«Ich will ins Bundeshaus»
Mass-voll-Rimoldi kandidiert für den Nationalrat – und seine Chancen stehen gut

Corona-Skeptiker treten in mehreren Kantonen zur Wahl an. Mass-voll spannt mit den Freunden der Verfassung zusammen – und bläst zum Sturm aufs Parlament. In Zürich kandidiert Nicolas Rimoldi. Seine Chancen auf einen Nationalratssitz sind intakt.
Publiziert: 09.04.2023 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2023 um 09:11 Uhr
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Fast drei Jahre lang kämpften die Massnahmengegner auf der Strasse gegen die Corona-Einschränkungen – nun streben sie ins Zentrum der Macht. Und wie bereits während der Pandemie marschiert einer von ihnen voran: der selbst ernannte Freiheitskämpfer Nicolas A. Rimoldi (28), Anführer der Gruppe Mass-voll.

Das Aushängeschild der Szene kandidiert im Kanton Zürich für den Nationalrat. Auf Platz eins einer eigenen Liste. Gegenüber SonntagsBlick bestätigt er: «Ja, ich stelle mich zur Wahl. Ich will ins Bundeshaus.»

Noch im Oktober 2022 schloss Rimoldi den Gang nach Bern kategorisch aus. Bei einer Demo in Winterthur ZH schrie er ins Mikrofon: «Mass-voll ist und bleibt ausserparlamentarische Opposition. Es wird keine Wahllisten geben. Und ich selber, ich kandidiere nicht!» Man könne ein System nicht bekämpfen, so Rimoldi, «und dann selbst in diesem Kuchen drin sein».

Nicolas A. Rimoldi demonstriert vor dem Bundeshaus. Bald schon will er im Bundeshaus politisieren.
Foto: keystone-sda.ch
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Referendum zustande gekommen

Heute sagt er: «Als Bürgerrechtler fühle ich mich verpflichtet, mich für das Wohl des Landes zu engagieren.» Daher trete er im Herbst zur Wahl an. Er wolle garantieren, dass Grundrechte bedingungslos gelten «und nicht wie bei Corona oder der Credit Suisse ständig undemokratisch mit Notrecht die Verfassung gebrochen wird».

Die Kampfansage von Mass-voll kommt am Ende einer für Rimoldi und seine Mitstreiter turbulenten Woche. Am Dienstag teilte die Bundeskanzlei mit, das Referendum gegen die Verlängerung des Covid-Gesetzes sei zustande gekommen. Für Mass-voll und die Freunde der Verfassung, die es gemeinsam ergriffen hatten, ist dies ein bedeutender Erfolg.

Ebenfalls diese Woche stand Rimoldi schweizweit in den Schlagzeilen, nachdem Grünen-Nationalrätin Meret Schneider auf Twitter gewitzelt hatte: «In Notwehr erstech ich den Rimoldi auch mit dem Sackmesser.» Obwohl dies als Scherz gemeint war, zeigte er die Grüne wegen Drohung an. Nun könnten beide schon bald gemeinsam im Parlament sitzen. Rimoldis Chancen sind intakt.

Ex-SPlerin für den Kanton Thurgau

Rein rechnerisch braucht es für einen Nationalratssitz im Kanton Zürich 2,8 Prozent der Stimmen. Bei den kantonalen Wahlen vom Februar holte Aufrecht, eine wie Mass-voll aus Massnahmengegnern entstandene Gruppierung, 2,2 Prozent. Anders als Aufrecht jedoch sind Mass-voll und vor allem Rimoldi deutlich bekannter.

Die Aktivistinnen und Aktivisten um Rimoldi drängen nicht nur im Kanton Zürich ins Parlament. SonntagsBlick weiss: Die Bewegung tritt gleich in mehreren Kantonen an – teils mit prominenten Figuren.

Im Thurgau kandidiert Barbara Müller, die dort seit mehr als zehn Jahren im Kantonsrat politisiert. Nachdem sie an Corona-Demos als Rednerin aufgetreten war und sich im Zug geweigert hatte, eine Maske zu tragen, wurde sie im März 2022 aus der SP ausgeschlossen. Auf Anfrage sagt sie: «Ich teile meine Werte und meine Grundhaltung mit Mass-voll. Wir sind keine Partei, sondern eine Bewegung. Weder links noch rechts.»

Rimoldi mit aussichtsreichster Kandidatur

Im Kanton Waadt spannt Mass-voll mit der Juristin Michelle Cailler zusammen, die an vorderster Front gegen das Covid-Gesetz kämpft, und im Aargau mit Roland Bühlmann, Co-Präsident der Freunde der Verfassung. Der sagt: «Es braucht frischen Wind in Bern.» Detailfragen zu seiner Kandidatur seien zwar noch offen. Die Zusammenarbeit der Freunde der Verfassung mit Mass-voll habe sich aber bewährt.

Im Hintergrund führen die Massnahmengegner letzte Gespräche über den Namen ihrer Wahlliste. Laut Beteiligten läuft es auf eine Bezeichnung hinaus, die beide Organisationen nennt: Mass-voll und Freunde der Verfassung.

Am aussichtsreichsten bleibt die Kandidatur von Rimoldi, dem Wortführer der Corona-Skeptiker, der während der Pandemie nationale Bekanntheit erlangte, der den Bundesrat ins Gefängnis stecken wollte und vom «Volksaufstand» gegen die «faschistischen Zwangsmassnahmen» fantasierte.

Corona-Protestler sind nicht geeint

Im November 2022 verurteilte ihn das Luzerner Bezirksgericht unter anderem wegen der Teilnahme an unbewilligten Demonstrationen und der Hinderung einer Amtshandlung. Rimoldi zog das Urteil weiter und twitterte: «Unter dem verfassungsfeindlichen Covid-Regime ist dieses Schandurteil eine Auszeichnung, ein Lob, eine Ehre!»

Heute betont der Mass-voll-Anführer, das Thema Corona sei nur ein Teil seines Aktivismus. Daneben setze er sich gegen Überwachung ein, für Steuersenkungen, «den Rückbau der überdimensionierten und überbezahlten Verwaltung» sowie für die Souveränität der Schweiz. Tatsächlich politisierte Rimoldi schon vor der Corona-Pandemie. Und eckte schon damals an. 2021 trat er aus der FDP aus, nachdem sie sich für das Covid-Zertifikat ausgesprochen hatte. Er hatte sich bereits zuvor mit der Partei überworfen.

Noch unklar ist, ob Mass-voll Listenverbindungen mit anderen Parteien eingehen wird. Laut Rimoldi sei man «offen dafür». Er sagt aber auch: «Wir sind keine Stimmenbeschaffer für andere Parteien.»

Zum Verhängnis könnte Mass-voll werden, dass die Szene der Corona-Protestler nicht geeint zur Wahl antritt.

Im Kanton Zürich etwa will neben Mass-voll auch Aufrecht kandidieren. Die Gruppierungen könnten einander Stimmen wegnehmen – und sich so am Ende selbst kannibalisieren.

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