Léonore Porchet (Grüne) gegen Martin Candinas (Mitte)
Rentenalter 66 – Lösung oder Albtraum?

Im aktuellen Blick Pong ist mal wieder die Rente Thema. Die Waadtländer Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet und der Bündner Mitte-Nationalrat Martin Candinas streiten darüber, wie lange wir arbeiten sollen.
Publiziert: 17.07.2021 um 13:14 Uhr

Das Parlament hat gerade das Frauenrentenalter auf 65 Jahre angehoben. Das linke Referendum ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und man muss kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Abstimmung kein Spaziergang wird. Den Jungfreisinnigen ist das egal: Sie fordern in einer Volksinitiative die Anhebung des Rentenalters auf 66 für beide Geschlechter und dann eine Kopplung an Lebensalter. Freisinnige Träumereien, Léonore Porchet oder (mal ganz ehrlich) die einzige sinnvolle Lösung?

Léonore Porchet / Martin Candinas
Foto: Blick - creative lab

Es ist eher ein Albtraum als eine Träumerei! Diese Initiative geht völlig an der Schweizer Arbeitsrealität vorbei und dürfte vor allem der Mittelschicht sauer aufstossen. Heute geht fast jeder zweite Berufstätige in Frührente – wenn er sich das als Gutverdiener leisten kann. Das heisst: Die Mehrheit der Menschen will früher in Rente gehen, weil sie genug haben. Das heisst auch: Geringverdiener, die sich das nicht leisten können, werden sie durch diese Initiative bestraft. Das Gleiche gilt für Langzeitarbeitslose: ein weiteres Jahr Warten auf das Ende der Tortur. Den Menschen wird gesagt, sie sollen länger arbeiten, währenddessen der Arbeitsmarkt sie schlecht behandelt. Im Grunde ist diese Initiative eine weitere neoliberale Idee, um die soziale und solidarische Institution der AHV anzugreifen (Welch ein Greuel für die FDP!), die mit dem, was die Menschen in ihrem Arbeitsleben wirklich erleben, nichts mehr zu tun hat.

Ein Albtraum ist die Initiative nicht, aber sie zielt am Ziel vorbei! Seit 1997 kommen wir in der AHV nicht vom Fleck. Alle Vorlagen wurden im Parlament oder im Volk abgelehnt. Es braucht jetzt dringend mehrheitsfähige Anpassungen bei der AHV, damit wir diese auch in Zukunft finanzieren können. Wir müssen endlich akzeptieren, dass die Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten älter wurde. Die demographische Entwicklung darf man aus lauter Sozialromantik nicht ausser Acht lassen. Wenn wir gesunde Sozialversicherungen haben wollen, müssen wir mehr Geld ins System geben, aber auch Anreize schaffen, damit freiwillig länger (vielleicht auch nur Teilzeit) gearbeitet wird. Diese fehlen heute. Auch ist die Wirtschaft oft nicht bereit, Leute nach dem ordentlichen Pensionsalter zu beschäftigen. Hier müssen wir unbedingt auch ansetzen. Das wäre auch ein Thema für eine selbsternannte Wirtschaftspartei.

Arbeiten bis 66 oder länger?
Foto: Getty Images
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Léonore Porchet / Martin Candinas
Foto: Blick - creative lab

Das Argument, dass der Anstieg der Lebenserwartung eine Anhebung des Rentenalters nötig macht, ist ein Mythos. Zwischen der Gründung der AHV 1947 und den 70er-Jahren stieg die Lebenserwartung viel stärker als in den letzten Jahren, und dennoch war es für das Parlament einfach normal, die Altersvorsorge der älteren Menschen ordentlich zu finanzieren, indem es die Beiträge erhöhte oder andere Finanzierungsquellen fand. Doch seither wird das soziale und solidarische Projekt der AHV durch unablässige Forderungen nach Leistungskürzungen, insbesondere durch die Erhöhung des Rentenalters, angegriffen. Vor allem, weil die von der Jungen FDP unterstützten neoliberalen Ideen einen Teil des Parlaments kolonisiert haben ... Doch die Bevölkerung lässt sich nicht mehr täuschen, weswegen eine Reform nach der anderen abgelehnt wird. Das wird auch bei AHV 21 der Fall sein, die du, lieber Martin, unterstützt hast. Aber ich stimme dir zu, dass wir eine Reform vorschlagen müssen, die von den Menschen unterstützt wird. Die Erhöhung des Rentenalters wird das aber nicht – weder die für die Frauen noch die für alle!

