Ladenschliessungen bleiben heiss umstritten
So wehrten sich Maurer und Parmelin gegen den Laden-Lockdown

Wird der Laden-Lockdown über Februar hinaus verlängert? Der Widerstand aus den SVP-Departementen ist programmiert. Wie schon im Januar, als Finanzminister Ueli Maurer Gesundheitsminister Alain Berset eine «einseitige Strategie» vorwarf.
Publiziert: 11.02.2021 um 08:38 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2021 um 15:21 Uhr
Ruedi Studer

«Die Lockdown-Strategie ist gescheitert», kritisiert Gewerbeverbands-Präsident und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi (58, TI) den Bundesrat. Der Verband fordert die Beendigung des Lockdowns auf den 1. März. Vor allem die Ladenschliessungen sind den Gewerblern ein Dorn im Auge, bangen doch viele um ihre Existenz.

«Die Lockdown-Strategie ist gescheitert»
1:20
Gewerbe fordert Exit-Strategie:«Die Lockdown-Strategie ist gescheitert»

Umso mehr dürfte eine allfällige Verlängerung des Laden-Lockdowns über Februar hinaus in der Landesregierung für heftige Diskussionen sorgen. Erneut – denn schon im Januar war der Widerstand in den SVP-Departementen gross. Das zeigen Dokumente der damaligen Ämterkonsultation, die BLICK vorliegen.

So beantragten das Finanzdepartement von SVP-Bundesrat Ueli Maurer (70) und die ihm unterstellte Finanzverwaltung, auf die Ladenschliessungen zu verzichten. Ebenso das Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundespräsident Guy Parmelin (61), zu dem das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gehört.

Im Januar setzte sich SP-Bundesrat Alain Berset mit seinem Corona-Verschärfungspaket durch.
Foto: keystone-sda.ch
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Maurer beklagt «einseitige Strategie»

«Es ist bis heute nicht belegt, dass die Geschäfte ein Treiber der Infektionen sind», monierte Maurers Generalsekretariat. «Ein klarer Beleg für einen Infektionsherd hierfür wäre, dass sich das Verkaufspersonal übermässig ansteckt, was unseres Wissens weder vertieft untersucht wurde noch sonstwie nachgewiesen worden ist.» Mit Blick auf die massiven wirtschaftlichen Schäden reiche die pauschale Begründung, dass damit Kontakte vermieden würden, nicht aus.

Maurers Departement wirft Berset zudem eine «einseitige Strategie» vor, die zu sehr auf «umfangreiche Schliessungen mit massiven Folgekosten» fokussiere. Diese müsse «dringend einer Überprüfung unterzogen werden».

Die Massnahme verursache nur übermässig hohe Kosten und erhöhe die Rechnung für die öffentliche Hand, warnte auch Serge Gaillard (64). Er war bis Ende Januar Direktor der Finanzverwaltung. Eine Viruseindämmung müsse auch möglich sein, ohne die Wirtschaft zu schliessen und zu bestrafen. «Wir müssen Lösungen finden, die uns erlauben, mit dem Virus zu leben und unsere Gesellschaft funktionieren zu lassen», so Gaillard. Die Ladenschliessungen dürften nur Ultima Ratio sein, wenn die Epidemie «völlig ausser Kontrolle gerät».

«Kühlen Kopf bewahren»

Nicht weniger kritisch tönt es aus dem Departement von Wirtschaftsminister Guy Parmelin (61). «Wir müssen nun kühlen Kopf bewahren», schreibt seine Generalsekretärin. Man müsse zuerst die Wirkung der geltenden Massnahmen abwarten. Für Verschärfungen sei es noch zu früh.

Besonders vehement spricht sie sich gegen den Laden-Lockdown aus. Nicht nur, dass der epidemiologische Nutzen angezweifelt wird. Vielmehr verweist sie auf die «katastrophalen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und Moral der Bevölkerung, ganz zu schweigen von der Wirtschaft». Als Beleg führt das Departement Maurer den Kanton Genf an, welcher trotz Ladenschliessungen schlechtere Zahlen gehabt habe als Freiburg, wo nur die Beizen schliessen mussten.

Seco warnt vor «Corona-Müdigkeit»

Zusätzliche Einschränkungen müssten eine nachweisbare Wirkung auf das Infektionsgeschehen haben und «direkt nachvollziehbar zu einer signifikanten Reduktion der Fallzahlen führen», forderte derweil das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Eine bloss indirekte Wirkung – wie etwa eine reduzierte Mobilität aufgrund von Schliessungen – sei keine nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage.

Die epidemiologische Wirkung von Ladenschliessungen sei fraglich und der wirtschaftliche Schaden gross, mahnte das Seco. Und: «Es sind zunehmend Anzeichen einer gewissen ‹Corona-Müdigkeit› festzustellen. Diese geht mit einer schwindenden Akzeptanz für nur teilweise nachvollziehbare Einschränkungen einher.» Trage ein wachsender Teil der Bevölkerung die behördlichen Massnahmen nicht mehr mit, sei die epidemiologische Wirksamkeit des gesamten bestehenden Massnahmendispositivs in Gefahr, so die Warnung.

Wirtschaftsverbände wehrten sich vergeblich

Doch nicht nur aus den SVP-Departementen kam Gegenwind, sondern auch aus der Wirtschaft. Gewerbeverband, Economiesuisse, Arbeitgeberverband oder die Swiss Retail Federation stellten sich entschieden gegen den Laden-Lockdown.

Und die IG Detailhandel mit Coop, Migros und Denner zeigte sich ebenfalls skeptisch: «Wir sind nach wie vor der Meinung, dass sich die Verkaufsstellen des Detailhandels in keiner Phase der Corona-Krise als potenzielle Ansteckungsorte erwiesen haben.»

Berset setzte sich durch

Der Gesamtbundesrat hatte für die Bedenkenträger aber kein Gehör. SP-Gesundheitsminister Alain Berset (48) brachte den Laden-Lockdown bei seinen Gspänli durch. Ausschlag gab dabei die unsichere Corona-Lage angesichts der jüngsten Virusmutationen. Selbst Parmelin schwenkte – auch in der Rolle als Bundespräsident und Landesvater – auf die Mehrheitslinie ein und wehrte sich an der Sitzung nicht mehr aktiv gegen die Ladenschliessungen.

Ob Berset ein solches Kunststück nun wieder gelingt? Im letzten Monat sind die Fallzahlen insgesamt deutlich gesunken, und auch die Situation in den Spitälern hat sich entspannt. Die Unsicherheit aufgrund britischer, südafrikanischer und brasilianischer Virusvarianten hingegen bleibt.

Erstmals brasilianische Corona-Mutation in der Schweiz aufgetaucht
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Fallzahlen sinken insgesamt:Erstmals brasilianische Mutation in der Schweiz
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