Infektiologe Jan Fehr warnt
«Wir brauchen eine Impfquote von mindestens 80 Prozent»

Der Infektiologe Jan Fehr erklärt im Interview, weshalb er kostenpflichtige Tests ablehnt, das Covid-Zertifikat gerne öfter einsetzen würde und Bundesrat Berset widerspricht.
Publiziert: 11.08.2021 um 08:19 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2021 um 08:28 Uhr
Interview: Ladina Triaca

Blick: Herr Fehr, jeder zweite Schweizer ist inzwischen vollständig gegen Corona geimpft. Ist diese Impfquote so schlecht?
Jan Fehr: Es reicht nicht. Wir brauchen eine Impfquote von mindestens 80 Prozent. Denn die Ansteckungen nehmen wegen der Ferienrückkehrer und der aggressiveren Delta-Variante wieder zu. Und die Spitaleinweisungen steigen zwar nicht mehr ganz so stark, doch eine Überlastung der Spitäler ist nach wie vor nicht ausgeschlossen.

Gesundheitsminister Alain Berset sagte am Wochenende, die Schweiz habe es geschafft, allen Menschen eine Impfung anzubieten. Mehr könne eine Regierung nicht tun.
Sehr viel wurde schon geleistet. Aber es reicht nicht. Ich als Arzt lege dem Patienten auch nicht nur eine Pille auf den Tisch und sage, jetzt hat er alles, was er braucht. Ich muss dem Patienten erklären, wofür die Pille gut ist, offene Fragen beantworten und sie möglichst in seine Reichweite legen. Wir müssen also mehr tun. Schliesslich muss der Staat ja dann auch wieder aufkommen für die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen einer Pandemie.

Sie meinen, der Bundesrat habe zu wenig unternommen, um die Menschen zur Impfung zu animieren?
Wir werden uns später fragen müssen, ob wir alles gemacht haben, um die Impfquote zu erhöhen. Meine Antwort lautet bislang noch: Wir können noch mehr tun.

Infektiologe Jan Fehr sagt, jetzt sei nicht der Zeitpunkt, Tests kostenpflichtig zu machen.
Foto: Keystone
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Dem Virus auf der Spur

Jan Fehr (48) ist Infektiologe und Leiter des Departements Public and Global Health an der Universität Zürich. Er hat mit seinem Team Anfang Jahr das erste Covid-Impfzentrum im Kanton Zürich in Betrieb genommen und ist Teil des Forschungsteams des Projekts «Corona Immunitas», das die Ausbreitung des Coronavirus in der Schweiz untersucht.

Jan Fehr (48) ist Infektiologe und Leiter des Departements Public and Global Health an der Universität Zürich. Er hat mit seinem Team Anfang Jahr das erste Covid-Impfzentrum im Kanton Zürich in Betrieb genommen und ist Teil des Forschungsteams des Projekts «Corona Immunitas», das die Ausbreitung des Coronavirus in der Schweiz untersucht.

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Was müsste man denn aus Ihrer Sicht tun – die Menschen zur Impfung zwingen?
Nein, wir können das anders. Wir müssen mit den Leuten ins Gespräch kommen und möglichst niederschwellige Impfangebote schaffen. Dazu gehören zum Beispiel Impfbusse, die in die Gemeinden fahren, und motivierte Teams, die dorthin gehen, wo die Leute zusammenkommen, wie zum Beispiel in Vereinen. Ich realisiere, dass die Debatte manchmal viel zu stark ideologisch aufgeladen ist: Viele, die jetzt noch nicht geimpft sind, sind nicht dagegen, sondern hatten sich einfach noch nicht damit auseinandergesetzt und keine «günstige Gelegenheit».

Könnte der Bund die Menschen allenfalls auch zur Impfung animieren, indem er die Kosten für die Schnelltests nicht mehr übernehmen würde – so, wie es etwa Bundespräsident Guy Parmelin vorgeschlagen hat?
Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, die Tests kostenpflichtig zu machen. Sonst ist zu befürchten, dass weniger getestet wird. Und das kann gerade im Moment, wo viele Menschen aus den Ferien zurückkehren, nicht unser Ziel sein. Wir würden Gefahr laufen, den Überblick über die Pandemie zu verlieren, und weniger Leute wüssten, dass sie infiziert sind.

Sind Antigen-Schnelltests überhaupt sicher genug? Wäre es nicht sinnvoller, man würde nur noch PCR-Tests verwenden?
PCR-Tests sind zuverlässiger. Aber es wäre zurzeit wohl schlicht nicht umsetzbar, nur noch PCR-Tests anzuwenden. Diese Tests sind kostspieliger und brauchen auch sonst mehr Ressourcen. Und: Während Sie bei einem Schnelltest nach 20 bis 30 Minuten ein Resultat haben, warten Sie bei einem PCR-Test 24 bis 36 Stunden.

In unseren Nachbarländern Frankreich und Italien ist ein Covid-Zertifikat Pflicht, wenn man im Restaurant essen will. Was halten Sie von einer Ausweitung der Zertifikatspflicht in der Schweiz?
Ich muss sagen, ich bin etwas enttäuscht: Seit ich mein Zertifikat habe, musste ich es noch nie vorweisen. Und ich lebe nicht isoliert. Das Zertifikat ist eine Chance für uns, Freiheit zurückzugewinnen. Wir sollten es nicht ungenutzt lassen.

Das heisst, Sie sind dafür, dass man das Zertifikat in Restaurants und Fitnesszentren vorweisen muss?
Das muss die Politik entscheiden. Aber es kann nicht sein, dass wir extra ein Zertifikat geschaffen haben und es dann nicht zum Einsatz kommt. Dann haben wir es umsonst gemacht.

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