«Es kann nicht unendlich viel mehr gearbeitet werden»
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Personalverband zur Belastung:«Es kann nicht unendlich viel mehr gearbeitet werden»

Brisante Pläne der Städte
Keine Päckli mehr vor die Haustür!

Werden die Pläne der Stadt verwirklicht, steht das Päckli nicht mehr vor der Tür, wenn die Bernerin nach Hause kommt. Und der Berner kann das Paket auch nicht mehr daheim in Empfang nehmen, wenn er Homeoffice macht. Künftig heisst es: Ab zur Päcklistation!
Publiziert: 16.11.2022 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2022 um 18:41 Uhr
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Das Handy klingelt. «Ich wär dann in fünf Minuten da», sagt eine unbekannte Stimme. «Wo da? Wer sind Sie überhaupt?» «Ich bin vom Logistiker XY und bringe Ihr Päckli. In wenigen Minuten bin ich bei Ihnen zu Hause in Bern», erklärt die Unbekannte. «Ich aber nicht. Ich bin im Tessin.»

Die gute Nachricht: Solche Gespräche soll es bald nicht mehr geben. Die schlechte: Besser wird es nicht. Von vorn: Die Stadt Bern zählte 2019 rund 20'000 Pakete am Tag. 2040 könnten es laut Prognosen bis zu dreimal mehr sein, also 60'000 Stück. Um zu diskutieren, wie auf diese Entwicklung reagiert werden soll, trifft sich die Stadtverwaltung regelmässig mit Vertretern der Logistikbranche zu sogenannten Güterverkehrsrunden.

Mit dem Hometrainer aufs Velo

Laut Teilnehmern und Unterlagen, die Blick vorliegen, wird dabei überlegt, die Päckli-Zustellung an die Haustür abzuschaffen. Denn die links-grüne Regierung der Bundesstadt stört sich am Verkehr, den die Paketflut auslösen könnte. Sie befürchtet, dass Logistiker wie Planzer, DPD, DHL oder die Post zwischen Zytglogge-Turm und Bären-Park Staus verursachen.

Fertig Hauszustellung. Geht es nach den Plänen der Stadt Bern, bringt der Paketbote die Päckli künftig nicht mehr zum Haus.
Foto: Keystone
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So prüft Bern, verteilt übers Stadtgebiet mehrere Päcklistationen einzurichten, die allen Logistikern offen stünden. In diesen auf die Quartiere verteilten Stationen sollen Post und Co. die Pakete abladen. Und statt dass Madame de Meuron und Herr Gnägi ihr Päckli bequem an der Tür entgegennehmen können, sollen sie die bestellten «Appenzeller Alpenbitter» oder den Jahresbedarf an Parfüm aus dem französischen Grasse künftig selbst abholen.

Für alle, die ein Auto besitzen, mag es ja angehen, sich in den PW zu setzen und zur Päcklistation zu fahren. Weniger Verkehr gibt das aber kaum, und umweltfreundlich ist es auch nicht. Doch gerade in Städten wie Bern haben aber viele gar kein Motorfahrzeug mehr. Und wer mit dem Velo ins Matte-Quartier hinunter muss, um den neuen Hometrainer abzuholen, hat ein Problem.

«Gestärkte Aufenthaltsqualität»

Auf Blick-Nachfrage bestätigt die Stadt Bern die Diskussion über den Mehrverkehr wegen des erwarteten Päckli-Booms und räumt ein: «Ein möglicher Lösungsansatz in dicht bebauten urbanen Quartieren könnte sein, die Lieferfahrten wirtschaftlich und ökologisch verträglicher zu gestalten, indem zentrale Stellen anstelle sämtlicher Hausadressen angefahren würden», so Sprecher Michael Sahli.

Päcklistationen führten zu einer Verkehrsreduktion und «stärkten somit die Aufenthaltsqualität» sowie das Sicherheitsempfinden der Bewohnerinnen und Bewohner. Andererseits könnten für die Logistiker auch wirtschaftlich interessant sein, weil diese nicht mehr alle Häuser anfahren und Berns Einwohner dann selbst schauen müssten.

Bundesbern muss entscheiden

Die Abschaffung der Hauszustellung wäre jedoch ein Eingriff in den gesetzlich geregelten Grundversorgungsauftrag der Post. Die Stadt Bern gibt denn auch zu, dass es für diesen Abbau des Service public einer Änderung des Postgesetzes bräuchte.

Umso heikler ist es, dass auch die Schweizerische Post bei den Güterverkehrsrunden mit am Tisch sitzt. Denn weder die Stadt Bern noch ein Staatsbetrieb wie die Post haben es in der Hand, Bundesgesetze zu ändern. Dafür ist in Bern eine andere Adresse zuständig: das Bundeshaus.

Post will weiter an die Tür liefern

Auf Anfrage betont der gelbe Riese: «Die Post schätzt den direkten Kontakt mit ihren Kunden sehr und möchte die Hauszustellpflicht nicht abschaffen.» Und auch die Postbotinnen und -boten schätzten den täglichen Umgang mit der Kundschaft. Gleichzeitig räumt die Post aber ein, man diskutiere in den Berner Güterverkehrsrunden solche «Zukunfts-Szenarien».

Und: Wie Bern Auskunft gibt, steht man wegen der Päcklistationen auch mit anderen Städten in Kontakt. Berns Überlegungen korrespondierten gut mit jenen in Zürich, über die der «Tages-Anzeiger» und die NZZ jüngst berichteten. In Zürich soll nämlich in einem 18-monatigen Pilotprojekt die Akzeptanz der sogenannten «Salü-Boxen», wie die Stationen dort heissen, eruiert werden – vom Adieu der Hauszustellung redet dort offiziell aber noch niemand.

Gar Fahrverbot ist denkbar

In Bern könnte die Einführung der Päcklistationen noch gravierendere Folgen haben: In den Unterlagen der Stadt ist gar von «Fahrverbot in Teilquartieren» die Rede. Solche Überlegungen dürften viele Anwohner zusätzlich ärgern. Sie sollen die Pakete künftig zwar in der Päcklistation abholen müssen, aber ob sie mit dem Auto auch dorthin kommen, ist fraglich.

Die Planspiele um den Service-public-Abbau kosten die Stadtberner Steuerzahler im Übrigen fast 100'000 Franken – wenn sie weniger Geld für Onlinebestellungen in der Tasche haben, entschärft sich das Päckli-Problem vielleicht ja von selbst.

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