«Hoffe, der Jura wird jetzt mehr respektiert»
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Denise Bégeulin (77):«Hoffe, der Jura wird jetzt mehr respektiert»

Jura-Konflikt
«Die Verletzungen durch Bern sitzen tief»

Jurassier und Berner haben eine schwierige Geschichte. Die Wahl von Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider könnte ein Auftakt zur Versöhnung sein. Aber auch für das Gegenteil.
Publiziert: 11.12.2022 um 08:53 Uhr
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Aktualisiert: 13.12.2022 um 14:43 Uhr
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Robin BäniRedaktor

Elisabeth Baume-Schneider ist in Bern gelandet. Sie hat ihr Raumschiff verlassen und steht nun auf der Kuppel des Bundeshauses, die Fahne ihres Kantons in der Hand: ein kleiner Schritt für Baume-Schneider, ein grosser für den Jura. So zeichnete es ein Karikaturist in der Lokalzeitung «Le Quotidien Jurassien». Die Botschaft ist klar: Baume-Schneider geht als erste jurassische Bundesrätin in die Annalen ein.

Manche Beobachter meinen aber auch, in der Wahl vom Mittwoch stecke weitaus mehr: Nun sei der Kanton Jura endgültig Teil der Schweiz. Auch Baume-Schneider sah es in ihrer ersten Pressekonferenz als Bundesrätin so: «Wir kämpfen nicht mehr. Wir sind jetzt dabei.»

Lange lebten die Jurassier unter der Fuchtel des Kantons Bern. Vor allem der Norden des Juras sah sich unterdrückt. Was die Gemüter seit jeher erhitzte: Die Berner waren protestantisch, die Jurassier vornehmlich katholisch. Hinzu kam die Barriere zwischen Bärndütsch und Französisch. Und jetzt soll dieser Konflikt ein für alle Mal beendet sein?

Jurassier demonstrieren am 30. August 2019. Kurz zuvor hatte Bern die Abstimmung über den Transfer der Stadt Moutier zum Kanton Jura für ungültig erklärt.
Foto: keystone-sda.ch
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Tramschienen in Bern mit Teer übergossen

Baume-Schneiders Aussage sei im Grund genommen voreilig, findet alt Nationalrat Andreas Gross, der seit Jahrzehnten im Jura lebt: «Frau Baume-Schneider wollte wohl die Berner beruhigen. Aber es lässt sich nicht ausschliessen, dass eine kommende Generation sich mit der Teilung des Juras nicht abfinden will.»

Die Auseinandersetzung dreht sich um unterschiedliche territoriale Vorstellungen. Und die bestehen bis heute. 1947 entstanden separatistische Organisationen wie das Rassemblement jurassien, Kämpfer für die Unabhängigkeit. Sie wollten sich aus den Klauen des Berner Bären lösen und einen eigenen Kanton gründen, der aus sechs Bezirken bestehen sollte.

Der schwelende Konflikt eskaliert und mündet in radikalen Aktionen. Die aufmüpfigen Béliers mauern den Eingang zum Berner Rathaus zu und giessen Teer in die Tramschienen der Bundesstadt. Radikale Separatisten verüben Bombenanschläge auf Munitionsdepots und die Berner Kantonalbank in Delémont. Bis die Berner Regierung einlenkt, kommt es immer wieder zu Strassenschlachten.

«Ich kämpfe immer noch für einen Zusammenschluss der beiden Jura»

In den 70er-Jahren folgen mehrere Abstimmungen. Am Ende stimmen Herr und Frau Schweizer der Forderung nach Autonomie zu – am 1. Januar 1979 wird der Kanton Jura ins Leben gerufen. Die Bilanz der Separatisten ist trotzdem durchzogen: Der Süd-Jura – auch Berner Jura genannt – bleibt dem Bären treu. Selbst eine zweite Abstimmung 2013 ändert nichts daran. Die Süd-Jurassier wollen sich nicht dem Kanton Jura anschliessen.

Im Norden der Region haben das manche bis heute nicht verdaut. Darunter Denise Béguelin (77). Ihr 1993 verstorbener Mann Roland Béguelin, Führer der Separatisten, gilt als Vater des Kantons Jura. Mehrere Strassen und Plätze tragen seinen Namen. SonntagsBlick trifft Béguelins Witwe während der Bundesratswahl im Hôtel de Boeuf in Delsberg JU. Zwar sieht auch sie die Wahl von Baume-Schneider als Annäherung, sagt aber: «Die Verletzungen durch Bern sitzen tief.» Dass die Vergangenheit nun nicht einfach vergessen ist, sieht auch Alain Charpilloz so, früher Unternehmer im Jura und Redaktor der Zeitung «Jura Libre». «Ich kämpfe immer noch für einen Zusammenschluss der beiden Jura», betont er. Damit dürfte Charpilloz inzwischen einer Minderheit angehören.

Heftige Proteste in Moutier

Separatistische Bewegungen wie das Rassemblement jurassien verlieren an Unterstützung. Andreas Gross erklärt: «Die jüngeren Leute identifizieren sich weniger mit dem Kanton und zeigen weniger Interesse an der Jurafrage.» Zudem geniesst der Süd-Jura zahlreiche Vorzüge in Bern, wie ein eigener Regierungsrat. «Solange Bern ihm besonders gut schaut, wird der Süd-Jura mehrheitlich wohl bleiben wollen», meint Gross. Auch für viele Nord-Jurassier hat sich die Jurafrage seit der Abstimmung 2013 geklärt.

Doch der Fall Moutier zeigt, wie schnell die Emotionen wieder hochkochen können. Die Stadt im Süd-Jura entschied sich 2017 dafür, zum Kanton Jura zu wechseln. Die Berner annullierten die Abstimmung. Daraufhin kam es zu heftigen Protesten und einem zweiten Wahlgang 2021. Nun steht fest: Moutier wird 2026 Teil des Kantons Jura.

Roland Béguelin äusserte stets die Befürchtung, ein jurassischer Bundesrat könne von Bern korrumpiert werden. Seine Witwe aber meint: «Er wäre mit Elisabeth Baume-Schneider zufrieden gewesen.» Sie werde die Interessen des Juras nicht vergessen.

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