Im Zweifel gegen die Masseneinwanderungs-Initiative
Vier Richter auf Crashkurs

Bundesrichter in Lausanne haben das Freizügigkeitsabkommen höher gestellt als das Umsetzungsgesetz zur Masseneinwanderungs-Initiative. Und das ist nicht das einzige Problem, dass Politikern zu schaffen macht.
Publiziert: 30.06.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 04:20 Uhr
Foto: Gaetan Bally
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Nico Menzato

Der Austritt Grossbritanniens aus der EU hat die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Bundesbern die Masseneinwanderungs-Initiative eigenständig umsetzen muss. Ebenfalls gestiegen ist unter Parlamentariern die Hoffnung, die EU sei mit dem Brexit beschäftigt und würde eine allfällige Verletzung des Personenfreizügigkeitsab­kommens (FZA) nicht in aller Schärfe ahnden – und das Abkommen auch nicht kündigen.

Nur, die Politiker haben ein weiteres Problem: die Bundesrichter in Lausanne! Diese haben in einem auch unter Juristen höchst umstrittenen Urteil vom letzten November entschieden, dass das Freizügigkeitsabkommen höher gestellt ist als das Umsetzungsgesetz zur Masseneinwanderungs-Initiative. Konkret: Ein EU-Bürger, der einen Job gefunden hat, aber nicht in die Schweiz einwandern darf und deshalb vor Gericht zieht, soll in jedem Fall recht bekommen – ganz egal, was das Schweizer Gesetz dann vorschreibt.

Mit vier zu einer Stimme hat die zweite öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts dieses brisante Verdikt gefällt, wie Quellen bestätigen. Verantwortlich sind die Richter Andreas Zünd (SP),

Florence Aubry Girardin (Grüne), Yves Donzallaz (SVP) und Stephan Haag (GLP). Georg Seiler (SVP) stemmte sich vergebens dagegen. 

Scharfe Kritik

SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt kri­tisiert dieses Urteil scharf: «Die Richter haben dem Parlament unnötigerweise Knüppel zwischen die Beine geworfen.» Die Handlungsfreiheit des Parlaments sei nun stark ein­geschränkt, was eine Lösung nach dem Brexit massiv erschwere.

Auch inhaltlich kann Vogt das Urteil nicht nachvollziehen. «Es widerspricht der bald 50-jährigen sogenannten Schubert-Praxis, wonach Bundesgesetze Vorrang haben, sofern sie vom Gesetzgeber ganz bewusst so formuliert werden, dass sie dem Staatsvertrag zuwiderlaufen», so Vogt. Es sei auch intuitiv logisch, dass neuere Paragrafen Vorrang hätten vor den älteren. Dies müsse auch bei der Masseneinwanderungs-Initiative so sein, verlangt der Professor.

Die Lausanner Richter sahen dies anders. Ob das Urteil jedoch Bestand hat, ist fraglich. Gut möglich nämlich, dass das Bundesgericht früher oder später in corpore über diesen Grundsatzentscheid befinden muss. 

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