Krach um Spesenregel
Schweiz erhält Schützenhilfe im EU-Poker

Die Spesenregel ist ein Knackpunkt in den EU-Verhandlungen. Gewerkschaften und Arbeitgeber befürchten vermehrt Billig-Konkurrenz aus EU-Staaten. Nun aber zeigt sich: Es gibt sogar EU-Mitgliedstaaten, die sich um die Vorgabe foutieren.
Publiziert: 02.05.2024 um 12:37 Uhr
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Aktualisiert: 02.05.2024 um 12:38 Uhr
Die Spesenregel ist der grosse Zankapfel der EU-Verhandlungen. Gewerkschaften und Arbeitgeber befürchten Billig-Konkurrenz aus EU-Staaten.
Foto: imago images/U. J. Alexander
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Die EU-Pläne des Bundesrats haben einen schweren Stand. Noch vor den offiziellen Verhandlungen mit Brüssel stehen sie bereits von allen Seiten unter Beschuss. Während die SVP ein neues bilaterales Abkommen grundsätzlich ablehnt, stören sich die Gewerkschaften nicht nur am mangelnden Lohnschutz, sondern auch an der EU-Spesenregel. Und selbst der Arbeitgeberseite ist sie ein Dorn im Auge – obwohl die Auswirkungen gar nicht so klar sind.

Bei der Spesen-Knacknuss geht es um entsandte Arbeitskräfte aus EU-Ländern. Zum Beispiel um Handwerker aus Tschechien, die hier einen Auftrag ausführen. Heute gelten für sie Schweizer Spesenregeln. Fürs Zmittag bekommen die Tschechen also die in der Schweiz übliche Pauschale.

Spesenregel ist sogar EU-intern umstritten

Mit dem neuen Abkommen aber soll Bern die EU-Spesenregel übernehmen: Arbeiter aus dem EU-Raum erhielten nur noch Spesen auf dem Niveau ihrer Herkunftsländer. Für die Gewerkschaften ist das ein Schlupfloch für Lohndumping, was Schweizer Arbeitnehmer benachteiligen würde. Dagegen wehren sich die Gewerkschaften mit Händen und Füssen.

Dabei ist die 2018 eingeführte Regel sogar in der EU selbst umstritten. Die EU-Kommission prüfte daher, wie die Spesenregelung in den einzelnen Mitgliedstaaten tatsächlich umgesetzt wird. Ein eben veröffentlichter Bericht zeigt: Eine ganze Reihe von EU-Ländern lasse es in ihrer Gesetzgebung offen, welches Recht bei ihnen gilt – das nationale Spesenrecht oder jenes des Heimatlandes des entsandten Arbeitnehmers.

Munition für Schweizer Verhandler

Das eröffne einigen Spielraum, berichten die Zeitungen von CH Media. So setze etwa Deutschland die EU-Regel gar nicht erst um und in der Praxis die nationalen Spesenansätze durch. Auch Berlin will einheimische Handwerker vor Billig-Konkurrenz schützen. Noch weiter gehen Dänemark und Finnland. Sie hätten gesetzlich explizit festgeschrieben, dass bei ihnen trotz EU-Recht die nationalen Spesenansätze auch für auswärtige Arbeiter gelten.

Das dürfte die Schweizer Verhandler aufhorchen lassen. Wenn sich nicht mal EU-Mitglieder an die umstrittene Spesenregel halten, gibt ihnen das Argumente, um in Brüssel auf Zugeständnisse zu pochen. Unangenehm wiederum ist diese Ausgangslage für die EU. Denn für gewöhnlich stellt sie sich auf den Standpunkt, dass einem Drittland wie der Schweiz keinesfalls Zugeständnisse machen will, die für Mitgliedstaaten nicht gelten.

Zerrt EU Mitgliedstaaten vor Gericht?

Noch sei offen, wie die EU-Kommission reagiert, berichtet CH Media weiter. Strengt sie ein Gerichtsverfahren an gegen jene Staaten, die sich nicht an die Spesenregeln halten? Oder drückt sie beide Augen zu? Ersteres scheine vorerst noch kein Thema zu sein: In ihrem Bericht erkläre die EU-Kommission nur, dass sie «den Dialog mit den Mitgliedstaaten» suchen werde. Auch sei im Spesen-Bereich mehr Transparenz anzustreben.

So oder so. Dem Bundesrat eröffnet sich damit die Chance, die hitzigen Debatten um die EU-Verhandlungen im eigenen Land zu entschärfen. CH Media verweist dabei auch auf die Schweizer Europarechts-Expertinnen wie Astrid Epiney und Christa Tobler. Diese hätten dem Bundesrat kürzlich vorgeschlagen, er solle die Spesenregelung zwar formell übernehmen, sie dann aber nach eigenem Gusto umsetzen. So, wie es auch Dänemark oder Finnland machen. (dba)

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