Die höhere Lebenserwartung wurde in der Vergangenheit fast nur mit zusätzlichen Mitteln (Lohnprozente und Mehrwertsteuer) aufgefangen. Heute haben wir aber eine ganz andere Situation, als noch in den 1970er Jahren. Erstens hat sich die Arbeitswelt massiv verändert. Heute arbeiten die allermeisten Arbeitnehmer nicht mehr in der Industrie, sondern im Dienstleistungsbereich. Viele Frauen sind heute erwerbstätig, meist ebenfalls im Dienstleistungssektor. In diesem Sektor ist eine längere Arbeitszeit viel eher zumutbar. Kommt hinzu, dass heute viel mehr Arbeitstätige über höhere Berufsabschlüsse verfügen. Im Vergleich zu den 1970er Jahren treten sie damit viele später ins Erwerbsleben ein. Gerade deswegen machen ja Lebensarbeitszeitmodelle Sinn. Und noch etwas: Wir haben einen verstärkten internationalen Wettbewerb. Unsere Unternehmen können nicht immer stärker mit immer noch höheren Lohnprozenten und Abgaben belastet werden. Die aktuelle AHV-Vorlage, die ich ganz fest unterstütze, gewährleistet zumindest, dass die Kosten sich in Grenzen halten und die Lasten vergleichsweise fair verteilt werden. Einseitig einfach immer nur Geld verlangen, ist zwar einfach, aber ebenso wenig mehrheitsfähig wie die Initiative der Jungfreisinnigen!

Léonore Porchet / Martin Candinas
Foto: Blick - creative lab

Nicht jeder wird länger leben, geschweige denn länger in guter Gesundheit. Einkommensunterschiede haben einen Einfluss auf die Gesundheit: Menschen mit einem geringen Einkommen haben eine schlechtere Gesundheit als Menschen mit hohem Einkommen. Gerade Geringverdiener aber werden am wenigsten in der Lage sein, in den Vorruhestand zu gehen. Das bedeutet, dass Menschen mit hohem Einkommen, die weniger früh sterben, länger in den Genuss von Rentenleistungen kommen und höhere Renten erhalten. Gesundes Altern ist daher für armutsbetroffene Rentner schwieriger als für andere, wobei Rentner der zweiten Säule von mehr gesundheitliche Probleme als andere berichten und manchmal aus finanziellen Gründen auf notwendige Leistungen verzichten müssen. Es sollte auch beachtet werden, dass Frauen zwar etwas länger leben als Männer, aber die gleiche Anzahl an gesunden Lebensjahren haben. Wenn man sich also anschaut, was mit der Bevölkerung passiert, die den Ruhestand erreicht, kann die Lebenserwartung kein bestimmender Faktor für das Rentenalter in einer zivilisierten Gesellschaft sein. Zumal der Durchschnitt bei knapp 68 gesunden Lebensjahren liegt, also drei Jahre nach der Pensionierung!

Das zeigt doch genau auf, dass Grüne und Linke nichts zur Sanierung der AHV beitragen wollen. Ihr wollt einfach nur Geld ins System buttern. Damit lösen wir keine Probleme, sondern schaffen neue. Alles muss auch finanziert werden. Da kommt mir das Lied in den Sinn: «Wer hat so viel Pinkepinke? Wer hat so viel Geld?». Auch ich möchte, dass unsere zivilisierte Gesellschaft einen optimalen Lebensabend nach der Pensionierung geniessen kann, aber alles muss auch finanziert werden. Wieso soll man dann nicht über ein Lebensarbeitszeitmodell nachdenken dürfen? Und nochmals: Ich bin gegen Rentenalter 66 für alle! Aber das Rentenalter muss flexibilisiert werden. Wir müssen Anreize schaffen, damit die Bevölkerung länger im Arbeitsprozess bleibt. Ich bin nur für Rentenalter 65 für Mann und Frau. Wie kann man da auch nur dagegen sein? Mit einer stufenweisen Anhebung des Rentenalters, mit von der Mitte-Partei eingebauten Ausgleichsmassnahmen für die Jahrgänge, die vor der Pensionierung stehen, und mit einer sanften Erhöhung der Mehrwertsteuer werden wir den Bedürfnissen der Frauen gerecht und stellen die AHV für einige Jahre wieder auf stabile Füsse. Diese überfällige Reform müssen wir in trockene Tücher bringen und danach die zweite Säule für die Zukunft sichern!

Das ist der Blick-Pong

Deutschschweiz und Romandie ticken einfach anders – auch in der Politik. Wie sehr, zeigt sich im neuen Format Blick-Pong.

Dabei duellieren sich je zwei Politiker über den Röstigraben hinweg – und zwar per Whatsapp. Das Thema wird von der Blick-Redaktion vorgegeben und dann geht es los. Ist fertig gestritten, wird der Chat veröffentlicht.

Für den Blick-Pong schreiben im Wochenwechsel folgende Duos:

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