«Ein bisschen dumm, faul und eigennützig!»
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ETH-Klimaforscher:«Ein bisschen dumm, faul und eigennützig!»

Klimaforscher Reto Knutti zum versenkten CO₂-Gesetz
«Das kostet uns viele tausend Franken pro Jahr»

Er hat sich an vorderster Front für ein Ja zum CO₂-Gesetz eingesetzt. Am Tag nach dem knappen Nein macht ETH-Klimaforscher Reto Knutti keinen Hehl aus seinem Frust.
Publiziert: 14.06.2021 um 12:48 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2021 um 16:42 Uhr
Eine Klatsche für das CO₂-Gesetz: Unterstützt von allen grossen Parteien ausser der SVP und dem Bundesrat – trotzdem abgelehnt.
Foto: Keystone
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Jonas Gerber

Blick: Reto Knutti, was bedeutet das Nein?

Reto Knutti: Es ist natürlich ein Rückschlag für alle die Bemühungen zum Klimaschutz nach einem halben Jahrhundert Forschung, 30 Jahren Uno-Klimaberichten und politischen Verhandlungen. Wenn eines der reichsten Länder mit den meisten technologischen Möglichkeiten sagt, wir können das nicht oder wollen das nicht, wird es schwierig, andere davon zu überzeugen, sie sollen das machen. Aber das Klimaproblem wird nicht verschwinden. Es gibt keine Impfung. Wir haben also keine andere Möglichkeit, als weiterzumachen.

Wird die Wissenschaft nicht ernst genommen?

Die Wissenschaft kann Fakten und Konsequenzen aufzeigen. Sie kann nicht Politik machen – das will sie auch nicht. Aus Fakten aber folgen nicht zwingend politische Handlungen. Entweder ist die Dringlichkeit noch nicht angekommen oder – das halte ich für die wahrscheinlichere Variante – man hat es eigentlich verstanden, aber man ist ein bisschen zu faul oder zu egoistisch, um etwas zu machen. Vom Wissen zum Handeln ist es ein weiter Werg, das wissen wir aus der Psychologie. Wenn es darum geht, wirklich etwas zu machen, sind die Leute nicht bereit. Aber irgendwann werden wir es begreifen.

Begreift es die Schweiz erst, wenn es zu spät ist?

Das ambitionierte Klimaziel von 1,5 Grad droht uns zu entgleiten. Und mit jedem Jahr wird es schwieriger und teurer, gibt uns weniger Handlungsspielraum und verschiebt das Problem auf die nächsten Generationen. Aber: Wir haben nicht darüber abgestimmt, ob es den Klimawandel gibt oder über den Klimaschutz. Sogar die SVP sagt ja, dass man etwas machen muss. Wir haben über ein politisches Regelwerk abgestimmt – was nicht mehrheitsfähig war. Also geht es nun darum, ein anderes Regelwerk zu finden. Das Ziel Netto Null bleibt bestehen. Die Halbierung der CO2-Emissionen sind ein entscheidendes Zwischenziel, das wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.

Wie geht es nun weiter?

Das muss die Politik entscheiden. Man kann vielleicht bestimmte Elemente des bestehenden Gesetzes verlängern. Im Gebäudesektor sind wir mit der Lenkungsabgabe ja sehr erfolgreich. Aber die Hälfte unseres Treibhausgas-Ausstosses geht auf Strassen- und Flugverkehr zurück, wo bis jetzt praktisch nicht gelenkt wurde. Ich glaube nicht, dass man das allein mit Eigenverantwortung und Innovation lösen kann. Gerade im Flugverkehr braucht es Massnahmen, an denen sich alle beteiligen müssen. Wie das passieren soll – da ist das Parlament gefordert.

Die Kosten waren im Abstimmungskampf ein grosses Thema. Was sagen Sie dazu?

Das war sicher das dominante Argument. Was eigentlich seltsam ist: Denn für viele hätte es sich ja sogar gelohnt. Die Kosten sind zudem ein kleiner Betrag im Vergleich zu dem, was uns der Klimawandel kosten wird. Der Status Quo kostet uns pro Kopf viele tausend Franken pro Jahr, nicht nur ein paar hundert. Einfach durch den Schaden, den er verursacht. Und durch die Kosten für Öl und Benzin, die wir aus dubiosen Ländern importieren. Es wäre günstiger, ein ambitioniertes Ziel zu wählen und das Problem zu lösen, als zu warten, bis es schief geht und dann aufzuräumen. Aber diese Botschaft war wohl nicht so einfach zu transportieren, das ist uns misslungen.

War das Gesetz überladen?

Wenn man viele Sachen in ein Paket packt, kumuliert man die Nein-Stimmen. Dann hat man den Hauseigentümer auf der einen Seite, die Autolobby auf der anderen ebenso wie Easyjet, wo Unsinn verbreitet. Vielleicht wäre es mit einem kleineren Paket politisch einfacher gewesen, aber in der Sache ungenügend. Wir müssen Massnahmen in allen Bereichen ergreifen. Es ist eine Gratwanderung.

Ist Klimaschutz in Raten sinnvoller?

Das haben wir in der Vergangenheit gemacht – mit dem Ergebnis, dass wir unsere Emissionen in den letzten 30 Jahren um gut 14 Prozent gesenkt haben. Wir haben weitere 30 Jahre, um auf Null zu kommen. Es ist klar, dass es nicht reicht, so weiter zu machen wie bisher. Die Welt ist auf dem Weg, 3 Grad wärmer zu werden, das Ziel wären 1,5. Hier ein bisschen effizienter werden, da ein bisschen sparen – das wird nicht reichen, diese Lücke zu schliessen. Aber ich gebe zu, ich bin auch ratlos, wie man der Schweiz beibringt, dass sie profitieren würde, wenn sie vorangeht.

Der Spitzen-Klimaforscher

Der Berner Reto Knutti (48) ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und engagiert sich neben seiner Forschung stark für den Dialog mit Politik und Gesellschaft. Er war Leitautor von zwei Berichten des Weltklimarats, die den wissenschaftlichen Kenntnisstand über Klimawandel und globale Erwärmung zusammenfassen. Die Nachrichtenagentur Reuters listete ihn jüngst auf Platz 38 der 1000 einflussreichsten Klimaforscher weltweit.

Stefan Bohrer

Der Berner Reto Knutti (48) ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und engagiert sich neben seiner Forschung stark für den Dialog mit Politik und Gesellschaft. Er war Leitautor von zwei Berichten des Weltklimarats, die den wissenschaftlichen Kenntnisstand über Klimawandel und globale Erwärmung zusammenfassen. Die Nachrichtenagentur Reuters listete ihn jüngst auf Platz 38 der 1000 einflussreichsten Klimaforscher weltweit.

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