, 230 Millionen Franken in umweltfreundliche Programme umzulagern.

Mehr Hühner, weniger Kühe

Der Agraringenieur sieht auch keine grundsätzliche Intensivierung im Berggebiet. «Die Tierbestände haben in den letzten Jahren insgesamt abgenommen. Es gibt heute wesentlich weniger Kühe und Schweine im Berggebiet als früher», so Rufer.

Tatsächlich zeigt ein Blick in die Agrarstatistik des Bundes zwei gegenläufige Trends: Die Anzahl Hühner im Berggebiet hat in den vergangenen 20 Jahren um über 40 Prozent zugenommen, von 1,06 Millionen auf 1,5 Millionen Mastpoulets und Legehühner. Die Anzahl Milchkühe ist dagegen im selben Zeitraum um 15 Prozent gesunken, von 260'000 auf 220'000 Tiere.

Für Martin Rufer vom Bauernverband der Beweis: «Die Behauptung, dass die heutige Agrarpolitik zu überhöhten Tierbeständen im Berggebiet führt, ist falsch.» Vielmehr stelle sich das umgekehrte Problem: «Wir haben in den Bergen eher zu wenige Rinder, um zu garantieren, dass das Grasland nicht verwaldet.»

Überhaupt sei die Trinkwasser-Initiative kontraproduktiv, meint Rufer weiter. «Wenn wir mehr Produkte aus Staaten mit tieferen Ökostandards importieren, wird die Umwelt zusätzlich belastet.»

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