Kehrtwende im neuen Parlament – «Lex Rickli» gescheitert
Überbrückungshilfe für Abgewählte nur noch für Härtefälle

Wer das Parlament verlässt oder abgewählt wird, kann zur Not Überbrückungshilfe beantragen. SVP-Politikerin Natalie Rickli wollte diese abschaffen. Davon will der neugewählte Nationalrat nichts wissen. Doch die Regeln werden verschärft. Statt 24 gibts nur noch 6 Monate.
Publiziert: 10.12.2019 um 09:06 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2019 um 11:53 Uhr
EVP-Präsidentin Marianne Streiff obsiegte mit einer Kompromissvariante.
Foto: Keystone
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Ruedi Studer und Lea Hartmann

Für über 30 National- und Ständeräte wurde der 20. Oktober zum Albtraum. Sie wurden abgewählt und müssen ihr Leben neu organisieren – zum Teil auch finanziell. Zur Not konnten Abgewählte bisher eine Überbrückungshilfe beantragen: maximal in der Höhe einer AHV-Rente – aktuell also bis zu 2370 Franken pro Monat. Und dies während höchstens zwei Jahren, sofern sie das Rentenalter noch nicht erreicht haben.

Davon haben einige Ex-Parlamentarier bereits Gebrauch gemacht, wie Mark Stucki von den Parlamentsdiensten bestätigt: «Bisher sind fünf Gesuche eingegangen. Zwei sind genehmigt, drei in Abklärung.»

SVP-Rickli forderte Abschaffung

Es ist wohl das letzte Mal, dass der Notbatzen in dieser Form ausbezahlt wird. Denn das Parlament geht derzeit über die Bücher. So hat 2016 die frühere SVP-Nationalrätin und heutige Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (43) mit einem Vorstoss die Abschaffung der Überbrückungshilfe gefordert. Ex-Parlamentarier könnten wie alle anderen die Arbeitslosenversicherung beanspruchen, so ihr Hauptargument.

Ihr Vorstoss wurde vom alten Parlament zwar gutgeheissen – und die zuständige Nationalratskommission hatte die Lex Rickli mit einer vollständigen Streichung der Hilfe bereits aufgegleist.

Doch gestern machte das neugewählte Parlament eine Kehrtwende und verwandelte die Lex Rickli in eine Lex Streiff. Denn EVP-Chefin und Nationalrätin Marianna Streiff (62) führte eine Minderheit an, die mit einem Kompromissvorschlag obsiegte.

Nur noch sechs Monate

Die Überbrückungshilfe wird demnach nicht abgeschafft, aber deutliche beschränkt. Statt während zwei Jahren wird die Hilfe nur noch während maximal sechs Monaten ausgerichtet – und nur an abgewählte oder allenfalls bedürftige Ratsmitglieder. Wer freiwillig zurücktritt, ist künftig davon ausgeschlossen. Und auch wer Arbeitslosengeld bezieht, kann die Überbrückungshilfe nicht beanspruchen.

«Wir haben eine Lösung gefunden, welche die Privilegien für Ratsmitglieder eliminiert, es aber trotzdem möglich macht, in Härtefällen eine Hilfestellung zu bieten, die Notsituationen in den ersten sechs Monaten nach einer Abwahl abschwächt», so Streiff. «Es geht wirklich nur um Härtefälle, und es trifft, wie wir ja aus Erfahrung wissen, nur wenige.»

Die grosse Kammer stimmte diesem Kompromiss denn auch mit 107 zu 77 Stimmen zu. SP, CVP, Grüne und Grünliberale stimmten dafür, SVP und FDP dagegen.

Nichteintreten scheiterte ebenfalls

FDP-Nationalrat Matthias Jauslin (57, AG) hatte als Kommissionssprecher zuvor vergeblich an die Kollegen appelliert, die Überbrückungshilfe vollständig zu streichen. «Es ist für die Kommissionsmehrheit nicht einzusehen, warum ein Ratsmitglied dank der Überbrückungshilfe eine Sonderbehandlung gegenüber normalen Bürgerinnen und Bürgern geniessen soll», sagte er. Mit der Arbeitslosenversicherung bestehe eine Einrichtung, die für solche Fälle genügend Unterstützung bieten könne. «Es braucht keine zusätzliche Kasse, aus der anstelle von Arbeitslosengeldern eine Überbrückungshilfe bezahlt werden soll.»

Zum Schluss gewann weder die Abschaffung noch die Beibehaltung in der heutigen Form. Ein entsprechender Minderheitsantrag von SP-Nationalrat Angelo Barrile (43, ZH) auf Nichteintreten wurde mit 98 zu 84 Stimmen abgelehnt.

In der Gesamtabstimmung sagte der Nationalrat schliesslich mit 97 zu 87 Stimmen ja zum angepassten Gesetz. Dieses geht nun an den Ständerat.

Bisher knapp eine Million Franken

Die Zahl der Unterstützten könnte mit dem neuen Gesetz weiter sinken. Allerdings bewegte sie sich bisher schon nur im einstelligen Bereich. «Der Durchschnittswert für die Zahl der Überbrückungshilfen liegt bei fünf Personen», so Parlamentsdienst-Sprecher Stucki.

Seit der Einführung der Hilfsmöglichkeit 2003 haben bis 2018 22 Personen den Notgroschen beansprucht. Insgesamt beläuft sich die Hilfe bis 2018 auf 923'000 Franken. Dabei variieren die jährlichen Kosten relativ stark. 2004 wurden 174'000 Franken ausbezahlt, 2016 nur 94'000 Franken.

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