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Kampf um den Bundesrat
Jetzt sind alle grün – vor Neid!

Die Grünen stehen bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Doch der Freisinn steckt sein Territorium ab. Sicherheitshalber auch gegenüber den Christdemokraten.
Publiziert: 27.10.2019 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2019 um 12:38 Uhr
Simon Marti und Camilla Alabor

Schicksal einer Wahlsiegerin: Egal, zu welchem Termin ­Regula Rytz (57) in diesen ­Tagen hetzt, pünktlich schafft es die Präsidentin der Grünen nie. Ganz Bern will ihr plötzlich die Hände schütteln, ein Treffen reiht sich ans nächste.

17 Sitze haben die Grünen am Wahlsonntag neu gewonnen, im Ständerat könnten gut und gerne eine Handvoll weitere dazukommen. Seit die Schweiz vor hundert Jahren das Proporzwahlrecht eingeführt hat, ist der grüne Triumph schon jetzt ohne Beispiel.

«Mit diesem historischen Resultat hatten wir nie gerechnet», sagt Rytz beim Gespräch mit SonntagsBlick. «Wir erwarteten sechs, vielleicht sieben zusätzliche Sitze.» Umso mehr freut sie dieses Signal des Wandels, das der einstigen Nischenpartei gehörig Selbstvertrauen einflösst. Die Präsidentin: «Wir spielen nun in einer Liga mit der CVP und der FDP: Das ist eine komplett andere Ausgangslage.»

Rytz meldet den Anspruch auf einen grünen Bundesratssitz an.
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Auffällig zurückhaltend

Die Liga, auf die Rytz da anspielt, ist jene der Bundesratsparteien. Dem klaren Wahlsieg zum Trotz geben sich die Grünen aber auffällig zurückhaltend, wenn es um die entscheidende Frage geht: Wann sie denn Einzug halten in der Landesregierung? Rytz meint zwar: «Klar ist, dass wir einen Anspruch haben. Dieses Wahlergebnis kann nicht einfach ad acta gelegt werden.»

Doch Fraktionschef Balthasar Glättli (47) relativiert: Die Grünen hätten die Verpflichtung, im Gespräch mit den anderen Parteien zu versuchen, eine Mehrheit für eine neue Zauberformel mit grünem Bundesrat zu finden. «Ob wir auch beim Scheitern solcher Gespräche für einen Showdown antreten, müssen wir danach entscheiden.» Dabei steckt die Partei in einem Dilemma: Grünen-Vertreter betonen, es sei nicht ihre Art, amtierende Bundesräte abzuwählen. Zugleich stören sich die Grünen seit jeher an der Strategie, amtierende Bundesräte vor Ende der Legislatur auszuwechseln – so, wie es FDP und CVP gerade erst mit ihren drei Sitzen getan haben: «Das nimmt dem Parlament die Möglichkeit, nach den Wahlen die Zusammensetzung des Bundesrats anzupassen», kritisiert Glättli.

Falls es zu einer grünen Kandidatur am 11. Dezember kommt, dem Tag der Bundesratswahl, dürften die Grünen einen der beiden FDP-Sitze anvisieren. Derzeit sind die Freisinnigen bei einem Wähleranteil von 15,1 Prozent mit zwei Mitgliedern im Bundesrat klar überrepräsentiert – derweil die Grünen seit Sonntag bei 13,2 Prozent stehen, aber nicht in der Landesregierung vertreten sind.

Ein grüner Bundesrat? Lieber nicht

Ob ein grüner Bundesrat möglich wird, hängt entscheidend vom Stimmverhalten der CVP ab. Denn der vorhergesagte Totalabsturz bei den Wahlen ist ausgeblieben. Offi­ziell legt sich die CVP noch nicht fest: «Zuerst wollen wir die zweiten Wahlgänge für den Ständerat ­abwarten», sagt Generalsekretärin ­Gianna Luzio (39). «Bevor die Bundesversammlung nicht abschliessend gewählt ist, beteiligen wir uns nicht an Spekulationen.»

Der offiziellen Sprachregelung zum Trotz: Bei manchen in der CVP-Fraktion ist die Meinung bereits gemacht. Ein grüner Bundesrat? Lieber nicht. «Die Grünen müssen erst einmal beweisen, dass sie ihre jetzige Stärke bestätigen können», sagt Nationalrat Martin Candinas (39, GR). «Das Parlament ist aus meiner Sicht nicht bereit, einen bisherigen Bundesrat bei den anstehenden Gesamterneuerungswahlen abzuwählen.» Und Parteikollege Alois Gmür (64, SZ) ergänzt: «Es ist nicht die Art der CVP, amtierende Bundesräte abzuwählen.»

Die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat vor zwölf Jahren sei für manche in der damaligen Fraktion eine Ausnahme gewesen. «Aber danach haben wir ­erlebt, wie dies die Stimmung bis ­hinein in die Kommissionen vergiftet hat.» Bundesrätin Karin Keller-Sutter (55) sei für seine Fraktion unantastbar, fährt Gmür fort. «Und den Tessiner Ignazio Cassis können wir nicht abwählen, da würde ich mich entschieden dagegen wehren.»

Schützenhilfe von SVP-Nationalrat Roger Köppel

Die FDP lässt praktisch seit den ersten Hochrechnungen nichts unversucht, Cassis zu verteidigen. Erste Absprachen mit anderen Parteien laufen. Den Grünen soll von vornherein die Lust auf einen Angriff ausgetrieben werden. Und an die Adresse der CVP gibt es unverhohlene Drohungen.

«Die CVP muss sich gut überlegen, ob sie dabei mitmacht», sagt FDP-Ständerat Damian Müller (34, LU). «Solche Spielchen vergisst das Parlament nicht; so etwas würde der Institution massiv schaden.» Ähnlich äussert sich FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (56, ZH). «Sollte die CVP jetzt mithelfen, die Zauberformel abzuschaffen, kann sie davon ausgehen, dass ihr Sitz im Bundesrat in einer künftig möglichen Mitte-rechts-Mehrheitskoali­tion weg ist.»

Unerwartete Schützenhilfe indes erhielten die Grünen bereits am Wahlabend. SVP-Nationalrat Roger Köppel (54, ZH) erklärte, ein grüner Bundesrat sei angesichts des Ergebnisses gerechtfertigt. Die Mehrheit der Rechtspartei sieht dies anders, doch Köppel steht mit seiner Haltung in der Fraktion nicht allein: «Ein Grüner im Bundesrat? Warum nicht. Schlimmer als jetzt kann es nicht werden», sagt ausgerechnet SVP-Nationalrat Andreas Glarner (57).

Der Aargauer Hardliner betont, dies sei seine persönliche Meinung. Er schiebt aber nach: «Die SVP hat man seinerzeit sicher zu lange am Katzentisch warten lassen.»

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