«Wir wollen in der Schweiz keine Gelbwesten»
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Chiesa fordert tiefere Preise:«Wir wollen in der Schweiz keine Gelbwesten»

Hoher Benzinpreis – SVP-Chef Chiesa attackiert Bürgerliche mit Plakaten
«FDP und Mitte lassen Gewerbe und Mittelstand bluten!»

Der Ukraine-Krieg lässt die Benzinpreise steigen. Dagegen kämpft die SVP an vorderster Front. Parteipräsident Marco Chiesa schreckt auch nicht davor zurück, FDP und Mitte im Blick-Interview gehörig ans Schienbein zu treten.
Publiziert: 08.06.2022 um 22:45 Uhr
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Aktualisiert: 07.06.2023 um 17:19 Uhr
Ruedi Studer und Daniel Ballmer (Interview), Thomas Meier (Fotos)

Der Ukraine-Krieg lässt die Energiekosten in die Höhe schnellen. Die Inflation steigt. Das Problem treibt auch die Schweizer Politik um. Die SVP nimmt sich unsere Nachbarländer zum Vorbild, welche die Spritpreise senken. In einer von der Volkspartei durchgeboxten ausserordentlichen Session entscheiden nächste Woche Ständerat und Nationalrat über Vorstösse, die beispielsweise eine Halbierung der Treibstoffsteuern oder eine Erhöhung des Pendlerabzugs fordern.

Jetzt erhöht die Partei den Druck auf ihre bürgerlichen Kollegen. Beim Treffen mit Blick legt SVP-Chef Marco Chiesa (47) ein Inserat auf den Tisch, das in den nächsten Tagen publiziert werden soll. «FDP und Mitte lassen Gewerbe und Mittelstand bluten!», heisst es in grossen Lettern unter den Konterfeis von FDP-Chef Thierry Burkart (46) und Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59).

Blick: Herr Chiesa, Sie packen gegen FDP und Mitte den Zweihänder aus. Glauben Sie wirklich, dass Sie diese für eine Benzinpreissenkung ins Boot holen können, wenn Sie ihre Präsidenten derart attackieren?
Marco Chiesa: Ach, das ist doch bloss eine kleine Hilfestellung. Thierry Burkart verdient als Präsident des Nutzfahrzeugverbands Astag jährlich über 100'000 Franken, da erwarte ich von ihm, dass er sich für die Transportbranche einsetzt. Bei der Mitte ist nicht nur Gerhard Pfister in der Pflicht, der ja von sich behauptet, er setze sich für die Familien ein. Es sind auch Fabio Regazzi als Gewerbeverbandspräsident oder Markus Ritter als Bauernverbandspräsident. Wir erwarten jetzt eine breite Unterstützung von FDP und Mitte – alles andere wäre Wischiwaschi-Politik. FDP und Mitte müssen nun Farbe bekennen!

Parteipräsident Marco Chiesa und seine SVP kämpfen für tiefere Spritpreise. Sie fordern mindestens eine Halbierung der Treibstoffsteuern, aber auch eine Erhöhung des Pendlerabzugs.
Foto: Thomas Meier
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Die hohen Energiekosten machen allen Parteien Sorgen. Auch FDP und Mitte fordern eine Entlastung.
Nur halbherzig! Beide Parteien sind noch immer sehr zögerlich. Im Volksmund heisst es: «Das Bessere ist der Feind des Guten.» Man kann aber nicht immer auf eine noch bessere Lösung hoffen und die vorliegende deshalb ablehnen. So erreicht man gar keine Lösung.

Was, wenn sie nicht mitziehen?
Der Benzinpreis – mancherorts zahlt man über 2.30 Franken für einen Liter – ist ein riesiges Problem für unsere Bevölkerung. Wir werden den Druck deshalb aufrechterhalten und im Parlament nochmals nachstossen, wollen aber auch die Bevölkerung mobilisieren. Mit einer Petition, einer Kundgebung oder allenfalls auch einer Volksinitiative. Nur würde eine Volksinitiative zu lange dauern, die Leute spüren aber jetzt die Kosten im Portemonnaie. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Nächste Woche haben wir die Gelegenheit dazu!

Offenbar kann die Bevölkerung den Benzinpreis ganz gut verschmerzen, betrachtet man den über zehn Kilometer langen Gotthard-Stau an Pfingsten.
Man muss die ganze Problematik betrachten. Es trifft nicht nur den einzelnen Autofahrer, sondern die ganze Lieferkette. Teureres Benzin bedeutet teurere Transportkosten und damit teurere Güter. Hinzu kommen auch höhere Heizkosten. Die Energiekosten treiben die Inflation an. Alles wird teurer! Italien, Frankreich oder Deutschland haben bereits gehandelt und die Spritpreise deutlich gesenkt. Wir hinken hinterher und müssen jetzt handeln. Sonst zahlen der Mittelstand, die ländliche Bevölkerung und das Gewerbe die Zeche. Und auch die Tankstellenbetreiber darf man nicht vergessen!

Wieso die Tankstellenbetreiber?
Diese leiden besonders in den Grenzregionen. Die Einheimischen fahren zum Tanken über die Grenze. Die Grenzgänger – im Tessin sind es 75'000 – tanken zu Hause statt bei uns. Und auch Durchreisende machen erst nach statt vor der Grenze wieder einen Tankstopp. Diese Leute fehlen auch im Tankstellen-Shop oder -Café.

