Jetzt redet Ruch
«Frau Amherd war nicht bereit zu kämpfen»

Letztes Jahr stolperte der Schweizer Botschafter Jean-Daniel Ruch über Sexgerüchte. Ein Gespräch über Kontakte zur Hamas, die Schweizer Neutralität – und Exzesse von Diplomaten.
Publiziert: 26.05.2024 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2024 um 09:52 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Blick: Letztes Jahr wurde das Private politisch: Wegen Ihres Sexlebens sollen Sie erpressbar gewesen sein. Deswegen wurden Sie nicht Staatssekretär für Sicherheitspolitik.
Jean-Daniel Ruch: Das ist Unsinn. Ich war und bin nicht erpressbar. Hätte mich jemand erpressen wollen, hätte er alles getan, damit ich Staatssekretär werde. Dann hätte er mich in der Hand gehabt. Ich wurde vielmehr Opfer einer Schmutzkampagne.

Orchestriert von SVP-Nationalrat Alfred Heer, wie Sie in Ihrem Buch schreiben?
Im Buch nenne ich keinen Namen. Ich spreche von einem SVP-Nationalrat, mit dem ich gewisse Gemeinsamkeiten teile – auch wenn ich keine Sympathien für die SVP habe. Ich gehöre keiner Partei an. Ich bedaure, dass dieser Nationalrat nicht sieht, was ich alles in Israel gemacht habe – gerade im Bereich der Innovation.

Befürworten Sie wie Herr Heer die Neutralitäts-Initiative?
In Sachen Neutralität sollte man kohärent sein. Man kann nicht eine neutrale Haltung im Ukraine-Konflikt verlangen, nicht aber in Gaza. Die Schweiz ist nicht Norwegen oder Katar, die sich mit viel Geld «soft power» kaufen. Ohne Neutralität ist die Schweiz wie Luxemburg, nur mit Schokolade und Bergen. Die Neutralität schränkt unsere Aussenpolitik nicht ein, sondern vergrössert unseren Spielraum.

Jean-Daniel Ruch hätte Viola Amherds Staatssekretär für Sicherheitspolitik werden sollen.
Foto: keystone-sda.ch
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Warum haben Sie zu VBS-Chefin Viola Amherd nicht gesagt: «An den Gerüchten ist nichts dran, lassen Sie uns kämpfen!»
Frau Amherd war nicht bereit, zu kämpfen. Ich hatte ihr drei Optionen vorgeschlagen: juristische Schritte, die Lawine weiterrollen lassen oder meinen Rücktritt. Frau Amherd hat sich für mein Rücktrittsangebot entschieden.

Schmerzt Sie das?
Nein. Ich geniesse meine Freiheiten und das Leben in vollen Zügen.

Persönlich

Jean-Daniel Ruch (61) stammt aus Moutier BE. Er studierte Internationale Beziehungen in Genf und wurde 1992 Diplomat. Er arbeitete für Carla Del Ponte, die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, und war später Schweizer Botschafter in Belgrad, Tel Aviv und Ankara. Ruch ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

Jean-Daniel Ruch (61) stammt aus Moutier BE. Er studierte Internationale Beziehungen in Genf und wurde 1992 Diplomat. Er arbeitete für Carla Del Ponte, die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, und war später Schweizer Botschafter in Belgrad, Tel Aviv und Ankara. Ruch ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

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Was bleibt von den Gerüchten an Ihnen hängen?
Nichts, was mich interessiert. Es gibt kein administratives Verfahren gegen mich, kein Strafverfahren, keine Klage. Es ist eine Intrige gewesen, um mich als Staatssekretär zu verhindern.

Sie erzählen in Ihrem Buch vom Nachtleben in Belgrad: Eines Abends tauchte eine russische Delegation mit Escortgirls auf. Wie viel Exzess braucht die Diplomatie?
Das Diplomatenleben ist langweiliger, als Sie denken. Auf Botschaftspartys gibt es kein Kokain – zumindest habe ich keines gesehen. Ich war Botschafter in Belgrad, Tel Aviv und Ankara. Das sind anspruchsvolle Posten. Das packen Sie nicht, wenn Sie ungesund leben.

Zum Jahresbeginn waren Sie in einem Kloster auf Korsika. Was haben Sie den Mönchen gebeichtet?
Als Protestant beichte ich nicht (lacht). Ich hatte sehr gute Gespräche mit einem Mönch, der früher Topbanker in Zürich war. Er war so angewidert von der Finanzbranche, dass er lieber Mönch wurde. Er empfahl mir, keinen Rachefeldzug zu führen, sondern barmherzig zu sein.

Barmherzig wem gegenüber?
Gegenüber allen, die mich in den Dreck zogen.

Als Staatssekretär könnten Sie nun die Ukraine-Friedenskonferenz aufgleisen.
Natürlich hätte mich das gereizt. Aber ich mache andere spannende Dinge, zum Beispiel mein Buch!

Am Freitag wurde vermeldet, dass Russland zu einem Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinien bereit sei. Ihre Einschätzung?
Ein Waffenstillstand sollte Priorität Nummer eins sein. Es bringt nichts, den Krieg weiterzuführen. Man sollte Putin auf die Probe stellen und sein Angebot annehmen.

Aber ein Waffenstillstand würde doch Putins Feldzug belohnen!
Putin ist sehr stark. Ich kenne keinen Militärexperten, der es für möglich hält, dass die Ukraine alle Gebiete zurückerobert – inklusive der Krim. Ein Waffenstillstand heisst nicht, die völkerrechtswidrige Annexion gutzuheissen, sondern würde Raum für Verhandlungen schaffen und vielen Müttern den Tod ihrer Söhne ersparen.

Die Nato argumentiert: Putin ist nicht zu trauen.
Das ist reine Ideologie. Wollen wir das Blutvergiessen unendlich lang fortsetzen? Vielleicht hat Putin längst seine wahren militärischen Ziele erreicht.

Laut einem Bloomberg-Bericht wird US-Präsident Joe Biden nicht zum Friedensgipfel in die Schweiz reisen. Würde damit der Gipfel scheitern?
Ich sehe das nicht so dramatisch. Wichtig ist, dass die Leute, die kommen, eine echte Diskussion führen und neue Akzente setzen können.

Welche Schlagzeile wünschen Sie sich nach dem Gipfel?
Ein Schritt in Richtung Frieden.

Ist das nicht zu wenig ambitioniert?
Mehr ist nicht zu erwarten. Es wird nach der Konferenz keinen Frieden geben – ein Schritt in Richtung Frieden könnte schon sehr viel sein. Ich beobachte mit Sorge, dass Washington nun Selenski erlauben will, mit amerikanischen Waffen das russische Territorium anzugreifen. Das wäre eine zusätzliche Eskalation, die uns noch weiter vom Frieden entfernt.

Sie schwärmen in Ihrem Buch von Carla Del Ponte und Micheline Calmy-Rey. Von Ignazio Cassis halten Sie nicht so viel, oder?
Bundesrat Cassis und seine Frau waren zwei Nächte bei mir in Tel Aviv. Es war sehr angenehm. Wir haben interessante Diskussionen geführt – in einer lockeren Atmosphäre mit einem Glas israelischen Rotweins. Politisch war zu Beginn sein Motto: Aussenpolitik ist Innenpolitik. Das hat er konsequent umgesetzt – mit dem Ergebnis, dass Interessengruppen und Lobbys viel mehr Einfluss auf die Aussenpolitik haben als früher.

Sie behaupten, die Schweizer Wirtschaft habe von Ihren Hamas-Kontakten profitiert. Wie meinen Sie das?
Dänemark hat wegen Boykott-Aufrufen nach den Mohammed-Karikaturen ein Prozent des Bruttosozialprodukts eingebüsst. Wir konnten wegen unserer guten Beziehungen zur islamischen Welt, auch zur Hamas, verhindern, dass das Minarett-Verbot zu Schweizhass führt. Wir haben eine Pressemitteilung entworfen, die die Hamas über Imame verbreiten liess. Rolex, Victorinox und Co. haben in der arabischen Welt nicht an Beliebtheit eingebüsst.

In Ihrem Buch sehen Sie Israel als «Apartheid-System». Geht das nicht zu weit?
Das sage ich nicht so klar. Aber: In Israel waren Hebräisch und Arabisch gleichberechtigte Landessprachen. 2018 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, welches das Arabische degradiert. Stellen Sie sich vor, dass Französisch keine offizielle Schweizer Amtssprache mehr wäre!

Worauf wollen Sie hinaus?
Es gibt so viele Arabischsprachige in Israel wie Romands in der Schweiz. Schlimmer ist die Lage im Westjordanland, wo es zwei verschiedene Rechtssysteme gibt für die Siedler auf der einen Seite und die Palästinenser, die immer noch unter der Besatzung leben. Netanyahu tut nichts, um die radikalen Siedler zu stoppen. Wenn diese weitermachen wie bisher, gibt es am Ende nur noch ein paar kleine Reservate für die Palästinenser wie für Indianer in den USA.

Sie kennen die Hamas sehr gut. Was würden Sie tun, um die israelischen Geiseln zu befreien?
Der Schlüssel liegt bei der israelischen Führung. Sie müsste den Krieg gegen die Hamas beenden, um die Geiseln befreien zu können. Dazu müsste Israel eingestehen, beim wichtigsten Kriegsziel gescheitert zu sein: der Zerstörung der Hamas.

Kann man die Hamas zerstören?
Vielleicht, aber dann würde es eine neue Widerstandsgruppe geben, die vielleicht noch radikaler wäre. Mit Micheline Calmy-Rey verfolgten wir die Strategie, die Hamas zu mässigen – mit einigem Erfolg: 2017 gab es ein Grundsatzdokument, in dem sich die Hamas bereit erklärte, einen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von 1967 zu akzeptieren. Das hätte als Grundlage für die Zweistaatenlösung dienen können.

Welche Pläne haben Sie als Privatier?
Ein einfaches Leben im wunderschönen Berner Jura. Ich bin offen für Aufträge und Projekte. Die müssen aber smart und ethisch vertretbar sein.

Jean-Daniel Ruchs Buch «Frieden und Gerechtigkeit» erscheint am 12. Juni im Weltwoche-Verlag. 

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