Ihr Rezept ist eine Senkung der Mineralölsteuern um mindestens die Hälfte. Das macht rund 40 Rappen pro Liter aus. Das bringt doch nichts.
Die Inflation wird durch die Energiepreise angetrieben. Mit einer Senkung lösen wir das Problem nicht vollständig, aber wir vermindern es und sorgen zumindest für eine Stabilisierung. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, wird die Bevölkerung das immer stärker spüren. Dann droht uns in der Schweiz eine Gelbwesten-Bewegung wie in Frankreich. Der Bundesrat, der nichts unternimmt, unterschätzt die Lage völlig.

Über die Mineralölsteuern fliessen rund 4,5 Milliarden Franken zum Bund – über drei Milliarden davon in die Strassenkasse. Wenn ein Grossteil davon fehlt, fahren wir zwar günstiger Auto, aber auf immer schlechteren Strassen.
1,5 Milliarden fliessen von der Strasse in die allgemeine Bundeskasse. Damit können wir die Autofahrer entlasten. Zudem wollen wir eine auf maximal vier Jahre befristete Senkung. Aber gute Strassen nützen ja auch nichts, wenn uns das Geld für die Tankfüllung fehlt.

Das Problem sind doch die Mineralölkonzerne, die mit hohen Margen den grossen Reibach machen. Da wäre eine Krisengewinn-Steuer der richtige Ansatz.
Nein, sonst müssten auch Verluste ausgeglichen werden. Der Wettbewerb funktioniert. Wenn wir die Treibstoffsteuern beispielsweise um 30 Rappen senken, dann muss das auch vollständig an die Bevölkerung weitergegeben werden. Da werden wir wachsam sein.

Eine Alternative wäre ein 9-Franken-Ticket für den öffentlichen Verkehr – wie in Deutschland. Dann ist der Benzinpreis kein Problem.
Wenn man in Zürich lebt und nur das Tram braucht, hat man sowieso kein Problem. Ein solches Ticket funktioniert für die Randregionen aber nicht, weil viele Pendler auf ein Auto angewiesen sind. Den Gewerblern bringt es ebenfalls nichts. Ein Elektriker oder Schreiner kann mit seinem ganzen Material nicht einfach auf den ÖV umsteigen. Und ehrlich gesagt, wir buttern bereits genug Geld in den ÖV.

Zurück zur Inflation: Ihr Bundesrat Guy Parmelin schlägt Lohnerhöhungen vor, um die Teuerung auszugleichen. Unterstützen Sie diese Forderung?
Der grösste Lohndruck entsteht aufgrund der masslosen Zuwanderung vor allem durch die Personenfreizügigkeit – als Tessiner weiss ich, wovon ich spreche. Höhere Löhne hängen von Produktivität, Qualität und Innovation ab. Wenn jetzt mit der Teuerung die Arbeitskosten steigen, werden Lohnerhöhungen schwierig. Aber natürlich: Höhere Löhne sind immer ein Ziel.

Was sind Ihre Rezepte – neben den Energiekosten –, um die Inflation zu stoppen?
Es braucht die Nationalbank, um die Preisentwicklung zu stabilisieren. Und – ich muss es wiederholen – die Energiekosten müssen sinken. Das ist der Haupttreiber, bei dem wir selber aktiv eingreifen können.

Bei den Löhnen ist ein Teuerungsausgleich möglich. Was aber ist mit den Renten? Die Pensionskassen müssen gar nichts anpassen, wenn sie nicht wollen.
Wir müssen jetzt vor allem die AHV sichern. Darum ist es völlig unverständlich, dass die Linken und Grünen die Reform der Altersvorsorge blockieren. Die bürgerlichen Parteien haben eine sehr gute Vorlage ausgearbeitet: Rentenalter 65 für alle und dazu grosszügige Ausgleichsmassnahmen für die betroffenen Frauen-Jahrgänge.

Und bei der Reform der beruflichen Vorsorge werden Sie im Ständerat für eine schlanke Variante plädieren?
Auch hier müssen wir die Renten unbedingt sichern. Die Leute müssen wissen, woran sie sind. Wir verkaufen keine Träume!

In einer Volksabstimmung hat das aber keine Chance.
Es gehen so viele Menschen in Rente. Da ist etwas anderes schlicht nicht finanzierbar. Wir müssen es versuchen.

Bald zwei Jahre SVP-Chef

Im August 2020 wurde der Tessiner Marco Chiesa (47) zum SVP-Chef gewählt. Sein politischer Werdegang begann in Lugano TI, führte ihn 2007 in den Tessiner Grossrat und 2015 in den Nationalrat. Vier Jahre später wurde er Ständerat. Der Betriebswirt leitete früher ein Altersheim und ist heute als Gesellschafter der Treuhand- und Beratungsfirma Ticiconsult Sagl aktiv. Chiesa lebt in Ruvigliana TI nahe Lugano, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Im August 2020 wurde der Tessiner Marco Chiesa (47) zum SVP-Chef gewählt. Sein politischer Werdegang begann in Lugano TI, führte ihn 2007 in den Tessiner Grossrat und 2015 in den Nationalrat. Vier Jahre später wurde er Ständerat. Der Betriebswirt leitete früher ein Altersheim und ist heute als Gesellschafter der Treuhand- und Beratungsfirma Ticiconsult Sagl aktiv. Chiesa lebt in Ruvigliana TI nahe Lugano, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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